Gespräch mit George Iacovou, Unterhändler der Republik Zypern, über Verhandlungen in Sachen Wiedervereinigung

»Es gibt keinen Plan B«

Am Montag hat in Zypern die vorerst letzte Runde der Verhandlungen zwischen der griechisch-zyprischen und der türkisch-zyprischen Inselhälfte über eine Wiedervereinigung begonnen. Die Jungle World sprach zuvor mit Georgios Kyriakou Ia­covou, der den griechisch-zyprischen Präsidenten Dimitris Christofias in den Verhandlungen berät. Der 71jährige Sprecher des Präsidenten war von 1983 bis 1993 und von 2003 bis 2006 Außenminister der Republik Zypern.

Als wir im Oktober vorigen Jahres Zypern besuchten, sagten Sie unsere Zeitung, der Zypern-Konflikt könnte noch bis zum Jahresende gelöst werden – jetzt ist es Ende Januar 2010.
Nun, das waren die Erwartungen dieser Tage im Oktober.
Gab es denn bei den jüngsten Verhandlungen Fortschritte?
Wir haben intensive Gespräche geführt, aber bisher haben wir fast nur über die Frage der Form der Regierungsbildung verhandelt. Und aus meiner Sicht gab es dabei einen Rückschritt: Die türkisch-zyprische Seite hat einen neuen Vorschlag gemacht, aber der geht hinter das zurück, was sie schon vorgeschlagen hatte – er wirft Fragen auf, die sich in der Zeit, die wir zum Verhandeln haben, nicht beantworten lassen, und zweitens widerspricht der neue Vorschlag dem, worauf wir uns als Verhandlungsbasis bereits geeinigt hatten: dass es einen einzigen souveränen Staat Zypern geben soll, der auf internationaler Ebene mit einer Stimme spricht und nur eine einheit­liche zyprische Staatsbürgerschaft kennt.
Inwiefern widerspricht der türkisch-zyprische Vorschlag dem bisherigen Konsens?
Es gibt drei Punkte, die diesen Konsens in Frage stellen. Einer ist, dass, wenn es nach der türkisch-zyprischen Seite geht, der zyprische Luftraum zweigeteilt und jeweils separat kontrolliert werden soll. Dabei ist Zypern so klein, dass das schon technisch keinen Sinn ergibt. Der zweite ist, dass die türkisch-zyprische Seite quasi zwei verschiedene Staaten will, die jeweils unabhängig voneinander die Macht haben sollen, internationale Verträge zu schließen. Das widerspricht unserer bisherigen Einigung auf einen Staat, der international mit einer Stimme spricht. Der dritte ist, dass Griechenland und die Türkei gegenüber Zypern den gleichen Status haben sollen. Weil Griechenland und Zypern aber gemeinsam in der EU sind, während die Türkei kein EU-Mitglied ist, ist das faktisch gar nicht möglich. Wir können diese Forderung gar nicht erfüllen. Diese Punkte behindern die Verhandlungen.
Außerdem arbeitet die türkisch-zyprische Seite vehement auf das Ziel hin, dass die gemeinsame Regierung zur Hälfte vom türkisch-zyprischen Norden, zur anderen Hälfte vom griechisch-zyprischen Süden gestellt wird. Aber die griechisch-zyprische Bevölkerung ist viermal so groß wie die türkisch-zyprische. Wir hatten auf der Basis der Vorschläge der UN schon zugestimmt, dass die griechischen Zyprer den Präsidenten vier Perioden lang stellen und die türkischen Zyprer zwei Perioden lang, und mit einem Verhältnis von vier zu zwei waren wir der anderen Seite schon entgegengekommen. Ähnliches gilt für das Verhältnis der Ministerposten.
Und jetzt erwarten Ihre türkisch-zyprischen Verhandlungspartner, dass Ihre Delegation den nächsten Schritt macht?
Das ist ein großes Problem. Ich weiß nicht, ob wir fähig sind, es zu lösen.
