Über die Präsidentschaftswahlen in Guinea

Zu viele Verlierer

Die Präsidentschaftswahl in Guinea wurde von internationalen Beobachtern als akzeptabel beurteilt. Doch viele Kandidaten sprechen von Wahlbetrug.

Jeder Wähler fragt sich, ob ein Kandidat seine Wahlversprechen hält, nachdem er sein Amt angetreten hat. In Guinea aber ist die derzeit wichtigere Frage, was die 23 Wahlverlierer tun werden. Denn noch ist unklar, ob alle Kandidaten der Präsi­dentschaftswahl in der westafrikanischen Republik die Ergebnisse anerkennen werden.
Die Präsidentschaftswahl wird von vielen Beobachtern als historisch entscheidendes Ereignis charakterisiert. Doch bereits nach dem ersten Wahlgang am vorvergangenen Samstag, dem am 18. Juli eine Stichwahl folgen wird, erhoben bislang 17 Kandidaten Betrugsvorwürfe. Werden die Ergebnisse nicht anerkannt, könnte das zu Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen des Landes führen.
Gewisse Spannungen waren bereits in den Tagen nach dem ersten Wahlgang spürbar. Am Montag wurden Demonstrationen, auf denen der behauptete Wahlbetrug angeprangert werden sollte, verboten. Als sich in der Haupstadt Conakry dennoch etwa 3 000 Protestierende versammelten, setzte die Polizei Tränengas ein. In der Woche vor der Wahl starben nach Angaben der Parteien vier Menschen, als es in Coyah, 50 Kilometer westlich von Conakry, zu Zusammenstößen zwischen Anhängern der Kandidaten und des früheren Premierministers Cellou Dalein Diallo und Sidya Touré kam.
Die internationalen Wahlbeobachter, darunter die von dem Deutschen Alexander Graf Lambsdorff geleitete Mission der EU, die der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Cédéao) sowie die der Internationalen Organisation französischsprachiger Staaten (OIF), bezeichneten die erste Wahlrunde mit einer Beteiligung von 77 Prozent als »akzeptabel« und »weitgehend sauber«. Ihnen widersprach jedoch die guineische Unabhängige Wahlkommission CENI. Deren Leiter, Ben Sékou Sylla, sprach am Mittwoch vergangener Woche von »vielen Unregelmäßigkeiten«. Sogar der Gewinner ist unzufrieden. Zu den ersten, die Betrugsvorwürfe erhoben, gehörte die Partei des von vornherein als einer der aussichtsreichsten Bewerber gehandelten Cellou Dalein Diallo, die Union der demokratischen Kräfte Guineas (UDFG). So seien in Matam, einem Stadtteil der Hauptstadt, Urnen verschwunden und kurz darauf wieder aufgetaucht. Andere Kandidaten und ihre Anhänger sprechen von Urnen, die mit 24 Stunden Verspätung bei den Kontrollstellen abgeliefert worden seien, von missbräuchlich ausgestellten Stimmvollmachten und gefälschten Wahlscheinen. Unklar ist, ob es sich um gezielte Betrugsversuche handelte oder die Unregelmäßigkeiten auf organisatorisches Chaos zurückzuführen sind.

Als historisches Ereignis gilt die Präsidentschaftswahl in Guinea, weil zum ersten Mal demokratisch und, allem Anschein nach, unter halbwegs fairen Bedingungen abgestimmt wurde. Guinea wurde als erste frühere Kolonie Frankreichs in Afrika im Oktober 1958 unabhängig. Danach regierte zunächst 26 Jahre lang unumschränkt der antikolonial-stalinistische Diktator Ahmed Sékou Touré. Nach Tourés Tod im Jahr 1984 übernahm General Lansana Conté die Macht. Er bemühte sich um bessere Beziehungen zum Westen und liberalisierte die Wirtschaft, herrschte aber kaum weniger autoritär als sein Vorgänger. Als er im Dezember 2008 starb, übernahm wiederum die Armee die politische Macht.
Doch General Sékouba Konaté, Interimspräsident seit Dezember vergangenen Jahres, versprach, innerhalb von sechs Monaten Wahlen zu organisieren. Anders als sein Vorgänger im Jahr 2009, der machtbesessene junge Offizier Moussa Dadis Camara, hielt Konaté sein Versprechen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Konaté diente in den neunziger Jahren als Offizier der westafrikanischen Eingreiftruppe im Bürgerkriegsland Sierra Leone; offenbar erkannte der General, wie gefährlich die Konkurrenz politischer Fraktionen ist, wenn es keine Mechanismen des Interessenausgleichs gibt. Überdies wollte er es sich mit den westlichen Großmächten Frankreich und USA nicht verderben, die beide auf baldige Wahlen drängten, auch wenn China und Libyen als alternative Unterstützer zur Verfügung gestanden hätten. Viele Guineer vermuten jedoch noch ein weiteres Kalkül. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes sind so groß, dass eine Zivilregierung sie nicht innerhalb von fünf Jahren bewältigen kann. Konaté kann also damit rechnen, dass der gewählte Präsident schnell an Popularität verliert und er selbst als ziviler Kandidat die nächste Wahl gewinnt.

