Grenzstreit zwischen Marokko und Spanien

Die kanarischen Agenten

Erst Mitte August hatten Spanien und Marokko einen Grenzstreit um die spanische Enklave Melilla beigelegt. Das Vorgehen der marokkanischen Polizei gegen spanische Demonstranten in der Westsahara löste eine neue Krise aus.

Beni Enzar ist der größte Grenzübergang zwischen Marokko und der spanischen Enklave Me­lilla. Täglich versuchen hier Tausende Frauen mit bis zu 100 Kilo Gepäck die Grenze nach Marokko zu passieren. Sie bekommen von Elektrowarenhändlern zwischen einem und vier Euro dafür, dass sie die Ware über die Grenze tragen. Lastwagen voller Lebensmittel fahren in die Gegenrichtung, um die Märkte Melillas zu beliefern.
Mitte August war am sonst so geschäftigen Übergang Beni Enzar alles ruhig. Marokkanische Menschenrechtlerinnnen und Menschenrechtler hatten hier eine Protestaktion organisiert, um an der rassistischen Politik der spanischen Grenzpolizei öffentlich Kritik zu üben. Auch das marokkanische Außenministerium beschwerte sich offiziell bei der spanischen Regierung und kritisierte die Übergriffe der spanischen Polizei und die Behandlung von Marokkanern an den Grenzübergängen.
Die Blockade des Grenzübergangs wurde von Mounaim Chaouki von der Koordination der ­Zivilgesellschaft von Nador, Said Chramti, dem Sprecher der Vereinigung für die Menschenrechte der Region Großes Rif, und etwa 30 weiteren Menschenrechtlern organisiert. »Sie zerreißen unsere Pässe und diskriminieren uns, einfach so«, sagte Chaouki den spanischen Medien. »Seit einem Jahr ist alles schlimmer geworden«, fügte er hinzu. Die Verwaltung von Melilla behauptet hingegen, vor allem Polizistinnen würden am Grenzübergang nicht ernst genommen und oft beleidigt. Seit Juni habe es fünf größere Vorfälle dieser Art gegeben. Viele marokkanische Männer betrachten es als eine Erniedrigung, von weiblichen Beamten kontrolliert zu werden.
Bei der Blockade in Beni Enzar waren viele marokkanischen Fahnen zu sehen. Groß war auch auf Plakaten zu lesen: »Die Zivilgesellschaft des Rif bittet Spanien, umgehend in ernsthafte Verhandlungen mit Marokko einzutreten, um den spanischen Kolonialismus in Ceuta und Melilla zu beenden!« So ergab sich eine Mischung aus nationalistischem, antirassistischem und antikolonialem Protest.