Özdil Nami, der Chefunterhändler der türkisch-zyprischen Seite, sagte jüngst in einem Interview mit dem Standard, das Problem sei, dass die griechisch-zyprische Seite nicht die Notwendigkeit einsehe, dass sie Kompromisse machen müsse.
(lacht) Sie haben haarsträubende Forderungen gestellt, so wie ich sie gerade beschrieben habe. Wir sagen, wir lassen den Posten des Präsidenten rotieren, und das im Verhältnis vier zu zwei – sie sagen drei zu zwei. Beim Zahlenverhältnis im Kabinett sagen sie fünf zu vier statt sechs zu drei. Und dann sagen sie: Lasst uns einen Kompromiss machen! Die türkisch-zyprische Seite hat komplett negative Vorschläge gemacht, drei ihrer Forderungen sind unerfüllbar.
Umfragen im türkisch-zyprischen Norden zeigen, dass der Präsident der nur von der Türkei anerkannten »Türkischen Republik Nord-Zypern«, Mehmet Ali Talat, dort stark an Zustimmung verloren hat. Es scheint wahrscheinlich, dass er die kommenden Wahlen im April verlieren wird. Wenn statt Talat sein nationalistischer Herausforderer Dervis Eroglu die Regierungsgeschäfte übernimmt, wäre es vermutlich vorbei mit den Verhandlungen.
Das ist ein großes Dilemma. Aber was sollen wir machen? Sollen wir deswegen mit den Verhandlungen aufhören? Das wäre, wie wenn man jemandem sagt: »Du wirst nächste Woche sterben, du musst heute Selbstmord begehen.« Und das werden wir nicht machen.
Sowohl im türkischen Norden als auch im griechischen Süden scheinen immer weniger Zy­prer daran zu glauben, dass es eine Wiedervereinigung geben wird. Gibt es einen nationa­listischen backlash auf beiden Seiten der Insel?
Wir müssen unsere Lösung der Öffentlichkeit verkaufen, und deshalb brauchen wir eine gute Lösung. Und das ist auf beiden Seiten so.
In Deutschland ist vom Zypern-Konflikt nur die Rede, wenn deutsche Politiker argumentieren, dass die Türkei nicht reif für einen EU-Beitritt sei, solange sie die Zypern-Frage nicht gelöst habe. Aber ist der potentielle EU-Beitritt der Türkei denn überhaupt noch ein Faktor für die Zypern-Verhandlungen?
Die Türkei hat eine sehr ambivalente Einstellung gegenüber der Europäischen Union, weil die Türkei nicht einfach ein einheitlicher Staat ist: Da gibt es die Armee, da gibt es viele verschiedene Entscheidungsträger, das führt zur Konfusion und letztlich zu einer ambivalenten Haltung.
Könnte denn die EU etwas zur Lösung des Konfliktes beitragen?
Die EU könnte viel mehr tun. Aber die EU ziert sich, weil die Türkei ihr vorwirft, sich auf die Seite der griechischen Zyprer zu schlagen, weil die Republik Zypern und Griechenland beide EU-Mitglieder sind.
Griechenlands neuer Ministerpräsident Giorgos Andrea Papandreou hat bekräftigt, dass er sich für eine Lösung des Konflikts engagieren will. Wie groß ist der Einfluss der griechischen Regierung auf die Verhandlungen? Und wie groß ist der Einfluss der türkischen Regierung?
Die Rolle der türkischen und die Rolle der griechischen Regierung sind alles andere als symmetrisch. Die türkische Regierung ist unserer Meinung nach von überragender Bedeutung, immerhin sind im Norden Zyperns 44 000 türkische Soldaten stationiert. Auch ist die türkisch-zyprische Seite finanziell komplett von der Türkei abhängig, und natürlich leben im türkisch besetzten Norden fast doppelt so viele türkische Staatsbürger wie türkische Zyprer, weil die Türkei massenhaft Menschen im besetzten Norden angesiedelt hat. Die Türkei ist dadurch ein mäch­tiger Akteur und übt viel mehr Einfluss aus, als Griechenland das tut.
