Atommüll und Protest in Lubmin

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Schon wieder rollt ein Castor-Transport: Gegen die Einlagerung von Atommüll in Lubmin regt sich sogar im ruhigen Vorpommern Protest.

»Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später.« So lautet ein Zitat, das Otto von Bismarck zugeschrieben wird. Fünf Jahrzehnte hat es nun doch nicht ganz gedauert, bis das vorpommersche Greifswald eine Demonstration erleben durfte, deren Größe in anderen Städten nicht sonderlich aufsehenerregend ist. Etwa 3 000 Atomkraftgegner demonstrierten am Wochenende, bewacht von 900 Polizeibeamten, gegen die von der schwarz-gelben Regierung beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und gegen den Castor-Transport aus dem französischen Cadarache in das bundeseigene Zwischenlager Nord (ZLN) im wenige Kilometer von Greifswald entfernten Lubmin. Der hochradioaktive Atommüll in den vier Castoren stammt ursprünglich aus dem Atomforschungszentrum Karlsruhe und dem Forschungsschiff »Otto Hahn«.

Das von den Energiewerken Nord betriebene Zwischenlager befindet sich auf dem Gelände des 1990 abgeschalteten AKW »Bruno Leuschner«. Das Ende 1999 in Betrieb genommene Zwischenlager sollte ursprünglich nur den ostdeutschen Atommüll aus Lubmin und dem brandenburgischen AKW Rheinsberg aufnehmen. Auch die damalige Landesregierung aus CDU und FDP stimmte dem Bau des Zwischenlagers nur unter dieser Bedingung zu. Kritiker befürchteten bereits damals, dass dort auch westdeutscher Atommüll gelagert werden solle, da die Anlage für den Atommüll der beiden ostdeutschen AKW zu groß ist. Die Verantwortlichen haben dies jedoch immer wieder dementiert. Noch 2009 hat das Bundesamt für Strahlenschutz in seinem Statusbericht zur Atomenergienutzung ausgeführt: »Das ZLN dient der Aufnahme von abgebrannten Brennelementen, Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Abfällen aus den Reaktoren Rheinsberg und Greifswald.«
Die wenigen örtlichen Atomkraftgegner hatten in der Vergangenheit keinen leichten Stand. Über Jahrzehnte hatte man mit und von dem AKW in der Nachbarschaft ganz gut gelebt. Nach dem Baubeginn 1967 erlebte Greifswald den vermeintlichen sozialistischen Aufschwung. Während die Bausubstanz der Innenstadt dem Verfall preisgegeben wurde, entstanden vornehmlich für die bis zu 10 000 mit dem Bau des AKW beschäftigten Arbeiter die Trabantenstädte Schönwalde I und II am östlichen Stadtrand.
Doch jetzt regt sich wegen der angekündigten Castor-Transporte in der gesamten Region Widerspruch. Die Kreistage von Rügen, Ostvorpommern und die Bürgerschaften von Stralsund und Greifswald haben sich gegen die Zwischenlagerung und den Transport von Castoren aus anderen Bundesländern durch ihre Gebiete ausgesprochen. In Greifswald stimmte die CDU gegen diesen Vorschlag. Der CDU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Egbert Liskow forderte nach dem Beschluss »mehr Vernunft in der ganzen Debatte um die Atomkraft«. Liskow hat als Arbeiter im AKW »Bruno Leuschner« angefangen und ist mittlerweile Diplomingenieur für Kraftwerkstechnik. Er gilt als Befürworter der Atomenergie und empfindet die Forderung, dass kein Castor-Transport durch das Greifswalder Stadtgebiet fahren soll, als »reine Provokation«.

Ruhe gilt Liskows Parteikollegen anscheinend als erste Bürgerpflicht. So schrieb ein ehemaliger CDU-Bürgerschaftsabgeordneter in einem Leserbrief an die Lokalzeitung etwas unbeholfen: »Außerdem schaden die Demonstrationen und Blockaden unserem Tourismusstandort nicht un­wesentlich, wenn aus unserer schönen Landschaft bundesweit negative Schlagzeilen erscheinen.« Folgerichtig nahmen keine offiziellen Vertreter der CDU an der Demonstration teil. Lediglich der Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion wagte von einer Anhöhe aus einen verschämten Blick auf die Demonstration und zog anschließend kopfschüttelnd in Richtung Weihnachtsmarkt.
So verpasste der Mann von der CDU unter anderem die Rede von Bischof Hans-Jürgen Abromeit. Das Oberhaupt der vorpommerschen Protestanten mahnte einen die Umwelt und Ressourcen schonenden Energieverbrauch an und bezeichnete die derzeitige Atompolitik als »Verbrechen an unseren Kindern«. Weniger moralisierend trat Ulrike Berger vom »Anti-Atom-Bündnis Nord-Ost« auf: Das ZNO sei für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle schlicht ungeeignet. Es fehle eine sogenannte heiße Zelle zur Umlagerung von defekten Castoren. Deshalb stelle das ­Lager ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die Umgebung dar.
Weitere Personen kamen während des Rundgangs der Demonstranten um die Greifswalder Innenstadt zu Wort. Für Michael Succow, einen Biologen und Träger des alternativen Nobelpreises, blieb es »unfassbar«, dass auch 20 Jahre nach dem Ende der DDR noch »gegen diesen Wahnsinn« protestiert werden müsse. Succow forderte eine »Allianz der Vernünftigen«. Es sei nötig, »in dieser Atomdebatte die Führungsmannschaft auszuwechseln«.
Helmut Holter, der Fraktionsvorsitzende derLinkspartei im Landtag, hatte konkretere Vorschläge: Das Bundesland solle sich an der Klage gegen die Laufzeitverlängerung beteiligen. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), der auch an der Demonstration teilnahm, lehnte dies jedoch unter Hinweis auf die gegenteilige Haltung des Koalitionspartners CDU ab. Sellerings politischer Förderer und Amtsvorgänger Harald Ringstorff war da in anderen Fragen weniger zimperlich. Gegen den Willen des damaligen Koalitionspartners PDS stimmte er 2001 im Bundesrat für die umstrittene Rentenreform der Schröder-Regierung. Sellerings Koalitionspartner gibt sich derzeit ­distanziert. So wollte beispielsweise Innenminister Lorenz Caffier (CDU) »die Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit durch den Ministerpräsidenten« nicht kommentieren.

Sollte die Koalition wegen der Proteste Schaden nehmen, fände das Konrad Ott, Professor für Umweltethik an der Universität Greifswald, wahrscheinlich nicht bedauerlich. Er wünscht sich ohnehin andere Mehrheiten, vor allem auch nach der nächsten Bundestagswahl, und hofft dann auf Änderung der Atompolitik »zurück auf die Trittin-Linie, wenn nicht sogar einen Zacken schärfer«.
Bislang bleibt den Atomkraftgegnern aber nur der Protest. Für den Tag der Ankunft der Castoren in Lubmin rufen sie deutschlandweit zu »Flashmobs« vor allem auf Weihnachtsmärkten auf. Zudem sind Mahnwachen und Sitzblockaden auf den letzten 22 Kilometern der Zugstrecke geplant. Bereits im Frühjahr steht dann ein weiterer Castor-Transport bevor.