Über die Roma-Politik der EU

Bedrohliche Nachbarn

Die EU verfügt über Instrumente, um die Diskriminierung von Minderheiten zu bekämpfen. Eine gemeinsame Strategie in der Roma-Politik hat sie noch nicht.

Viviane Reding hätte in der Roma-Angelegenheit mit Vertretern der französischen Regierung verhandeln sollen, statt ihre Kritik öffentlich zu äußern. Das ist die Meinung des einzigen europäischen Regierungschefs, der Nicolas Sarkozy im Streit um die französische Roma-Politik von Anfang an unterstützte. Der italienische Premierminister Silvio Berlusconi stellte im Interview mit der Zeitung Le Figaro klar, was er von dem europäischen Rechtsraum hält, nämlich gar nichts. Die Zukunft von Millionen von Roma betrachtet er als Privatangelegenheit der einzelnen Staaten. Berlusconi brauchte auch die Position seiner Regierung zum Thema Abschiebungen nicht zu erläutern, denn die ist seit Jahren allgemein bekannt.
Mit einer ähnlichen Sicherheitskampagne gegen »Ausländerkriminalität« wie die vom Sommer in Frankreich gewann Berlusconi die Wahlen im Jahr 2008. Wenige Wochen nach seinem triumphalen Wahlsieg kam es in einem Vorort von Neapel zu antiziganistischen Pogromen. Der rassistische Mob bestand aus »aufgebrachten« italienischen Bürgern. Die damals frisch gewählte rechtskonservative Regierung verabschiedete daraufhin Gesetze, die das Vorgehen der Täter de facto legitimierten, statt die Opfer vor rassistischen Angriffen zu schützen. Die Entscheidung, eine Fingerabdruck-Kartei sämtlicher Roma anzulegen und biometrische Daten auch von Minderjährigen zu erfassen, sorgte allenfalls für moralische Entrüstung. Das Europa-Parlament forderte die italienische Regierung auf, die Maßnahme zuückzunehmen. Doch die EU-Kommission erklärte das Sammeln der Fingerabdrücke für rechtens, solange es als »letztes Mittel« geschehe, wie der damalige Justizkommissar Jacques Barrot erklärte.
Die EU verfügt neben Antidiskriminierungsrichtlinien über vielfältige Instrumente, um die soziale Ausgrenzung der Roma zu bekämpfen. Das Netzwerk EURoma koordiniert Projekte, die vom Europäischen Sozialfonds finanziert werden und die »soziale Einbeziehung« von Roma fördern sollen. Die Europäische Plattform zur Einbeziehung der Roma soll die Integrationspolitik auf europäischer Ebene besser koordinieren. Alle zwei Jahre finden außerdem Roma-Gipfel statt. Trotzdem tut sich die EU offenbar schwer, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und für alle Mitgliedsstaaten geltende, verbindliche Regeln zum Schutz und zur Integration der größten europäischen Minderheit durchzusetzen. Stattdessen verstärkt sich europaweit der Trend, die Roma als »Volksgruppe« zu betrachten und sie, offiziell aus Sicherheitsgründen, kollektiv abzuschieben.
Mit der EU-Erweiterung 2004 und 2007 sind die aus Osteuropa stammenden Roma zu Bürgern der EU und zugleich zu einem Problem für diese geworden. An der strukturellen Diskriminierung, die sie in ihren Herkunftsländern erleben, änderte der EU-Beitritt nichts. Er machte aus vielen »Zigeunern« Bürger, die sich innerhalb der Union frei bewegen können. Er machte sie sichtbarer und zugleich bedrohlicher. Eine Studie der EU-Kommission im Jahr 2008 ergab, dass sich ein Viertel der Europäer unwohl fühlen würden, wenn ein Roma ins Nachbarhaus einzöge.
Wie wenige andere europäische Politiker wissen Berlusconi und Sarkozy, wie man Ressentiments mobilisiert: durch die Inszenierung des Sicherheitsdiskurses, in dessen Mittelpunkt die Projektion des »kriminellen Ausländers« steht.