Berichtet über das Sozialforum in Dakar

Die Helden aus Tunis sind da!

Auch auf dem Weltsozialforum in Dakar waren die Revolten in Tunesien und Ägypten ein wichtiges Thema. Abgesehen von der Begeisterung für die neuen Entwicklungen in der arabischen Welt blieb die poli­tische Richtung der Veranstaltung aber unklar.

Lange hatten die Ägypter auf dem Tahrir-Platz demonstriert, doch der Präsident blieb unbeeindruckt. Just in jener Stunde, als am Freitag vergangener Woche auch Hunderte Teilnehmer des Weltsozialforums (WSF) vor der ägyptischen Vertretung in der senegalesischen Hauptstadt Dakar »Freiheit für das ägyptische Volk!« riefen, trat Hosni Mubarak zurück. Zu diesem Zeitpunkt war das WSF fast zu Ende, doch diese Nachricht sorgte bei der Veranstaltung für einen kurzen Anflug von Euphorie. Denn die Faszination für die jüngsten Revolten in Nordafrika war der einzige, wenn auch symbolische, Fluchtpunkt des ersten WSF in einem islamischen Land. Politisch blieb dies aber weitgehend folgenlos.
Schon vor zwei Jahren entschloss sich der Internationale Rat des WSF, das diesjährige Forum in Dakar stattfinden zu lassen. Damit wollte das Gremium »einen Schritt auf die arabische Welt« zu­gehen, sagt Jürgen Reichelt, der deutsche Vertreter im Rat. Schon 2009 sei klar gewesen, dass in den arabischen Ländern eine »zivilgesellschaftliche Dynamik« in Gang komme, obwohl diese sich »noch unglaublich schwer tut«. Doch auch wenn sich in den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens Frauen-, Menschenrechts- und Journalistenverbände zunehmend Gehör verschaffen würden – ein WSF dort auszurichten, sei »immer noch ausgeschlossen«.
Umso größer waren die Hoffnungen, als im Januar die tunesische Bevölkerung den Diktator Ben Ali aus dem Amt jagte und kurz vor Beginn des WSF auch die Ägypter massenhaft auf die Straße strömten. Was dort die Jugend hat revoltieren lassen, sei auch im subsaharischen Afrika zu beobachten, sagt Reichelt: »Halb-Diktaturen, die innere Reformen unmöglich machen. Was ihnen dadurch wirtschaftlich und politisch vorenthalten wird, das wissen junge Leute durch das Internet sehr genau.« Die zeitliche Koinzidenz der Aufstände mit dem Forum sei »spektakulär, das WSF kriegt dadurch einen ganz neuen Drive.«

