Amerika vor den Kongresswahlen

Grün ist die Hoffnung

Bei den Kongresswahlen am 2. November werden Erfolge der Republikaner erwartet. Dass im Westen des Landes auch über die Legalisierung von Marihuana abgestimmt wird, könnte jedoch den Demokraten nützen.

Es sieht schlecht aus für die Demokraten. Bei den Kongresswahlen am 2. November müssen sie mit erheblichen Verlusten rechnen. Die Amerikaner sind unzufrieden, denn ein Ende der Rezession ist nicht abzusehen. Den versprochenen change hatte man sich anders vorgestellt, Linke und Liberale sind enttäuscht von der Regentschaft der Demokratischen Partei unter einem als zu kompromissbereit und ineffektiv geltenden sowie bisweilen schwach und überfordert wirkenden Präsidenten Barack Obama.
Vor allem viele junge Wähler, die 2008 Obama und seine Partei wählten, scheinen diesmal den Wahlkabinen fernbleiben zu wollen. Die sogenannten unabhängigen Wähler, vor allem in der weißen Mehrheitsbevölkerung, liebäugeln mit den Rechtspopulisten der Tea-Party-Bewegung, die meisten von ihnen werden am 2. November wohl für republikanische Kandidaten stimmen. Die konservative Basis der Republikaner ist, gestärkt durch eine selbst für US-Verhältnisse erschreckende Wende nach rechts, hochmotiviert, »ihr Land zurückzuholen«. Obama genießt zwar nach wie vor die Zustimmung von 46 Prozent der Bevölkerung, doch Umfragen zufolge haben die Republikaner bei den kommenden Kongresswahlen einen Vorsprung von mehr als neun Prozentpunkten.
Die Demokraten müssen befürchten, die Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses zu verlieren. Nate Silver, der als unabhängiger Statistiker mit seinen Prognosen bislang sehr treff­sicher war und seit einigen Monaten bei der New York Times beschäftigt ist, gibt den Republikanern eine 75prozentige Chance, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu gewinnen. Am 2. November werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses gewählt, im Senat wird knapp über ein Drittel der Mandate neu vergeben. Dort gibt Silver den Republikanern eine Siegeschance von 18 Prozent.
In den jüngsten Umfragen schneiden die Demokraten wieder etwas besser ab, dennoch muss Präsident Barack Obama damit rechnen, demnächst mit einem feindlichen Kongress konfrontiert zu sein. Zwar wird Nancy Pelosi, die der­zeitige Sprecherin des Repräsentantenhauses, mit Sicherheit wieder ihr Mandat im linksliberalen San Francisco gewinnen. Doch müssen die Demokraten mit dem Verlust von 60 Mandaten rechnen, Sprecher dieser Parlamentskammer würde dann wohl der stramm rechtskonservative Republikaner John Boehner aus dem Bundesstaat Ohio werden.
Boehner und Obama gelten als verfeindet, nicht zuletzt weil Obama jede Gelegenheit nutzt, Boehner, einen typischen Repräsentanten der ressentimentgeladenen weißen Wählerschichten, wegen dessen Vorliebe für das Sonnenstudio als »person of color« zu bezeichnen. Nach einem Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus, der Kammer, in der beispielsweise alle Gesetzesvorlagen zur Haushaltspolitik entstehen, wäre es für Obama kaum noch möglich, innenpolitische Reformen durchzusetzen.

