Die geplante Offensive der US-Regierung in Afghanistan

Von der Sowjetunion lernen

Die US-Regierung plant noch eine letzte Großoffensive in Afghanistan, dann soll die Zahl der Soldaten reduziert werden. Taliban und Warlords werden sich darauf vorbereiten.

Nachdem der Präsident eine Grundsatzrede gehalten hat, sind Minister und Bürokraten an der Reihe. Ihnen fällt vor allem die Aufgabe zu, der Öffentlichkeit zu erläutern, wie man den Präsidenten auf keinen Fall verstehen dürfe. Der Bedarf an solchen Erläuterungen ist besonders groß, wenn der Präsident es, wie Barack Obama am Dienstag der vergangenen Woche, allen recht machen will.
Den Konservativen und den Militärangehörigen wollte Obama Patriotismus und Entschlossenheit demonstrieren. Deshalb sprach er vor den Kadetten in der Militärakademie West Point und versäumte es nicht, am Ende seiner Rede mit dem üblichen Pathos die »besondere Bürde« der USA in der Weltpolitik und den »edlen Kampf für die Freiheit« zu beschwören.

Andererseits murren nicht nur Obamas linke Anhänger, der Krieg in Afghanistan wird immer unpopulärer. Folglich musste der Präsident betonen, dass die 30 000 zusätzlichen Soldaten nur für eine zeitlich begrenzte Offensive entsandt werden. Schritt für Schritt soll die Verantwortung afghanischen Truppen übergeben werden, damit »der Transfer unserer Truppen aus Afghanistan im Juli 2011 beginnen« kann.
Vornehmlich diese Ankündigung sorgte für Kontroversen. Womöglich gehe es dann nur um »eine Hand voll« Soldaten, sagte Verteidigungsminister Robert Gates, Außenministerin Hillary Clinton sicherte eine »langfristige Partnerschaft« zu. Auch James L. Jones, der Berater für nationale Sicherheit, und andere hohe Bürokraten wurden aufgeboten, um dem Eindruck entgegenzuwirken, die Taliban müssten nur noch eine Zeit lang durchhalten, bis ihnen der Sieg in den Schoß fällt.
Dass nur noch einmal größere militärische Anstrengungen unternommen werden sollen, bleibt jedoch unbestritten. Wie all das, was in den vergangenen acht Jahren nicht funktionierte, der Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung und Armee, die Korruptionsbekämpfng und vieles mehr, nun in anderthalb Jahren bewältigt werden soll, verrieten weder der Präsident noch seine Minister.

Daher ähnelt Obamas Politik verdächtig dem Vorgehen Michael Gorbatschows. Der neue Generalsekretär der KPdSU ordnete 1985 zunächst eine Offensive an und entsandte Verstärkung. Das Militär bekam noch einmal die Chance, einen Sieg zu erkämpfen, während der Aufbau afghanischer Verbände verstärkt wurde. Nach dem Scheitern der Offensive gab sich der neue Präsident Mohammed Najibullah ein betont islamisches Image und propagierte die »nationale Versöhnung«, um Verhandlungen mit den Mujahedin zu erleichtern. 1989 verließen die letzten sowjetischen Truppen das Land. Die Regierung hielt dann noch drei Jahre durch.
Den zumindest im Hinblick auf jihadistische Erfolge geschichtsbewussten Taliban dürften die Analogien nicht entgangen sein, ebenso wenig wie den derzeit regierungstreuen Warlords, die fast alle an diesem Krieg beteiligt waren. Sie wissen, dass Obama mit dem Aufbau einer afghanischen Armee ähnliche Probleme hat wie einst Gorbatschow. Die Desertationsrate ist extrem hoch, auch bei den verbliebenen Soldaten ist unklar, wem sie im Zweifelsfall ihre Loyalität schenken werden.

Sicherlich bemerken Jihadisten und Warlords auch, dass der Einsatz in Afghanistan als eine lästige Pflichtübung gilt, die man so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte. Von ambitionierten politischen Zielen ist nicht die Rede, Obama will den Feldzug vornehmlich fortsetzen, weil ansonsten die »nationale Sicherheit« der USA nicht gewährleistet werden kann. Man habe im Jahr 2001 schließlich die Taliban aufgefordert, die Führung von al-Qaida auszuliefern, erklärte Clinton. »Hätten sie das getan, wären wir heute nicht in Afghanistan.« Die Idee, mit Mullah Omar, dem Führer der Taliban, zu verhandeln, hält sie nun für »einer Prüfung wert«, obwohl der Mann von den US-Behörden steckbrieflich gesucht wird.
Die Taliban scheinen kein Interesse an einer »nationalen Versöhnung« zu haben. Es ist allerdings denkbar, dass sie den Sicherheitsinteressen der USA entgegenkommen werden, um in Afghanistan freie Hand zu haben. Das Bündnis mit al-Qaida war unter ihnen immer umstritten, nicht wegen humanitärer Bedenken, sondern weil vielen die kapitalkräftigen Gastjihadisten als arrogante und integrationsunwillige Ausländer gelten, mit denen man nur Ärger hat. Wird das Problem al-Qaida ausgeräumt, stünden die US-Soldaten einer Eroberung Kabuls wohl nicht mehr im Weg. Auch die regierungstreuen Warlords dürften sich auf die Zeit vorbereiten, da westliche Truppen gar nicht mehr oder nur noch sporadisch in Kämpfe eingreifen. Sie werden mehr denn je ihre eigene Militärmacht stärken.
Spätestens mit der Anerkennung des Wahlbetrügers Karzai wurde das Ziel der Demokratisierung Afghanistans aufgegeben, Obama distanzierte sich in seiner Rede noch einmal explizit vom nation building. Die Frage ist nicht mehr, ob Afghanistan den Islamisten und Warlords überlassen wird, sondern nur noch, wann die rudimentären politischen Institutionen zerfallen werden und wer die anschließende nächste Runde des Krieges gewinnen wird.