Dass die künftig Regierenden populär bleiben werden, kann tatsächlich als eher unwahrscheinlich gelten. Guinea nimmt bislang in der internationalen Arbeitsteilung weitgehend den Platz eines Rohstofflieferanten ein und ist daher abhängig von der Preisentwicklung an den Rohstoffbörsen und den Lizenzzahlungen transnationaler Konzerne. Die einzige Aussicht auf schnelle Verbesserungen bietet Guinea derzeit eine Diversifizierung seiner Handelspartner. Neben den seit der Ära der UdSSR engen Beziehungen zu Russland sowie den USA und Kanada ist es vor allem China, das in das guineische Geschäftsleben drängt. Der künftige Präsident dürfte aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine Wiederannäherung an Frankreich anstreben.
Der 58jährige ehemalige Premierminister Cel­lou Dalein Diallo hat in Paris Wirtschaftswissenschaft studiert. Nachdem er bei einem Militäreinsatz gegen Oppositionelle im September vorigen Jahres schwer verletzt worden war, ließ er sich in Frankreich ärztlich behandeln. Am vorvergangenen Sonntag erhielt er den ersten offiziellen, noch unvollständigen Ergebnissen zufolge 39,72 Prozent der Stimmen. Dies entspricht ungefähr dem Anteil seiner Bevölkerungsgruppe, der Peul, an der guineischen Gesellschaft.
Sein Gegenkandidat in der Stichwahl ist der 73jährige »historische Oppositionelle« Alpha Condé. Nachdem er es 1998 gewagt hatte, gegen Lansana Conté als Oppositionskandidat zur Präsidentschaftswahl anzutreten, und dabei mutmaßlich – die tatsächlichen Ergebnisse der manipulierten Wahl sind nicht bekannt – gut abschnitt, war er inhaftiert worden. Im Jahr 2001 kam er frei und ließ sich daraufhin in Paris nieder. Seine Partei, die Sammlung des guineischen Volkes (RPG), ist der Sozialistischen Internationale, einem Zusammenschluss sozialdemokratischer Parteien, beigetreten.
Während die meisten anderen Bewerber, die mehr als ein Prozent der Stimmen erhielten, entweder Premierminister in der Zeit der autoritären Herrschaft waren oder auf andere Weise von den alten Machtverhältnissen profitiert hatten, hat Condé nie einen Regierungsposten übernommen. Neben seinem fortgeschrittenen Alter ist sein wichtigstes Handicap, dass er vor allem von den Malinké unterstützt wird, einer Bevölkerungsgruppe, die sich überwiegend im Osten des Landes um die Stadt Kankan konzentriert. Offiziell erhielt Condé im ersten Wahlgang 20,67 Prozent.
Einige Kandidaten traten als Strohmänner für den früheren Militärherrscher Dadis Camara auf, der aus seinem Exil in Burkina Faso zurückzukehren versucht. Diese Kandidaten blieben jedoch bei den Wählern chancenlos. Das drittbeste Ergebnis erzielte mit 15,6 Prozent der Stimmen Sidya Touré, auch er ein ehemaliger Premierminister. Bei der Stichwahl könnte entscheidend sein, welchen Kandidaten er unterstützt.