Gehe nicht über Los!

Noch hört man in der westlichen Welt selten etwas vom SSE Composite Index, dem Index der Börse von Shanghai. Doch schon bald werden Investoren vielleicht fragen: »Was kümmert mich der Dow Jones?« Den Chinesen fehlt eine Institution wie Hollywood, die, wie zuletzt in Oliver Stones »Wall Street: ­Money Never Sleeps«, das Image des durchtriebenen und rücksichtslosen, aber eben deshalb auch faszinierenden Bankers pflegt. Die Wall Street hat noch Glamour, anders als die Pudong South Road, an der die Börse von Shanghai liegt. Doch in den vergangenen zwei Jahren erlosch die Notierung von knapp 700 der rund 3 100 Unternehmen, deren Aktien an der Börse von New York gehandelt wurden. Wenn das in diesem Tempo weitergeht, wird die letze Aktie im Jahr 2017 den Besitzer wechseln. Das Hollywood-Sequel müsste dann »Wall Street: Last Broker Standing« heißen, statt Michael Douglas könnte Bruce Willis die Hauptrolle spielen.
Ganz so schnell aber wird es wohl nicht gehen. Überdies sind für die sinkende Popularität der Wall Street nicht allein ökonomische Faktoren ausschlaggebend. Die Unternehmen »flüchten vor strenger Regulierung«, urteilt der Spiegel, vor allem ist vielen an wohlwollende Behörden gewöhnten Managern offenbar der Eifer mancher US-Ermittler nicht geheuer. In »Money Never Sleeps« verlässt Gordon Gekko (Michael Douglas) das Gefängnis nach einer fast achtjährigen Haftstrafe, zu der er unter anderem wegen Insiderhandels verurteilt wurde. In einem deutschen Film müsste ein solches Szenario als unrealistisch bezeichnet werden. Doch in den USA, wo Jeffrey Skilling, der ehemalige Präsident des Energie­konzerns Enron, wegen diverser Betrügereien zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, sind »Wirtschaftskriminalität« und »Kavaliersdelikt« keine Synonyme. In der vergangenen Woche kündigten die US-Behörden eine Anklageerhebung gegen zahlreiche Gekkos des wirklichen Lebens an. In dreijährigen Ermittlungen sammelten das FBI und die Börsenaufsicht SEC Beweise für den Insiderhandel, die Weitergabe vertraulicher Informa­tionen über bevorstehende Geschäftsabschlüsse. Sollte das Beweismaterial überzeugend sein, hätten die Ermittlungen »das Potential, eine Kultur des umfassenden Insiderhandels im US-Finanzmarkt zu enthüllen«, urteilt das Wall Street Journal. Unter den drei Dutzend von den Ermittlungen betroffenen Unternehmen findet sich auch die Deutsche Bank. Bereits die Korruptionsskandale bei Siemens und Daimler waren von der SEC und nicht etwa von deutschen Ermittlern aufgeklärt worden. Für den vom Spiegel festgestellten »Exodus der Deutschen« gibt es also gute Gründe. Vorsicht ist allerdings beim Wechsel nach Shanghai geboten. Für Korruption kann in China die Todesstrafe verhängt werden.