Wenn Linke über »Beziehungen« reden

Das Ende der Diplomatie

Warum Linke weder Liebe noch Affären, sondern nur »Beziehungen« kennen.

Das Wort »Beziehung« ist der Inbegriff der Lieblosigkeit. Anders als die linke Alltagssprache nahelegt, in der ständig »Beziehungskrisen« gelöst oder »Erst- und Zweitbeziehung« koordiniert werden müssen, handelt es sich um keinen qualitativen Begriff, sondern um die Bezeichnung für eine leere Relationalität: Dass ich zu jedem, mit dem ich irgendwie in Beziehung trete, eine Beziehung unterhalte, lässt sich leider nicht vermeiden und wäre eigentlich keiner Rede wert. Wenn die Menschen trotzdem, je bornierter und liebesunfähiger sie sind, desto beharrlicher über ihre »Beziehungen« diskutieren, so liegt das nach Meinung der Verteidiger des Begriffs, die ihrerseits in »offenen Beziehungen« leben, gerade an dessen nützlicher Insignifikanz. Ein Wort, das schlechterdings alles bezeichnen könne, schließe wenigstens nichts aus und sei daher brauchbarer als exklusive Titel wie »Liebe« oder »Freundschaft«. Im Alltag freilich wird diese scheinbare Offenheit täglich Lügen gestraft: Wer von jemandem als »meine Beziehung« spricht, entqualifiziert das Individuum tendenziell bereits zu jenem Problem, als das die »Beziehung« später behandelt und notfalls abgewickelt werden kann. Die Beziehung zu einem Menschen »Beziehung« zu nennen, ist der erste Schritt zu ihrer Erledigung.

Als es zum Sprachschaum linker Alltagsdiskurse wurde, hatte das Beziehungs-Wort bereits eine Karriere als Lieblingsvokabel des Jargons der Eigentlichkeit hinter sich. Wo immer sie im Zuge ihrer »echten Dialoge« auf allzu resistente Widersprüche stießen, beschworen die existentialistischen Adepten des deutsch-jüdischen Versöhnungsphilosophen Martin Buber bereits in den zwanziger Jahren die »Ich-Du-Beziehung«, in der die Dialogpartner »immer schon« – also diesseits ihrer empirischen Gesprächssituation – »stehen«. Dieses »Du stehst in der Beziehung«, das das verkümmerte Ich vor der endgültigen Dissoziation retten sollte, ist dann im Linkssprech zum Gerede über allerlei »Beziehungen« verdünnt worden, die man »führt«, statt darin zu »stehen«, und von denen keine einzige mehr zu »der Beziehung« werden darf.

Dennoch besteht zwischen dem Eigentlichkeitspathos von Buber und der Uneigentlichkeit linken Jargons kein Widerspruch. Die Substantialität des Beziehungs-Wortes, die schon bei Buber nur noch beschworen wurde, ist lediglich vollends entleert worden, ohne dass man den Fetischismus des Wortes aufgegeben hätte. Im Gegenteil: Je evidenter es ist, dass das Reden von »Beziehungen« keine andere Funktion hat, als die im Geflecht der sie konstituierenden Zwänge restlos aufgehenden Monaden über ihre Unfähigkeit zu freien Objektbeziehungen hinwegzutäuschen, desto obsessiver wird die »Beziehung« gegen alles geltend gemacht, was an Glück und Erfüllung erinnert – am aggressivsten gegen die Liebe, die zur »Liebesbeziehung«, unter Gefühlsstalinisten zur »Romantischen Zweierbeziehung« wird.

Die individuelle Liebe, die Monogamiekritikern als Korrelat der Eigentumsform gilt, weil sie Eifersucht mit sich bringe, war in ihrem Ursprung die Aufhebung einer unmittelbar gewaltförmigen »Beziehung«, welche oft mit Promiskuität verwechselt wird: der Polygamie. Historisch ist Polygamie eine Spielart der Sklaverei, die ohne selbst noch rudimentärste Formen der Vermittlung auskommt und in der Sexualität reiner, unverstellter Ausdruck von Herrschaft ist. Das bürgerliche Monogamiegebot zielte auf Überwindung der Identität von Sexualität und Herrschaft im Namen individueller Liebeswahl, die den besonderen Menschen meint, nicht seine Funktion in Konkubinat, Dienstbotenschar oder Großfamilie. In der Eifersucht, die als Komplement individueller Liebe entsteht, meldet sich zum ersten Mal in der Geschichte der Gefühle das angstvolle Bewusstsein um die Vergänglichkeit und Untauschbarkeit des Individuums an, das als Individuum doch erst durch das Prinzip der Vergleichung gesetzt wurde, ohne das es einen Begriff vom Untauschbaren nicht geben kann. Wer unfähig zur Eifersucht ist, dem zerrinnen die Menschen ebenso sicher zum Beziehungsmaterial, wie sie dem von Eifersucht Besessenen zur Totenmaske seiner Obsessionen erstarren.

Mindestens so anachronistisch wie Liebe und Eifersucht, die nur noch als störrische Reflexe einer überholten Bewusstseinsform erlebt werden, ist eine andere »Beziehung«, von der es keinen lebendigen Begriff mehr gibt: die Affäre. Ihre kleinbürgerliche Schrumpfform ist der Seitensprung, ihre postmoderne der One-Night-Stand. Beide Worte bringen in ihrem Missklang zum Ausdruck, was sie bezeichnen: das erste den so folgenlosen wie tristen Ausbruchsversuch aus dem Dauerlauf des Lebens, das zweite den besinnungslosen, aber willkürlichen Exzess, der den Kopf nicht freier, sondern schwer macht. Die Affäre indessen war einmal der Inbegriff der Gegen-Liebe. Wie diese setzt sie Intimität und Aufmerksamkeit voraus, wie diese zielt sie aufs Spezifische des Individuums, nicht auf von ihm ablösbare Eigenschaften. Wie die Liebe kennt die Affäre Treue und Verbindlichkeit, und obwohl sie im Schatten der Liebe entsteht, deren Unzulänglichkeit sie in Erinnerung ruft, begeht sie nicht Betrug an ihr, sondern hat eine ihr ebenbürtige Würde. Affären können länger dauern als Lieben, und Menschen, die einander glücklich lieben, können bei ihren Affären so großzügig sein wie in der Liebe selbst. Der Begriff der Affäre entspringt in der Frühgeschichte der Diplomatie, wo er Konflikte bezeichnet, die heimlich und gewaltlos gelöst werden, deren öffentliche Austragung jedoch die Barbarei entfachen könnte, und wandert von dort in die Privatsphäre ein, als Bezeichnung für die diskrete Indiskretion, die zivilisierte Transzendierung des Zivilisationszwangs. Aus der Diplomatie stammt auch der Begriff der »Beziehungen«, der freilich keinen delikaten Konflikt, sondern die schlechte Normalität bezeichnet. Und wie die Diplomatie längst zur Verdoppelung universaler Gewalt verkümmert ist, verdoppeln die »Beziehungen« nur mehr die universale Stumpfheit. Indem gerade auf diesem Gebiet inzwischen fast alle reden wie die Linken, enthüllt sich im Persönlichsten deren allgemeine Funktion: Avantgarde der fröhlichen Selbstfragmentierung der Individuen zu sein, die sich den blinden Vollzug ihres gesellschaftlichen Schicksals stolz als Bewusstseinsfortschritt gutschreiben.