Die Zypern-Frage. Keine Lösung in Sicht

Zypern militerran

Mauerfall, Wiedervereinigung. In Deutschland wird derzeit wegen der anstehenden Jubiläen viel darüber gesprochen. Auch in Zypern ist davon ständig die Rede, doch hier ist beides vorerst nicht in Sicht. Oder gibt es einen Plan B?
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Russische und französische Kampfhubschrauber begleiteten am Himmel in Formation die Parade von Soldaten, schweren Panzern und Boden-Luft-Raketen. Die Republik Zypern hatte ihren Nationalfeiertag bereits zwei Tage bevor in Deutschland am 3. Oktober der »Tag der Deutschen Einheit« begangen wurde. Anlässlich des Independence Day, dem 49. Jahrestag der Unabhängigkeit Zyperns, wurde am 1. Oktober in der Hauptstadt Nikosia jedoch statt läppischer Bürgerfeste und Fanmeilen eine zünftige Militärparade geboten.
Einen »Tag der Zyprischen Einheit« gibt es auf der Mittelmeerinsel allerdings nicht zu feiern. Und auch ein »Mauerfall«, wie er in Deutschland am 9. November bejubelt wird, ist nicht in Sicht. Die Mauer bzw. die Green Line quer durchs Land und auch quer durch die Hauptstadt markiert immer noch, seit nunmehr 35 Jahren, die Teilung der Insel.

Die Verhandlungen zwischen der griechischen Republik Zypern im Süden und dem seit 1974 von der Türkei besetzten nordzyprischen Teil verlaufen schleppend. Das Trennende scheint viel zu groß, unüberbrückbar. Schon beim Ziel der Verhandlungen und der Frage, was überhaupt die angestrebte Wiedervereinigung bedeuten soll, herrscht Dissens. Die griechisch-zyprischen Verhandler wollen eine Förderation mit einer relativ starken Zentralregierung, die türkischen peilen zwei autonome Teilstaaten mit einer schwachen Zentralregierung an. Und dennoch glauben hier viele an eine »Lösung«, und manche sogar daran, dass sie schnell erreichbar sei.
Dieser Eindruck entsteht auch, wenn man George Iacovou zuhört. Er ist Zyperns wichtigster Diplomat. Der heute 71jährige Sprecher des Präsidenten im Range eines Ministers war von 1983 bis 1993 und von 2003 bis 2006 Zyperns Außenminister und leitet nun die Verhandlungen. Wenn er in seinem kleinen Büro im Präsidentenpalast in Nikosia von den Gesprächen erzählt, dann scheint es nur noch an wenigen Punkten zu haken und ausschließlich an der türkisch-zyprischen Seite zu liegen, dass es nicht recht vorwärts geht.
Seit dem Putsch griechischer Obristen gegen den nach der Unabhängigkeitserklärung als Präsident regierenden Erzbischof Makarios III. und der folgenden Invasion der türkischen Armee im Jahr 1974 ist die Insel geteilt. Während die griechische Republik Zypern im Süden seit fünf Jahren sogar EU-Mitglied ist, wird die 1983 proklamierte Türkische Republik Nordzypern international von keinem Staat anerkannt. Außer von der Türkei. Sogar das Taliban-Regime hatte mehr Freunde. Die griechischen Zyprer nennen den Nordteil hinter der von der Uno bewachten Green Line demzufolge nur »die besetzten Gebiete«.
Konkret wird derzeit über sieben verschiedene Streitpunkte verhandelt, besonders brisant für die Zyperngriechen sind dabei vor allem die Fragen, wie die Eigentumsansprüche der aus dem Norden vertriebenen griechisch-zyprischen Flüchtlinge abgegolten werden sollen und was mit den vermutlich – es kursieren die unterschiedlichsten Zahlen – weit über 100 000 türkischen, meist aus Anatolien stammenden Menschen geschehen soll, die die Regierung in Ankara hier angesiedelt hat. Ein weiterer Punkt ist der Abzug der türkischen Truppen.

Doch bei all diesen Problemen will es nicht recht vorwärts gehen bei den Verhandlungen, empört sich George Iacovou. Von 40 Treffen in den vergangenen zwölf Monaten habe Mehmet Ali Talat, der Präsident der türkischen Zyprer, fast die Hälfte, nämlich genau 16, darauf verwendet, ein einziges Thema zu debattieren, und damit ein Fortschritt bei den anderen sechs verschleppt. Talats wichtigstes Anliegen ist das »Powersharing« in einer künftigen gemeinsamen Bundesregierung und die Frage, wie diese gewählt werden solle. Eine direkte Wahl ist problematisch, denn 80 Prozent der Zy­prer leben im Süden und sind griechische, 20 Prozent sind türkische im Norden. Die türkisch-zypri­sche Seite lehnt eine direkte Wahl daher ab, doch die griechischen Zyprer bestehen darauf, ein Modell zu finden, das eine direkte gemeinsame Wahl einer Bundesregierung ermöglichte.

