Über Inkasso-Unternehmen und Krise

Triaden der Wirtschaft

Die Inkasso-Branche boomt. In der Krise empfiehlt sie sich Unternehmen und staatlichen Stellen als Hüterin des geregelten Zahlungsverkehrs.

Der Mittelstand hat es bekanntlich nicht leicht. Dass etwa immer noch ein gesetzlicher Kündigungsschutz besteht, sorgt bei so manchem Unternehmer für Verdruss. Zudem leidet der Mittelständler ganz besonders unter dem Übermaß zu entrichtender Steuern, die nur dazu vergeudet werden, den dekadenten Lebensstil der Unterschicht zu finanzieren. Und es geht noch schlimmer: »Die Krise ist für den Mittelstand noch nicht vorbei«, ließ Wolfgang Spitz, Präsident des Bundesverbands deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU), Ende April anlässlich der Veröffentlichung der »Frühjahrsumfrage« seines Verbands wissen. Die derzeit schlechte Zahlungsmoral schade vor allem mittelständischen Betrieben.
In der Umfrage, in der die Inkasso-Branche ihre Sicht auf die Wirtschafts- und Schuldenlage darlegt, wird für 2010 ein Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr prognostiziert. Bis zu 36 000 Firmen könnte es dem Dokument zufolge treffen. Ausstehende Zahlungen gefährdeten vor allem Bau-, Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe. Aus uneigennütziger Sorge veröffentlicht der BDIU solche Zahlen selbstverständlich nicht. Präsident Spitz hält die Firmen dazu an, »dringend ihr wirtschaftliches Fundament zu stärken«, hauptsächlich durch »ein effizientes Mahnwesen«. Er legt den Adressaten also nahe, die Dienste seiner Experten in Anspruch zu nehmen, wenn es darum geht, Geld einzutreiben.

Der BDIU sieht sich als »Partner im Auftrag der Wirtschaft, um deren Forderungen außergerichtlich markt- und situationsgerecht durchzusetzen«. Tatsächlich kann es für Firmen sehr praktisch sein, den Umgang mit den Schuldnern Inkasso-Unternehmen zu überlassen. Diese sind zum einen meist erfolgreicher als betriebseigene Mahnabteilungen. Zum anderen »entlasten Inkassofirmen ihre Auftraggeber wirkungsvoll in einem Bereich, der deren unternehmerische Tätigkeit ansonsten nur behindern und einschränken würde«, wie es der BDIU beschreibt. Die Eintreiber übernehmen also die lästige Drecksarbeit, der Unternehmer kann derweil seinen Geschäften nachgehen.
Der Inkasso-Verband verweist auf derzeit 500 000 Auftraggeber, die lieber Dritte ihren Schuldnern zu Leibe rücken lassen. Nicht nur ­Gewerbetreibende, sondern auch Behörden und Unternehmen, die sich in Staatsbesitz befinden, beauftragen Geldeintreiber. So dürften unzähligen Schwarzfahrern die Briefe der Firmen bekannt sein, die im Auftrag öffentlicher Verkehrsbetriebe Mahnungen versenden und das berüchtigte »erhöhte Beförderungsentgelt« einschließlich großzügig bemessener Inkasso-Gebühren einfordern.
Mittlerweile wissen auch höhere staatliche Stellen die Arbeit der Inkasso-Branche zu schätzen. So zeigte sich Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) in der vergangenen Woche äußerst zufrieden über das von ihm auf den Weg gebrachte Projekt »Forderungsmanagement für die Justiz«. Das gemeinsame Vorhaben des Landes und der Inkasso-Firma Arvato Infoscore erhielt den »deutschen Innovationspreis« in der Kategorie »Verwaltungsmodernisierung«. Ein Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums verlieh die Auszeichnung während eines Verwaltungskongresses unter dem Motto »Effizienter Staat«.

