Guillermo Fariñas im Gespräch über die Situation der politischen Gefangenen in Kuba

»Freiheit ist das Ziel«

Guillermo Fariñas Hernández, Jahrgang 1962, ist einer der bekannten Oppositionellen Kubas. Bereits 2006 hat er den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar erhalten, weil er mehrere Monate in den Hungerstreik getreten war, nachdem ihm und der Redaktion der unabhängigen Nachrichtenagentur Cubanacán der Zugang zum Internet verwehrt worden war. Nun wird der Mann, dessen Vater zusammen mit Che Guevara im Kongo war, den Menschenrechtspreis des Europäischen Parlaments, den Sacharow-Preis erhalten. Ob der 48jährige Psychologe im Dezember zur Verleihung nach Strasbourg reisen darf, ist allerdings unklar.

Herr Fariñas, Sie werden im Dezember den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments verliehen bekommen. Das haben die Abgeordneten Ende Oktober entschieden. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Diesen Preis wird nicht Guillermo Fariñas erhalten, sondern die pazifistische Opposition in Kuba, die Teil der Bevölkerung ist, die sich gegen ein totalitäres Kuba wehrt. Alle Kräfte, die sich in Kuba und im Exil für die Demokratie einsetzen, haben diesen Preis verdient. Wenn das Europäische Parlament diesen Preis an einen Kubaner vergibt, dann vergibt es ihn an alle Kubaner.
Und welchen Wert hat dieser Preis für die Opposition in Kuba?
Er ist überaus wichtig, weil die kubanische Regierung erneut im Scheinwerferlicht steht. Ich wünsche mir, dass das Europäische Parlament darauf hinweist, dass die Freilassung der politischen Gefangenen, zu wenig ist, wenn die Gesetze nicht verändert werden, die zu ihrer Verurteilung führten. Ich wünsche mir eine klare Haltung zu mehr Demokratie in Kuba.
Ärgert die Preisverleihung die Regierung?
Für die Regierung ist das eine schlechte Nachricht. Wenn ein Kubaner diesen Preis erhält, und es ist, glaube ich, bereits das dritte Mal, dann ist das auch eine Kritik an den Zuständen auf der Insel. Ich denke, dass die Regierung sehr wohl versucht, auf diplomatischen Wegen eine derartige Preisverleihung zu verhindern, und dafür sicherlich auch Geld ausgegeben hat – Geld, das hier fehlt, um die Bevölkerung zu ernähren.
Wie geht es Ihnen? Haben Sie sich nach dem langen Hungerstreik wieder erholt?
Ich habe noch mit zwei Blutgerinnseln zu kämpfen, einen Thrombus im linken Arm und einen im Hals, die medikamentös behandelt werden. Das sind die beiden Dinge, die Sorgen machen. Ansonsten geht es mir aber relativ gut.
Wie denken Sie heute, fast vier Monate nach dem Ende Ihres Hungerstreiks, den Sie aus Protest gegen den Tod von Orlando Zapata Tamayo und für die Freilassung von 26 gesundheitlich angeschlagenen politischen Gefangenen aus der Gruppe der 75 begannen, über die laufenden Freilassungen von politischen Gefangenen in Kuba? Sind Sie zufrieden?
Ich spreche hinsichtlich der 52 politischen Gefangenen aus der Gruppe der 75 nicht von einer Freilassung. Ich spreche vom Verlassen des Gefängnisses. Nun werden Sie mich fragen, warum? Nun, eine Freilassung beinhaltet auch Freiheiten, aber die werden den Gefangenen vorenthalten. Sie werden genötigt, das Land zu verlassen, und diejenigen, die sich weigern, werden mit einer »außergerichtlichen Genehmigung« entlassen und zu Häftlingen im eigenen Haus. Die Haftstrafe läuft de facto weiter und wird nicht aufgehoben. Generell ist das Verlassen des Gefängnisses der 52 ein Fortschritt, aber ein Erfolg wäre es, wenn alle politischen Gefangenen in Kuba freigelassen würden – das ist das Ziel.
Allerdings sind mittlerweile auch einige politische Gefangene entlassen worden, die nicht zur Gruppe der 75 gehören. Es hat den Anschein, als ob dies weitergehen würde.
Ja, das ist richtig, aber auch diese Gefangenen mussten nach Spanien ausreisen. Die hatten angeblich keine Wahl, und ich weiß nicht, wie die Bedingungen in Spanien sind. Die einen sagen dies, die anderen das. Ich kann es nicht beurteilen und will dazu nichts sagen. Was ich aber weiß, ist, dass sie ihr Land verlassen mussten. In Kuba ist die Situation hingegen so, dass man zwar nach Hause entlassen wird, aber eben ohne Garantien. Die Gesetze und die Urteile sind schließlich nach wie vor in Kraft, und theoretisch kann man auch wieder ins Gefängnis geschickt werden, um den Rest der Haftstrafe abzusitzen. Sicherheiten hat man keine. Das ist eine psychologische Verbannung, während die, die gehen, de facto verbannt werden.