Papandreou und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan haben sich neulich erst getroffen, um über die Zypern-Frage zu sprechen.
Sie haben sich kurz nach dem Amtsantritt von Papandreou in Istanbul getroffen, und natürlich haben sie beide ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, das Zypern-Problem zu lösen, aber wir können ihr Engagement nur nach dem beurteilen, was sie auf den Verhandlungstisch legen. Es ist nicht unbekannt, dass alle Vorschläge der tür­kischen Seite vom türkischen Außenministerium geprüft oder gar ausgearbeitet werden, während Griechenland keine wesentliche Rolle bei der Vorbereitung unserer Verhandlungsangebote spielt. Wir haben manchmal Rechtsgutachten über einige Verfassungsfragen und Fragen des inter­nationalen Rechts eingeholt, aber unsere Verhandlungsangebote formulieren wir selbst. Auf der türkisch-zyprischen Seite kommt dagegen jeder Vorschlag, der uns vorgelegt wird, aus Ankara.
Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat beide Seiten ermutigt, die Verhandlungen zu intensivieren. Immerhin sind es die UN, die die beiden Inselhälften voneinander trennt und über die Green Line wacht. Bringen sich die UN aktiv in die Verhandlungen ein?
Bevor wir mit den Verhandlungen angefangen haben, gab es eine Übereinkunft mit den türkischen Zyprern, dass diese Verhandlungen von Zyprern für Zypern geführt werden. Die UN und der Generalsekretär haben ein Mandat vom Sicherheitsrat, beiden Seiten Moderatoren zur Seite zu stellen. Deren Präsenz erleichtert die Verhandlungen. In all den vielen Arbeitsgruppen und tech­nischen Komitees ist ein Moderator der UN.
Der türkisch-zyprische Chefunterhändler Özdil Nami warf im Standard-Interview Ihrer Seite vor, dass sie es ablehne, einen der UN-Pläne als Verhandlungsgrundlage zu akzeptieren.
Nun, es ist wahr, dass die griechischen Zyprer 2004 den so genannten Annan-Plan der UN in einem Referendum zurückgewiesen haben. Aber jeder, der sich für die Zypern-Frage interessiert, muss die Gründe für diese Ablehnung analysieren. Eines der Probleme war die Intervention ausländischer Mächte, und ich muss Kofi Annan da von jeder Schuld freisprechen, es gab massive Einflussnahme auf diesen UN-Plan, was dazu führte, dass ihn die griechischen Zyprer nicht akzeptieren konnten.
Aber wenn man sich ansieht, was der Annan-Plan für eine gemeinsame zyprische Verfassung vorsah, und das mit dem vergleicht, was die griechisch-zyprische Seite in dieser Frage fordert und was die türkisch-zyprische Seite hier fordert, kann ich Ihnen sagen: In fast allen Aspekten ist die griechisch-zyprische Position näher am Annan-Plan als die türkisch-zyprische. Es ist so leicht zu sagen: »Die griechischen Zyprer haben den Annan-Plan nicht akzeptiert!« Ich halte mich aber an das, was derzeit von türkisch-zyprischer Seite auf dem Verhandlungstisch liegt.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Sie nicht sehr optimistisch sind, dass die Verhandlungen in näherer Zukunft erfolgreich sein werden. Was hat die Republik Zypern vor, wenn es keine Einigung gibt?
Wir stellen weder Überlegungen an, die Verhandlungen abzubrechen, noch haben wir irgendeinen Plan B. Für uns gibt es nur einen Plan, und das ist die Wiedervereinigung Zyperns als sou­veräner Staat unter einer föderalen Regierung mit zwei Kommunen, ein Staat, der international mit einer Stimme spricht und in dem es nur eine zyprische Staatsbürgerschaft gibt. Einen anderen Plan haben wir nicht.