Das baden-württembergische »Forderungs­management« gestaltet sich folgendermaßen: Arvato Infoscore treibt für die Landesjustiz zum Beispiel Gerichts-, Notar- oder Registerkosten ein. Seit 2009 hat die Firma 42 000 Fälle bearbeitet und dem Bundesland Mehreinnahmen von 212 000 Euro beschert. »Mit der Schuldenbeitreibung durch private Partner für die Justiz haben wir den richtigen Weg eingeschlagen«, befindet Justizminister Goll.
Dies dürfte ganz nach dem Geschmack des BDIU-Präsidenten sein. Denn er ist ein ausgesprochener Befürworter der »externen Unterstützung des Forderungsmanagements«, etwa für die von der Wirtschaftskrise ebenfalls stark betroffenen Kommunen. Es handele sich bei solchen Vorgängen um »Verwaltungshilfe«, vergleichbar etwa damit, dass »ein Polizist einen privaten Abschleppunternehmer einschaltet«, wie Spitz in der Zeitschrift Kommunalwirtschaft schreibt. Deshalb seien Bedenken, die den Datenschutz betreffen, oder Einwände gegen die Verlagerung staatlicher Aufgaben in die Privatwirtschaft unnötig.
Überdies könnten die Inkasso-Unternehmen Spitz zufolge sogar zum Wohl der Allgemeinheit beitragen. Trieben sie Geld für Kommunen und Länder ein, ließen sich »sicherlich Tausende von Kindergartenplätzen, Studienplätzen oder andere öffentliche Leistungen« finanzieren. Der BDIU sieht seine Mitglieder im Dienst eines großen Ganzen. So verschaffen sie nicht etwa nur einem Gläubiger sein Geld, sondern »führen pro Jahr über vier Milliarden Euro dem Wirtschaftskreislauf wieder zu«, wie der Verband immer wieder in verschiedenen Verlautbarungen betont. Im Umkehrschluss bedeutet das, die offene Rechnung ist nicht nur als ein Streitfall zwischen zwei Parteien, Gläubiger und Schuldner, zu betrachten. Vielmehr handele, wer Schulden macht, gemeinschaftsschädigend wider die Volkswirtschaft oder den Staat.

Die Bedeutung der Inkasso-Branche für das Gemeinwohl zu beschwören, erfüllt auch einen propagandistischen Zweck. In einem allzu guten Ruf steht der Wirtschaftszweig nicht. Zwar nennen sich die Mitglieder des BDIU nicht »Geldeintreiber«, sondern beispielsweise »Dienstleister im Forderungsmanagement«. Wer bei Google »Geldeintreiber« eingibt, wird dennoch auf Inkasso-Firmen verwiesen – oder auf Gruselgeschichten über die Russen-Mafia. Deshalb ist der BDIU sehr bemüht, sich und seine Mitglieder in der Öffentlichkeit möglichst vorteilhaft darzustellen. Zudem hat der Verband eine freiwillige Selbstkontrolle eingeführt und »berufsrechtliche Richtlinien« festgelegt, um sich eindeutig von dubiosen bis mafiösen Inkasso-Unternehmen abzugrenzen.
Dennoch lassen sich mit der Tätigkeit des Geldeintreibens wohl kaum Sympathien gewinnen. Schließlich lebt die Branche davon, dass sich Menschen oder Unternehmen bei anderen verschulden. Die Lage des Schuldners verbessert sich nicht gerade, wenn sich Inkasso-Firmen seines Falls annehmen. »Das macht die Sache selbstverständlich teurer für den Schuldner«, sagt ein Mitarbeiter der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung. »Bei Inkasso handelt es sich ja um einen Wirtschaftszweig, der sich finanzieren muss. Dafür kommt der Schuldner zusätzlich zu den bestehenden Ausständen auf.«
Dabei ist der BDIU nicht ganz unempfänglich für die sozialen Nöte der privaten Schuldner. So geben die Inkasso-Unternehmen in der Frühjahrsumfrage an, Arbeitslosigkeit und Überschuldung führten dazu, dass Personen ihre Rechnungen nicht beglichen. Mit seinen Ratschlägen, wie der Anstieg der privaten Verschuldung einzudämmen sei, empfiehlt sich der Verband jedoch ein weiteres Mal als Partner der Wirtschaft, des Staates und der Politik. Eine »umfassendere Vermittlung von Finanzkompetenz in der Schule und im Bildungssystem«, ein »konsequenteres Forderungsmanagement« oder auch die »bessere Vermittlung von Finanzkompetenz im Elternhaus« hält der BDIU für nötig. Einfach besser haushalten – Schulden sind eben nur eine Frage der Selbstdisziplin. Und finanzielle Mäßigung ist ohnehin oberste Bürgerpflicht, wie BDIU-Vorstandssprecherin Marion Kremer anmahnt: »Das Vermeiden von Überschuldung steht nicht nur für den Staatshaushalt in Griechenland, sondern in jedem deutschen Haushalt auf der Tagesordnung.«