Wie ist Ihre persönliche Situation – werden Sie beobachtet, wird Ihr Telefon abgehört? Hat sich etwas geändert?
Es hat sich nichts geändert. Es ist Teil unseres Alltags, dass wir konstant auf allen Kanälen überwacht werden. An den Gesetzen hat sich nichts geändert, und ich denke nicht, dass es mehr Freiheiten von offizieller Seite für Oppositionelle in Kuba gibt. Aber es gibt mehr Proteste aus der Gesellschaft – gegen die Beschneidung elementarer Freiheiten.
Was denken Sie über die Rolle der katholischen Kirche, die als erfolgreiche Vermittlerin zwischen der Regierung, der spanischen Diplomatie und der Opposition in Kuba gilt?
Die katholische Kirche ist der Mittler, den die kubanische Regierung nach dem Tod von Orlando Zapata Tamayo im Februar dieses Jahres brauchte, und sie erfüllt diese Rolle. Das heißt nicht, dass die Kirche hinter all den Botschaften steht, die sie überbringt. Sie hört sich die Positionen an, vermittelt und hat in den Verhandlungen einiges erreicht. Es sind Fortschritte sichtbar.
Die kubanische Regierung hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Reformen angeschoben, darunter die Entlassung von einer halben Million Staatsangesteller. Was halten Sie davon?
Die kubanische Regierung hat große Entlassungswellen, die in anderen Teilen der Welt bekannt gegeben wurden, in ihren sozialistischen Medien immer kritisiert. Nun greift sie zu den gleichen neoliberalen Instrumenten. Die Entlassung von einer halben Million Arbeitnehmern ist ein Schock. Allerdings gehen die Erklärungen der Regierung an der Essenz des Problems vorbei, mit welchem wir in Kuba konfrontiert sind – dem Fehlen ökonomischer Freiheit, dem Fehlen politischer, sozialer und kultureller Freiheit. Das sind Voraussetzungen dafür, dass eine Wirtschaft effizient funktioniert. Ohne ökonomische Freiheiten wird es in Kuba keine wirtschaftliche Dynamik, keine Prosperität geben.
Die jüngsten Maßnahmen, Läden zu eröffnen und Produktionsmittel an Bauern zu verkaufen, lassen doch eher auf eine Öffnung der Wirtschaft schließen.
Das ist sicherlich ein Schritt in eine neue Richtung, aber grundsätzlich denke ich, dass es der Regierung vor allem darum geht, sich an der Macht zu halten. Das ist das zentrale Ziel von Raúl Castro. Um die Wirtschaft anzukurbeln, müsste der Steuersatz von 35 Prozent für die Selbständigen reduziert werden. Bisher schreckt der ab, es fehlt an Anreizen, sich selbständig zu machen – denn was ist, wenn die Leute Steuern zahlen müssen und keine Einnahmen haben?
Was halten Sie von Spaniens Politik in Hinblick auf Kuba? Spaniens ehemaliger Außenminister Miguel Ángel Moratinos, der Ende Oktober abgesetzt wurde, galt schließlich als Vermittler zur Freilassung der politischen Gefangenen.
Moratinos hat sicherlich seinen Einfluss geltend gemacht für die Freilassung der 52 und auch für die von weiteren Gefangenen. Allerdings erfolgte dieser Einsatz nicht allein im Interesse der politischen Gefangenen. Er erfolgte, um die gemeinsame Position der Europäischen Union aufzuheben, die besagt, dass sich alle Staaten der EU für Menschenrechte und die Demokratisierung in Kuba einsetzen. Kuba soll wieder zu finanziellen Mitteln, zu mehr Kooperation mit dem alten Kontinent kommen. Moratinos hat also im Interesse der Diktatoren in Kuba agiert. Er ist ein Freund des politischen Establishments in Kuba und nicht der Häftlinge in den Gefängnissen.
Haben Sie die Hoffnung, Kuba verlassen zu können, um den Sacharow-Preis auch persönlich entgegenzunehmen?
Ich halte es nicht für sehr realistisch. Aber die Verweigerung der Ausreise würde nur einmal mehr zeigen, dass die Regierung genauso totalitär wie zuvor und die Freilassung von politischen Gefangenen nur kosmetischer Natur ist.