Debatte in Hamburg nach der Blockade einer Aufführung des Films »Warum Israel«

Augen zu und drauf

Nach der gewaltsamen Blockade einer Aufführung von Claude Lanzmanns Film »Warum Israel« in Hamburg hat sich das Bündnis um das Internationalistische ­Zentrum B5 an einer Erklärung versucht.

Diesen Herbst ist in Deutschland die Aufführung von zwei Kinofilmen gewaltsam verhindert worden: In Hoyerswerda sorgte eine Bombendrohung für die Absetzung von Quentin Tarantinos Kriegsgroteske »Inglourious Basterds«, in Hamburg wurde eine Aufführung der Dokumentation »Pourquoi Israel« (1972) des französischen Filmemachers und ehemaligen antifaschistischen Partisanen Claude Lanzmann nicht zugelassen.
Im Unterschied zu Hoyerswerda, wo die Filmvorführung von neonazistischen Kameradschaften verhindert wurde, bedurfte es in Hamburg noch der internationalistischen Staffage. Ein Bündnis um das »Internationalistische Zentrum B5« in der Brigittenstraße blockierte Ende Oktober das in der direkten Nachbarschaft gelegene Independent-Kino B-Movie. Mittels Schlägen und wüster Pöbeleien verdeutlichten die Blockierer, dass ihnen die Verhinderung der Beschäftigung mit dem Thema »Warum Israel« durchaus ein paar Verletzte wert wäre. Ein bei der Aktion verteiltes Flugblatt titelte mit dem entsprechenden Standpunkt zum Nahost-Konflikt: »Warum nicht Israel«. Angesichts dessen, dass Palästina-Solidaritätsgruppen seit Jahren auf Plakaten und Flugblättern Landkarten abbilden, auf denen Israel nicht existiert, ist dies alles kein Wunder. Von irgendeiner kritischen Stellungnahme zum Nahost-Konflikt kann bei dieser Aktion keine Rede sein. Dafür wäre im Kino übrigens Raum gewesen. Die Veranstalter des Filmabends hatten extra auf die Möglichkeit einer Diskussion nach der Vorführung hingewiesen, was beileibe nicht bei jedem Film üblich ist. Doch bei der Blockade ging es ohnehin nie um eine Debatte, vielmehr sollte verhindert werden, dass Argumente für die Existenz Israels ein Publikum finden.
Spätestens seit im Jahr 1930 ein rechtes Bündnis unter der Federführung von Joseph Goebbels anlässlich der Verfilmung von »Im Westen nichts Neues« Kinos beschädigt und Besucher verprügelt hat, ist die Auseinandersetzung um Filme Teil jener Strategie, die sich den »vorpolitischen« Raum der Kultur als Schlüssel zur Beherrschung des Politischen sichern möchte. In der Palästina-Solidarität hat dieses Vorgehen ebenfalls eine Geschichte: 1977 kam es zu einer Reihe von Brand­anschlägen auf Kinos, in denen der Film »Unternehmen Entebbe« gezeigt wurde. Verantwortlich dafür erklärten sich die »Revolutionären Zellen«. Dem Actionfilm diente eine Geiselbefreiung des israelischen Militärs 1976 in Uganda als Rahmenhandlung. Dass bei der vorangegangenen Entführung einer Maschine von Air France durch ein deutsch-palästinensisches Kommando nur jüdische Passagiere ausgesondert und als Geiseln genommen hatten, verschwiegen die RZ im Bekennerschreiben. Aufgrund der Anschläge verurteilt wurde mit Gerd Albartus ausgerechnet derjenige, dessen Ermordung durch seine Kampfgefährten im Nahen Osten 1991 publik wurde und zu einer ersten selbstkritischen Einschätzung der Geiselnahmen von Entebbe führte.
Auch religiösen Eiferern sind Filme oft ein Dorn im Auge: 1988 starteten christliche Fundamentalisten eine Kampagne gegen Martin Scorseses Film »Die letzte Versuchung Christi«. 2004 gab es in vielen Ländern Drohungen von Islamisten wegen des niederländischen Kurzfilms »Submission«. Darin thematisierten Ayaan Hirsi Ali und Theo van Gogh die Erfahrungen muslimischer Frauen mit Gewalt und Missbrauch in der Familie. Für konservative Muslime war das ein Tabubruch, den hinzunehmen man nicht bereit war und für den Theo van Gogh schließlich mit seinem Leben bezahlen musste. Als der Rechts­populist Geert Wilders mit seiner Collage »Fitna« an den Skandal anknüpfte, gab es ebenfalls umgehend Drohungen, die durch den Mord an van Gogh an Brisanz gewonnen hatten.
Nun sind das drastische Beispiele. Es gibt weitaus zivilere, und natürlich steht nicht jeder Versuch, eine öffentliche Aufführung zu unterbinden, automatisch in dieser Tradition. Dabei tritt der Unterschied nicht erst in der Gewaltfrage zutage, sondern ist wesentlich am Ziel der Aktion festzumachen. Ginge es beispielsweise darum, gegen eine Leni-Riefenstahl-Retrospektive zu protestieren, wäre eine Blockade ein legitimes Mittel. 1993 wurde so in Hamburg versucht, eine Aufführung des Kriegsepos »Stalingrad« des deutschen Heimatfilmers Joseph Vilsmaier zu verhindern. Und selbst Mitglieder des Zentralrats der Juden hatten 1985 in Frankfurt zum Mittel der Bühnenbesetzung gegriffen, um eine öffentliche Diskussion über Rainer Werner Fassbinders Stück »Der Müll, die Stadt und der Tod« zu erzwingen.

