Syphilis sticht! Und andere Quartette

Syphilis sticht

Wenn es draußen kalt ist und früh dunkel wird, ist die Gelegenheit für Gesellschaftsspiele gekommen. Ivo Bozic und Markus Ströhlein haben sich die Zeit mit Tyrannen-, Seuchen- und Drogenquartetten vertrieben.

Werte Sowjet-Nostalgiker, ihr müsst jetzt sehr stark sein. Es gibt eine bittere Wahrheit, an der ihr wohl ganz schön knabbern werdet. Hier ist sie: Mao schlägt Stalin. Hart, aber wahr. Josef Stalin hat es nur auf 25 Millionen Todesopfer gebracht. Mao Zedong sticht den sowjetischen Diktator ohne weiteres aus: 35 Milli­onen Tote!
Wer Mao in seinem Blatt hat, besiegt seine Mitspieler mit der Zahl der Todesopfer eigentlich immer. Blasse Ostblock-Regenten wie Todor Schikow (500 Todesopfer), verweichlichte GUS-Autokraten wie Nursultan Nasarbajew (200 Todesopfer), zögerliche Junta-Chefs wie Moussa Traoré (1 000 Todesopfer) oder nachsichtige Nepotisten wie Teodore Obiang Nguema Mbasogo (500 Todesopfer) steckt locker in die Tasche, wer im Besitz der Mao-Karte ist. Dem chinesischen Diktator kann eigentlich nur einer wirklich gefährlich werden: der »Blitztrompf« Adolf Hitler, 55 Millionen Tote, in dieser Kategorie unschlagbar.
Das umfangreiche »Tyrannen-Quartett« mit seinen 64 Karten ist ein äußerst unterhaltsamer und praktischer Zeitvertreib. Die Spieler müssen keine besonderen Vor­aussetzungen mitbringen, sie müssen nicht rechnen, zählen oder strategisch denken können. Nur ein gewisses Maß an Zynismus kann nicht schaden, immerhin muss man sich darüber freuen können, wenn auf der Karte, die man gerade in der Hand hält, 3,5 Millionen Todesopfer (Kim Il-sung) angegeben werden, gegen die der Gegner mit lediglich 600 000 Todesopfern (Ajatollah Ruhollah Khomeini) nicht ankommt.
Allerdings gilt es, über gewisse politische und historische Urteile und Einordnungen hinwegzusehen. Dass etwa eine Karte von George W. Bush im »Tyrannen-Quartett« eines deutschen Herstellers zu finden ist, verwundert zunächst nicht. Bush aber 1,2 Millionen Todesopfer zuzuschreiben, womit er Benito Mussolini ebenbürtig ist, erscheint doch sehr fragwürdig. Und überhaupt: Wer hat sich die Gruppen ausgedacht, nach denen die Tyrannen sortiert sind? Weshalb gehört Hitler zu den »Faschisten« und nicht zu den »Völkermördern«? Wo liegt der Unterschied zwischen den »Militärs« und »Junta-Chefs«? Warum zählt Kim Il-sung zu den »Kommunisten«, Kim Jong-il aber zu den »Isolationisten«? Von der Behelfskategorie der »Charismatiker«, zu denen Tito und Fidel Castro gehören sollen, wollen wir gar nicht erst reden.
Zweifel drängen sich auch beim Spielen des »Seuchen-Quartetts« auf. Nehmen wir zum Beispiel mal die von Pärchenegeln übertragene Infektionskrankheit Bilharziose. Kategorie »jährliche Infektionen«: 225 Millionen. Kategorie »Letalität«: bis zu 40 Prozent. Wer kurz überschlägt, wundert sich: Bis zu 88 Millionen Menschen sollen im Jahr an Bilharziose sterben? Wer Google bemüht, wird beruhigt: Die Angaben schwanken zwischen 20 000 und 300 000 Toten im Jahr – wieder was gelernt.
Überhaupt ist das »Seuchen-Quartett« lehrreich und regt zu weiteren Nachforschungen an. Wer etwa »Rotz« bislang für den schleimigen Nasenausfluß bei Erkältung hielt, wird eines Besseren belehrt: Das Bakterium Burkholderia mallei löst die Infektionskrankheit Rotz aus. Inkubationszeit: zwischen einem Tag und zwei Wochen. Letalität: bis zu 90 Prozent. Jährliche Infektionen: 12 000. Nachweis seit: 1885. Ist die Neugier erst geweckt, befragt man Wikipedia und erfährt: Rotz ist in erster Linie eine Pferdeseuche, tritt aber auch beim Menschen auf. »Arbeiten mit dem Erreger sind auf Labore der Sicherheitsstufe 3 begrenzt. Wegen seiner Humanpathogenität und potentiell hohen Kontagiosität ist Burkholderia mallei als biologischer Kampfstoff der Klasse B eingeordnet.« Wären Sie ohne das »Seuchen-Quartett« auf diese erstaun­lichen Informationen gestoßen?
Auch beim »Drogen-Quartett« kann man viel lernen. Die Kategorien informieren darüber, seit wann der Konsum belegt ist, wie lange die Wirkung anhält, wie viel die Droge pro Rausch kostet, wie hoch die Zahl der Konsumenten und die der jährlichen Drogentoten weltweit ist. Doch gerade was die Zahl der Toten angeht, sind die Informationen fragwürdig. Cannabis: null. Lachgas: weniger als 100. Wie bitte soll man an Lachgas sterben, es sei denn, durch völlig unsachgemäßen Gebrauch? Durch unsachgemäßen Gebrauch kann man jedoch auch an Salz sterben, etwa wenn man zehn Esslöffel futtert, oder an einem Hammer, wenn man ihn sich über den Schädel haut.
Der Spielanleitung zufolge werden bei den Todesfällen jene gezählt, die auf eine »akute Überdosis« oder auf eine langfristige körperliche Schädigung zurückzuführen sind. Unfälle oder Suizide jedoch habe man nicht aufgeführt. Doch gerade am Fall der auf einer Karte angeführten 8 000 Opfer von Benzodiazepinen lässt sich die Trennung von Überdosis und Suizid schwer nachvollziehen. Wie man es dreht und wendet, diese Kategorie taugt nichts. Und auch die Kategorie »Wirkungsdauer« ist teilweise fraglich. »Zehn bis 30 Minuten« ist da für eine Zigarette angegeben. Welche Wirkung soll die denn haben? Dass die Autoren bei ihren Zigaretten einen Rausch verspürt haben, muss daran liegen, dass sie ihnen etwas anderes beigemischt haben, und es ist nicht schwer zu erahnen, was.
Dass in unserem Testspiel Kaffee das gefürchtete Heroin geschlagen hat, einfach weil die Zahl der Koffein-Konsumenten mit vier Milliarden angegeben wird (Heroin: zwölf Millionen), hat uns auch verblüfft. In jedem Fall sind die Quartette als launiger Zeitvertreib zu empfehlen, allein schon wegen Dialogen wie diesem: »Geil, ich habe Aids! Letalität: bis 100 Prozent.« – »Mist. Ich habe Syphilis. Nur zwei Prozent Letalität.«