Zwei Vorfälle gelten als Auslöser der Grenzblockade: Mitte Juli griffen spanische Polizisten in Beni Enzar fünf junge Männer an, die in ihrem Auto eine marokkanische Fahne ausgelegt hatten. Anfang August gab es einen weiteren Übergriff der spanischen Grenzpolizei auf einen Grenzgänger, der einen Sack Sardinen bei sich trug, der angeblich nicht den hygienischen Vorschriften entsprach. Jamal Hayyam, der Korrespondent der marokkanischen Zeitung L’Opinion, kommentierte: »Hinter dieser wiederholten, rassistisch mo­tivierten Praxis tut sich eine Kluft auf zwischen der Realität und dem schönen Gerede des Nachbarn im Norden über eine Politik der ›guten Nachbarschaft‹.«
Im Jahr 2005 hatte die spanische Guardia Civil 14 Migranten erschossen, die versucht hatten, in einem kollektiven Ansturm die Grenzanlagen um Melilla und Ceuta zu überwinden. Seitdem wird das Grenzregime der beiden spanischen Enklaven auf marokkanischem Boden in den jährlichen Berichten von Menschenrechtsorganisationen wie SOS Racismo und Amnesty International thematisiert. In spanischen Medien wurde ausführlich über die Blockade berichtet, allerdings ging es vor allem um einen möglichen Versorgungsnotstand in Me­lilla und eine Bedrohung für die Grenzpolizistinnen und Grenzpolizisten.
Am 23. August trafen sich die Innenminister der beiden Länder, Alfredo Pérez Rubalcaba und Taieb Cherkaoui, in Rabat. Rubalcaba spielte die politische Bedeutung der Grenzblockade herunter. Offensichtlich hatte er erreicht, dass die marokkanische Grenzpolizei keine weiteren Blockaden zulässt. Er betonte die »außergewöhnliche Qualität« der spanisch-marokkanischen Beziehungen. Marokko sei ein »strategischer, glaubwürdiger und verantwortungsbewusster Partner«. Nach dem Treffen in Rabat erhielt der spanische Innenminister sogar noch überraschend eine Einladung des marokkanischen Königs Mohammed VI. Trotz des umstrittenen Status von Melilla und Ceuta, die Marokko als eigenes Territorium beansprucht, profitiert Spanien seit Jahren von Fischereiabkommen ebenso wie von der Zusammenarbeit mit Marokko in der Migrationsabwehr. Rubalcaba bedankte sich bei der marokkanischen Regierung »für die Erfolge im Kampf gegen die illegalen Netzwerke des Menschenschmuggels, die dafür gesorgt haben, dass die Migrationsströme zurückgegangen sind«. Rubalcaba und Cherkaoui verkündeten die Einrichtung gemeinsamer Polizeikommissariate in der spanischen Stadt Algeciras und im marokkanischen Tánger.

Eine knappe Woche später gab es eine neue spanisch-marokkanische Krise. Ende August wurden 14 Spanier aus Marokko abgeschoben, die in der von Marokko 1975 annektierten Westsahara für ein Ende der Besatzung demonstriert hatten. Die 14 Demonstrantinnen und Demonstranten, Angehörige der Kanarischen Vereinigung für die Solidarität mit dem Saharauischen Volk, waren mit Touristenvisa nach El Aaiun, der größten Stadt der Westsahara, eingereist. Sie hatten am 28. August auf einem zentralen Platz T-Shirts mit der Aufschrift »Sahara Libre« angezogen und eine aus Taschentüchern gebastelte Fahne der Demokratischen Republik Westsahara hochgehalten. Die Kundgebung war nicht angemeldet. Die nationale Befreiungsbewegung der Westsahara, Frente Polisario, befindet sich seit 1975 im Krieg mit Marokko, ein Großteil der Bevölkerung lebt in Flüchtlingslagern in Algerien. Die 14 Protestierenden kritisierten in einer Erklärung die Ausbeutung der Ressourcen der Westsahara durch die Regierung Marokkos.
Carmelo Ramiréz, der Präsident eines Dachverbands von NGO aus Spanien, berichtete, Polizisten in Zivil hätten die Demonstranten verprügelt und sie gezwungen, marokkanische Fahnen zu küssen. Anschließend seien alle verhaftet und im Kommissariat von El Aaiun die ganze Nacht lang verhört worden. Die medizinische Versorgung sei de facto verweigert worden. Die Fotos der Demonstrantinnen und Demonstranten nach ihrer Abschiebung gingen durch alle spanischen Medien. Die 59jährige Menschenrechtlerin Carmen Roger war dort zu sehen, ihr Gesicht war von den Schlägen komplett zugeschwollen. Doch während die spanische Öffentlichkeit sich über die brutale Behandlung ihrer Staatsbürger empörte, erklärte der spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos, die Protestierenden hätten gegen marokkanische Gesetze verstoßen.
Jalid Naciri, der Pressesprecher der marokkanischen Regierung, erklärte zufrieden, einige Polisario-Anhänger und Provokateure könnten die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Marokko und Spanien nicht stören. Naciri behauptete zudem, die spanischen Demonstranten seien in Wirklichkeit »Agenten Algeriens« gewesen, denn Algerien unterstütze die Polisario und wolle die nationale Einheit Marokkos zerstören. Die Abschiebungen vom Süden in den Norden werden aber wohl eine Ausnahme bleiben.