Iacovou sieht die Verantwortung bei den anderen. Die griechisch-zyprische Seite habe eine Rotation der Präsidentschaft vorgeschlagen, die jeweils vier Jahre an die griechischen und zwei Jahre an die türkischen Zyprer gehen soll. Damit hätten die tür­kischen Zyprer 33 Prozent der Zeit die Präsidentschaft inne, rechnet Iacovou vor, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung nur eins zu vier entspreche. »Nicht einmal ein Dankeschön« habe man für diesen großzügigen Vorschlag erhalten, sagt er.
Man merkt dem alten Mann an, dass für ihn eigentlich jedes Angebot schon eine gewisse Zumutung bedeutet. Schließlich verhandeln da aus seiner Sicht, und so sehen es die meisten griechischen Zyprer, nicht zwei Staaten, zwei Republiken miteinander, sondern die Regierung der Republik Zypern und ein von der Türkei gesteuertes Besatzungsregime. Für ihn ist es schon ein großes Zugeständnis, dass überhaupt mit der nordzypri­schen Marionettenregierung auf Augenhöhe verhandelt wird.
Fast könnte man meinen, dass die Südzyprer am liebsten wieder ein System hätten, dass der Verfassung von 1960 gemäß funktioniert. Danach entfallen 56 Sitze des Parlaments an griechische und 24 an türkische Zyprer. Die 24 türkischen Sitze bleiben seit 1974 unbesetzt. Damals wählten die griechischen Zyprer den Präsidenten, und die türkischen den Vizepräsidenten, doch Iacovou lehnt dies ab, denn das habe nur zu Konflikten und einen Kampf um Einfluss geführt – und wohl auch zum Bürgerkrieg 1963/64. Darum will er keine separaten Wahlen, sondern gemeinsame. Man verhandle schließlich um das Gemeinsame und nicht um das Trennende.

Die Bevölkerung auf der Insel, sagt Iacovou, sei immer gemischt gewesen, es habe nie so etwas wie einen türkischen Teil Zyperns gegeben – bis zur Invasion 1974 und der damit einhergehenden Vertreibung der griechisch-zyprischen Bewohner aus dem Norden und der Übersiedlung der türkisch-zyprischen Bevölkerung aus dem Süden in den besetzten Gebieten. Dass auch die meisten türkischen Zyprer aus dem Süden fliehen mussten und es Massaker an türkischen Zyprern gab, kommt in seiner historischen Erzählung nicht vor.
»Die griechisch-zyprische Community macht 80 Prozent der Bevölkerung aus und die türkisch-zyprische 20 Prozent. Das ist eine Tatsache, die sich nie verändert hat und die sich nie verändern kann«, sagt er trotzig. »Wenn wir also heute über konstitutionelle Dinge reden, müssen wir dies, neben anderen Dingen natürlich, immer berücksichtigen.« Tatsächlich aber versucht die türkische Regierung durch ihre Siedlungspolitik, genau diese von Iacovou postulierte demografische »Tatsache« sehr wohl zu verändern.
Natürlich weiß das auch der Diplomat und klagt, die Türkei »importiere« massenhaft Siedler und zahle jedes Jahr fast eine Milliarde US-Dollar an Nordzypern, außerdem befänden sich 40 000 schwer bewaffnete türkische Soldaten mit 350 schweren Kampfpanzern auf der Insel. Die Türkei sei also in jeder Hinsicht überrepräsentiert auf Zypern, zumal die türkischen Zyprer vermehrt das Land verließen. Tatsächlich sind die Nordzyprer nicht allesamt Parteigänger des türkischen Staats.