Die antizionistischen Akteure um die B5 können sich jedoch auf keines der positiven Vorbilder berufen. Vilsmaiers »Stalingrad« verklärte jene deutschen Landser zu Opfern, deren Verbrechen der Welt die Notwendigkeit eines jüdischen Staates erst plausibel machten. Auch die Bühnenbesetzung unter Beteiligung von Ignatz Bubis ließe sich von den Antiimperialisten schwerlich als Referenz verwenden. Bubis lag zwar aufgrund seiner Vision eines jüdischen Lebens in Deutschland nach der Shoah stets im Streit mit den Verfechtern der zionistischen Doktrin, fungierte aber dennoch als Feindbild der militanten Linken. So wurde auch die erste Auseinandersetzung um Antisemitismus innerhalb der Hamburger Linken in jüngerer Zeit 1999 wegen eines Nachrufs auf Bubis geführt, der nichts als eine antisemitisch aufgeladene Schimpfkanonade war.
Im linken Antisemitismus hierzulande gelten Juden wahlweise als »Kapitalisten«, Kosmopoliten oder eben »zionistische Agenten«, also als Feinde des Volkes. Seit mit der Gründung Israels die Bestrebungen, eine jüdische Nation zu konstituieren, realisiert werden konnten, wurde der Staat einzig zum »imperialistischen Brückenkopf« und seine Bevölkerung auf Okkupanten reduziert. Die aus den Fremdzuschreibungen, der Nichtzugehörigkeit im Inland einerseits und der illegitimen Staatsgründung andererseits, resultierende Ortlosigkeit gehört zu den Grundsemantiken des Antisemitismus und wird von immer den gleichen Kreisen als wesentlicher Bestandteil ihrer Politik verfochten. Angesichts ihrer wachsenden Isola­tion vertrauen Hamburger Antizionisten dabei immer mehr auf körperliche Gewalt als das letz­te Feld, auf dem sie sich behaupten können.