Ähnlich erging es Präsident Bill Clinton, der 1994 nach zwei Jahren Amtszeit die demokratische Mehrheit in der sogenannten Kammer des Volkes verlor und danach mit dem rechten Republikaner Newt Gingrich zurechtkommen musste. Selbst mit einer Mehrheit in beiden Kammern war es für Obama nicht leicht, seine Vorhaben zu verwirklichen. Eine Übereinkunft mit Boehner, der Obamas Pläne schon aus Prinzip ablehnt, dürfte ausgeschlossen sein.
Im Senat, wo die Demokraten derzeit 59 von 100 Sitzen innehaben, müssen sie den Verlust von neun Mandaten fürchten. Einer der Verlierer könnte der Mehrheitsführer Harry Reid aus dem Bundesstaat Nevada sein, der zurzeit in den Umfragen gleichauf mit seiner Herausforderin Sharron Angle liegt, einer Rechtsradikalen christlich-fundamentalistischer Prägung.
Neben Reid und anderen moderaten Demokraten könnte die »Kammer der Staaten« auch einen der wenigen tatsächlich linken Senatoren verlieren: Russ Feingold aus Wisconsin. Im Jahr 1993 erstmals gewählt, hat Feingold etwa gegen den Irak-Krieg, gegen die Entmachtung der Regulierungsbehörden und gegen den Patriot Act von 2001 gestimmt, der die Grundlage für den Überwachungsstaat unter Präsident George W. Bush schuf. In der Amtszeit Bushs prangerte Feingold an, dass die Behörden mit dem illegalen Abhören von US-Bürgern sogar noch die ihnen großzügig gewährten Befugnisse überschritten, außerdem kritisierte er das Foltersystem und die Internierungen auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo. Feingold liegt gut fünf Prozentpunkte hinter seinem Herausforderer Ron Johnson, einem rechtslibertären Geschäftsmann.
Auch im Repräsentantenhaus ist die Wiederwahl einiger linker Demokraten fraglich. Um sein Mandat fürchten muss etwa Alan Grayson aus Florida, bekannt für seine Härte gegen die Republikaner während der Debatte zur Gesundheits­reform. Er sagte, dass der republikanische Plan für die Gesundheitsreform aus zwei Worten besteht: »Stirb früher«.
Nicht nur bei den Kongresswahlen, sondern auch in vielen legislativen Kammern der Bundesstaaten und bei den Gouverneurswahlen drohen den Demokraten Verluste. Möglicherweise werden vier demokratische Gouveneure abgelöst, dann würden 30 der 50 Bundesstaaten von Republikanern regiert. Normalerweise sind solche Änderungen der Machtverhältnisse in den Bundesstaaten nicht prägend für die Politik der USA. Von den Bundesstaaten werden in der kommenden Legislaturperiode jedoch die Wahlkreise auf der Basis des diesjährigen Zensus neu festgelegt. Bei diesem Vorgang spielen politische Kriterien eine wichtige Rolle, das gerrymandering, die Begünstigung einer Partei durch den geschickten Zuschnitt der Wahlkreise, hat in den USA eine lange Tradition. Wie nach dem Zensusjahr 2000 hätten die Republikaner erneut die Möglichkeit, diesen Prozess zu bestimmen und somit ihre Chancen bei zukünftigen Kongresswahlen zu erhöhen.
Die Republikaner haben versprochen, im Fall einer Machtübernahme nicht nur zukünftige innenpolitische Projekte Obamas zu stoppen, sondern auch die Reformen der vergangenen Jahre zurückzunehmen, insbesondere im Gesundheitssektor und bei der Bankenregulierung. Sie planen, die Ende dieses Jahres auslaufenden Steuer­senkungen für Millionäre zu verlängern. Wegen dieser Bush tax cuts entgingen dem Staat seit 2001 Einnahmen von 750 Milliarden Dollar, dieser Verlust soll durch eine Kürzung der Sozialausgaben und eine Privatisierung des Sozialversicherungssystems ausgeglichen werden.
Allerdings hat Präsident Obama die Möglichkeit, ein Veto gegen die vom Kongress beschlossenen Gesetze einzulegen. Für den Fall, dass er von diesem Recht Gebrauch macht, drohen republikanische Hardliner, die Finanzierung der Bundes­regierung mit Ausnahme des Verteidigungsetats zu blockieren. Dies würde eine anhaltende Regierungskrise auslösen, und es wäre der Auftakt für den Präsidentschaftswahlkampf 2012.

Vielleicht aber retten die Kiffer den Präsidenten. Im Westen des Landes, in Kalifornien, Oregon und weiteren Bundesstaaten, finden am 2. November auch Referenden über die Legalisierung von Marihuana statt (siehe Seiten 10/11). Die Gesetzesinitiative könnte den Umfragen zufolge zwar scheitern, und die demokratischen Kandidaten haben sich allesamt gegen die Legalisierung ausgesprochen. Doch man rechnet wegen des Referendums mit einer höheren Beteiligung junger Wähler, dies würde die Chancen der Demokraten verbesseren.
In Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat, könnte die Liebe zum Gras Jerry Brown, der bereits in den wilderen Zeiten der siebziger Jahre als »Governor Moonbeam« amtierte, einen erneuten Wahlsieg verschaffen. Gouvernator Arnold Schwarzenegger kandidiert nicht mehr, für die Republikaner tritt Meg Whitman an, ehemals CEO von eBay. Sie scheint in der Endphase des Wahlkampfs an Unterstützung zu verlieren. Auch die als Repräsentantin des linksliberalen Hollywood geltende Senatorin Barbara Boxer kann im Wahlkampf gegen Carly Fiorina, die ehemalige Vorstandsvorsitzende von Hewlett-Packard, auf die indirekte Hilfe der Legalisierungsbefürworter hoffen.
Dass Manager für den Kongress kandidieren und Politiker ins Management eines Konzerns aufgenommen werden, ist in den USA üblich. Eine Entscheidung des Obersten Gerichts ermöglicht es den Unternehmen jedoch, auf den Wahlkampf noch größeren Einfluss zu nehmen. Anfang des Jahres hatte eine knappe Mehrheit, gebildet von eben jenen Richtern, die George W. Bush nach den umstrittenen Wahlen im Jahr 2000 die Präsidentschaft zusprachen, im Fall »Citizens United v. Federal Election Comission« die gesetzliche Beschränkung der Wahlkampfaktivitäten von Unternehmen als verfassungswidrig eingestuft.

Seitdem ist es den Unternehmen erlaubt, nach Belieben Werbespots und Kampagnen zu finanzieren. Gut 400 Millionen Dollar werden sie und ihre Dachorganisationen wie die Handelskammer für den Wahlkampf ausgeben, schätzungsweise 90 Prozent dieser Summe gehen an die Republikaner. Da die Spender anonym bleiben dürfen und kein Unternehmen einen Imageschaden fürchten muss, sind die Spots oftmals extrem demagogisch und denunziatorisch. Jüngst lief ein anonym finanzierter Spot, der Obama in Wort und Bild mit dem Engel des Todes verglich. Auch die Darstellung Obamas als Joker aus »The Dark Knight«, ein bei US-Rassisten und Rechtsextremisten sehr beliebtes Motiv, ist in der anonym finanzierten Wahlwerbung oft zu sehen.
Es gibt Hinweise darauf, dass hinter den anonymen Spendern auch ausländische Firmen stehen, obwohl es nichtamerikanischen Unternehmen nach wie vor verboten ist, in den Wahlkampf einzugreifen. Viele Amerikaner aber bekennen sich offen zu ihrer Parteinahme. Rupert Murdochs republikanischer Propagandasender Fox spendete der Partei ohne den Schutz der Anonymität mehrere Millionen Dollar.