Es gibt in Nordzypern sogar eine Partei, »Yasemin«, die explizit nicht die Interessen der Türkei vertritt und den sofortigen Abzug der Besatzungstruppen und auch die Rückführung der meisten Neusiedler fordert. Gründer der Partei ist Sener Levent, der auch die oppositionelle Zeitung Afrika herausgibt und ständig mit Morddrohungen leben muss. Er sagte dem Journalisten-Netzwerk n-ost: »Selbst wenn Talat und Christofias (Dimitris Christofias ist der Präsident der Republik Zypern, d. Verf.) sich auf eine Lösung einigen sollten, wird wieder ein Referendum eingeleitet. Und das Ergebnis wird dasselbe sein wie 2004: Eine Seite wird ›Ja‹ sagen, die andere ›Nein‹. Wenn man den Konflikt wirklich lösen will, darf man kein Referendum machen.« Der Schlüssel für die Beilegung des Konfliktes liege bei den USA und Großbritannien, die aber seien mit der aktuellen Situation ganz zufrieden.
Viele verstehen nicht, wieso die griechischen Zyprer, wenn sie doch angeblich so sehr an einer Lösung interessiert sind, 2004 den von der Uno initiierten »Annan-Plan« in einem Referendum ablehnten, während ihn die türkischen Zyprer mit großer Mehrheit annahmen. Und wenn man Iacovou bittet, dies zu erklären, wirkt der sonst sehr ruhige und gelassene Mann ein klein wenig genervt. »Es gab nicht einen, es gab fünf Annan-Pläne«, sagt er. Die türkischen Zyprer hätten alle abgelehnt, und um die türkische Seite zufriedenzustellen, seien die Lösungsmodelle aus Sicht der griechischen Zyprer von Mal zu Mal schlechter geworden. »Es ist also sehr unfair zu sagen, dass es an der Ablehnung dieses letzten Plans durch die griechischen Zyprer liegt, dass es bisher nicht zu einer Lösung gekommen ist.«
Tatsächlich war der Annan-Plan, der 2004 zur Abstimmung stand, unter großem Zeitdruck ­zustande gekommen. Denn es stand die Entscheidung über die EU-Mitgliedschaft des Inselstaats an. Am 24. März 2004 scheiterte das Referendum, acht Tage später wurde die Republik Zypern Mitglied der EU. Und auch jetzt spielt eine potentielle EU-Mitgliedschaft womöglich wieder eine Rolle: die der Türkei.

Derzeit ist die Zypern-Frage der Knackpunkt der türkischen EU-Verhandlungen. Die Türkei soll, verlangt die EU, ein »Anpassungsprotokoll« zur Zollunion, auch »Ankara-Protokoll« genannt, vollständig und nicht diskriminierend umsetzen. Dieses Protokoll weitet die Zollunion auf die zehn neuen Mitgliedstaaten, einschließlich Zyperns, aus und bedeutet, dass die Türkei ihre Häfen und Flughäfen für den Schiffs- und Flugverkehr der Republik Zypern öffnen muss. Dies käme indirekt einer Anerkennung der griechisch-zyprischen Regierung gleich. Deswegen sträubt sich die Regierung in Ankara dagegen. Bis Mitte Dezember jedoch muss die Türkei das Protokoll umsetzen, sonst drohen die Beitrittsverhandlungen zur EU zu platzen.
»Das ist das Problem Ankaras, nicht unseres«, sagt Iacovou trocken. Er befürwortet vehement einen EU-Beitritt der Türkei, weil er sich dadurch auch eine Lösung der Zypern-Frage verspricht, aber eine schnelle, unter Zeitdruck entstehende »schlechte Lösung« wie 2004 möchte er nicht.
Danach befragt, ob nicht auch eine Zweistaatenlösung denkbar sei, da sich offenbar immer mehr Zyprer mit dem Status quo abzufinden scheinen, sagt er deutlich »Nein«, und zwar wegen der Flüchtlinge. Zwar gebe es »Leute, die meinen, keine Lösung sei auch eine Lösung«, er aber halte denen entgegen: »Keine Lösung ist die allerschlech­teste Lösung.« Anders als oft unterstellt, habe man jedoch »keinen Plan B«, man werde so lange verhandeln, bis es eine Lösung gebe. Irgendwie klingt das nur so halb glaubhaft, erst recht, wenn er hinzufügt, dass eine Lösung noch in diesem Jahr realistisch sei – wenn nur die andere Seite sich endlich bewegen würde. Was solche Schuldzuweisungen an die jeweils anderen betrifft, da jedenfalls sind sich die Verhandlungsführer beider Seiten völlig einig.
Dass es einen Plan B gebe, wird derweil auch aus angeblich diplomatischen Quellen in Athen kolportiert. Der gerade neu gewählte sozialdemokratische Premier- und Außenminister Griechenlands, Giorgos Papandreou, ist am Freitag voriger Woche nach Istanbul gereist, um mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan über Zypern zu reden – nach Medienberichten zur Verhandlung eines Alternativplans, was Papan­dreou heftig dementierte. Dass er aber nur fünf Tage nach seiner Wahl mit der Türkei redet, ist zumindest ein Symbol dafür, dass sich die neue Regierung in Griechenland künftig wohl mehr in die Verhandlungen einmischen wird.