Nach den Übergriffen unter starken öffentlichen Druck geraten, versuchte sich das Bündnis aus der B5 an einer schriftlichen Erklärung. In einer besonders schlichten Auslegung der Imperialismus-Theorie ist darin von der »rassistischen Aufspaltung der Welt seit der Conquista« die Rede, einem »System der weißen Dominanz, das auch aus dem Holocaust wieder dominant hervorging«. Damit haben die Antizionisten klargestellt, dass die Shoah für sie nur ein Detail der Geschichte unter vielen ist. Da ein Bewusstsein über den Antisemitismus und die Judenvernichtung das Schema einer weißen Komplizenschaft erschüttern würde, wird jede weitere Reflexion dazu verweigert. Aus dieser Perspektive bleibt von Israel nur das Bild eines kolonialen Projekts, das es auszulöschen gilt.
Israel allerdings ausgerechnet in die Tradition der Conquista zu stellen, unterschlägt, dass gerade die Juden 1492 durch ihre Vertreibung von der iberischen Halbinsel zu den ersten Opfern der Epoche zählten. Die Rechnung »Schwarz gegen Weiß« geht hinsichtlich Israels schon gar nicht auf. Im Gegensatz zu der stereotypen Wahrnehmung des Staates als westliche Enklave hat Israel eine ausgesprochen multiethnische Bevölkerung. Der in der islamischen Welt virulente Antisemitismus hat seit der Staatsgründung zu einer massenhaften Einwanderung von Juden aus arabischen Staaten, dem Iran und Nordafrika bis Äthiopien geführt. Neben anderen Minderheiten kamen in den vergangenen Jahren noch zahlreiche Einwanderer der ehemaligen Sowjetunion und aus Südamerika hinzu. Vor allem die »orientalischen« Israelis stellen einen großen Teil des israelischen Proletariats und neigen aufgrund ihrer eigenen Erfahrung mit Verfolgung selten dazu, Vertrauen in die Bemühungen um Frieden mit den arabischen Nachbarn zu haben. Hingegen wird die Friedensbewegung eher von traditionell europäischstämmigen Eliten getragen. Von einer rein »weißen« oder gar »europäischen« Gestalt Israels kann also ebenso wenig die Rede sein wie von einem »schwarz-weißen« Verlauf der Konfliktlinien.
Das in der Erklärung des Bündnisses angebotene Weltbild einer »Einkreisung der Städte durch die Dörfer« traf vielleicht noch in den fünfziger Jahren zu, als die Reste des Kolonialsystems in Afrika und Indochina kollabierten. Ein Prozess, den – bittere Ironie der Geschichte – der Franzose Claude Lanzmann in Algerien noch begeistert begrüßt hatte. Heute ist die Entfesselung der Barbarei im Zuge kapitalistischer Wertschöpfung längst kein Privileg des Westens mehr.

Politische Aktionen, so weiß man, sollten sich im besten Fall selbst erklären. Wenigstens das ist dem Bündnis aus der Hamburger Brigittenstraße gelungen. Mit der Wahl ihrer Mittel haben die Akteure gezeigt, dass sie nicht willens sind, zwischen antisemitischen oder den Nationalsozialismus verherrlichenden Machwerken und der Dokumentation eines jüdischen Antifaschisten überhaupt zu unterscheiden. Insgesamt sind die Verlautbarungen der Antizionisten ein historischen und gesellschaftlichen Prozessen gegenüber vollständig ignoranter Versuch der Rationalisierung ihrer antisemitischen Projektionen.
Die grundsätzliche Weigerung, sich mit der historischen Genese des Staates Israel und dem für alle Beteiligten leidvollen Nahost-Konflikt zu befassen, ist es, die das Milieu der Palästina-Solidarität dazu bringt, schon bei der einfachen Konfrontation mit dem Thema »Warum Israel« blindwütig draufzuschlagen und so in seinem Antizionismus den Kern des Antisemitismus sichtbar zu machen. Spätestens seit Horst Mahlers langem Marsch vom palästinensischen Guerillacamp ins Zentrum der deutschen Naziszene liegen die grenzgängerischen Potenziale dieses Befreiungsnationalismus offen zutage.
Die Vorführung von »Warum Israel« wird am 13. Dezember um 16 Uhr im B-Movie nachgeholt.