Obama und die Apathie der Linken in den USA

Protest der Profis

Die linke Kritik an Barack Obama wächst. Doch der US-Präsident kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass die von Armut und Krise Betroffenen apathisch bleiben.

Meist sorgen sich US-Präsidenten erst gegen Ende ihrer Amtszeit um ihren Platz in den Geschichtsbüchern und versuchen, noch im letzten Moment den Nahost-Konflikt zu lösen oder wenigstens eine bedeutende internationale Konferenz zustande zu bringen. Von Barack Obama hingegen wurde von Anfang an eine historische Präsidentschaft erwartet. Er sollte bedeutende Sozialreformen im Stil Franklin D. Roosevelts oder des wegen des Vietnam-Kriegs weniger populären Lyndon B. Johnson durchsetzen.
Viele Wähler sind nun enttäuscht. Gallup stellte Anfang August fest, dass nur noch 45 Prozent der Amerikaner die Politik der Präsidenten gutheißen, während 48 Prozent sie ablehnen. Zwar bezeichnete der republikanische Publizist Newt Gingrich Obama als den »radikalsten Präsidenten in der Geschichte Amerikas«, doch viele Linke und liberals sind anderer Ansicht. Bestenfalls halbherzige Reformen habe der Präsident zustande gebracht, und in vielerlei Hinsicht setze er schlicht die Politik George W. Bushs fort. Dass Obamas Pressesprecher Robert Gibbs Anfang August die »professionelle Linke«, die zuviel verlange, für das schlechte Image des Präsidenten verantwortlich machte, hat für zusätzliche Empötung gesorgt.
In der Wochenzeitung The Nation und anderen Publikationen diskutieren »professionelle Linke« über den Umgang mit Obama. Gestritten wird vornehmlich darüber, welche Haltung die Linke zu den etablierten Institutionen einnehmen soll. Eine linke Partei mit nationalem Einfluss gibt es in den Staaten nicht, deshalb beziehen sich auch die meisten radikalen Linken auf die Demokraten. Das wäre halb so schlimm, wenn es eine unabhängige Linke gäbe, die im Rahmen ­einer eigenständigen Politik taktisch mit den Demokraten umginge.
Zu tiefgreifenden Reformen kam es in den USA nur unter dem Druck sozialer Bewegungen. Um zögerliche Kongressabgeordnete und nörgelnde Repräsentanten des Großkapitals umzustimmen, muss ein Präsident darauf verweisen können, dass Reformen unerlässlich seien, um die drohende Eskalation sozialer Konflikte zu verhindern. Das fiel etwa Johnson Mitte der sechziger Jahre angesichts besetzter Universitäten und brennender Armenviertel nicht allzu schwer.
Doch nicht Linke oder Bürgerrechtler, sondern die rechten Populisten der Tea-Party-Bewegung nehmen derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung die Rolle der Rebellen gegen das Establishment ein. Die Angst vor dem sozialen Abstieg stärkt das Misstrauen gegen big government. Die Arbeitslosenrate stagniert bei 9,5 Prozent, und das Arbeitsministerium stellte fest, dass der durchschnittliche Stundenlohn im Juli um 0,2 Prozent fiel. Doch gestreikt wird nur selten, stattdessen wächst die Zahl der Gewalttaten gegen Kollegen. Mehr als zwei Millionen Familien mussten wegen Überschuldung ihre Häuser verlassen, aber nur wenige entschieden sich für eine Besetzung.
Dass viele Linke in Lobbygruppen arbeiten und dem Irrglauben verfallen sind, dass Bloggen und das Verfassen von Online-Petitionen wirksame Formen des Protests seien, mag den Trend zur Apathie verstärkt haben. Es wäre jedoch falsch, für den Mangel an sozialen Bewegungen die »professionelle Linke« verantwortlich zu machen. Die von Krise und Armut Betroffenen bleiben inaktiv oder schließen sich den rechtpolulistischen Protesten an. Dieses Problem lässt sich nicht durch bessere linke Propaganda lösen.