Dem Forum hätte dies zweifellos gut getan. Denn nicht einmal die Bankenkrise vermochte der Forumsbewegung, die in der Hochphase der Gipfelproteste Anfang des vergangenen Jahrzehnts entstanden ist und die sich in der Hauptsache mit Themen wie der Verschuldung der Entwicklungsländer und den Weltwirtschaftsbeziehungen befasst, mehr politische Relevanz zu geben.
Ob sich die Hoffnungen einlösten, das WSF könne während der arabischen Revolten einen erneuten Auftrieb gewinnen, ist zweifelhaft. In seinen letzten Tagen hatte das ägyptische Regime Vertretern von NGO die Ausreise nach Dakar verboten. Gekommen sind aber mehrere Delegationen aus Tunis. Wie Popstars werden sie auf dem Campus herumgereicht. Einer von ihnen war Zinourbi Nizar. Der 27jährige Linguistikstudent aus Sidi Bouzid protestiert seit Dezember gegen den ehemaligen Präsidenten Ben Ali, er habe dies nur unterbrochen, um nach Dakar zu kommen. »Wir machen noch immer Demonstrationen und Mahnwachen«, sagt er. »Das läuft so lange weiter, bis alle Kollaborateure weg sind.« Die Vorstellung, ein neuer, von anderen Parteien getragener Nepotismus könne sich nun breitmachen, ist ihm ein Graus. »Wir sind gegen alle Parteien«, sagt Nizar.
Auf den Panels zu Tunesien geht es um verschiedene Aspekte der Revolution, etwa die Rolle des Internet. Als Wikileaks Anfang Dezember Memos des amerikanischen Botschafters in Tunis, Robert C. Godec, veröffentlichte, in denen dieser von »exzessiver Korruption« und der »quasi-mafiösen Familie« Ben Alis sprach, »da war für uns klar, dass der Westen Ben Ali nicht mehr stützt«, erzählt Nizar. »Das hat uns Mut gemacht.« Zudem sei es mit Hilfe von Twitter und Facebook möglich gewesen, sich trotz Verboten massenhaft auf der Straße zu versammeln. In der Universität von Dakar führen Nizar und andere Tune­sier Videos aus den Tagen der Revolte vor. Die heroische Musik und die immer wieder hineingeschnittenen Bilder tausender in den Himmel steigender Luftballons in den tunesischen Nationalfarben, Rot und Weiß, ändern nichts an der Begeisterung, mit der viele junge Afrikaner ihren Schilderungen zuhören. »Alle wollen mit uns reden, die Leute beglückwünschen uns hier«, sagt Nizar.
Doch dabei bleibt es meistens. Denn wie sich die revolutionäre Erregung in eine politische Perspektive für die subsaharischen Länder überführen lässt, darauf vermag das Forum keine Antwort zu geben. Der einzige direkte politische Anknüpfungspunkt bleibt die Forderung, die neue tunesische Regierung möge sich der europäischen Forderung verschließen, an der Südgrenze der Festung Europa afrikanische Migranten abzuwehren.

Ansonsten bleibt der »neue Drive« auf dem WSF vor allem atmosphärisch. Das hat sicherlich mit dem überbordenden Organisationschaos zu tun. Vor allem aber hat das als Begegnung von Basisbewegungen vorgesehene Treffen ein ungeklärtes Verhältnis zur staatlichen Macht. Und auch wenn viele Organisationen sich explizit als Grassroots-Initiativen betrachten und mit entsprechenden Forderungen nach Dakar gekommen sind, bleibt weitgehend unklar, wohin die politische Reise gehen soll. Starke Fraktionen innerhalb der WSF-Organisation hoffen bei ihrem »Kampf gegen den Imperialismus« vor allem auf den Staat.
Am Sonntag spricht der bolivianische Präsident Evo Morales in Dakar, der zumindest geltend machen kann, schon als Sprecher des Coca-Bauernverbandes auf einem WSF gewesen zu sein. Auch der ehemalige brasilianische Präsidenten Lula da Silva ist eingeladen, der vom »Ende des Kapitalismus« schwadroniert, aber gleichzeitig die Entwicklungsländer als Schlüssel zu einem »neuen Wachstumszyklus« sieht.

Wo das neue Wachstum aus dem Süden herkommen soll, lässt sich in einem riesigen Pavillon des brasilianischen Ölkonzerns Petrobras betrachten. In seinem auf dem WSF verteilten »Nachhaltigkeitsbericht« meldet der Konzern stolz, dass er zwei Millionen Barrel Erdöl am Tag aus dem brasilianischen Boden pumpt und damit rund 30 Mill­iarden Dollar im Jahr verdient. Die Vertreter marokkanischer Gewerkschaften, die der Regierung nahe stehen, haben nichts Besseres zu tun, als auf der Auftaktdemonstration die Rückgabe der seit dem Mittelalter zu Spanien gehörenden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla an den marokkanischen König zu fordern. Tage später sprengen offenbar nationalistische marokkanische Teilnehmer die Veranstaltungen der west­saharischen Unabhängigkeitsbewegung auf dem Forum.
Ähnlich staatstragend verläuft die Abschlussveranstaltung. Denn obwohl die Staatsführung des technokratischen senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade in Sachen Korruption und Repression nicht an seine nordafrikanischen Kollegen heranreicht, ist auch sein Regime berüchtigt. Erst kürzlich hat er für 20 Millionen Euro das gigantomanische »Denkmal der afrikanischen Wiedergeburt« bauen lassen und sich persönlich 35 Prozent der Einnahmen aus den Eintrittspreisen gesichert. Das hält die WSF-Organisatoren nicht davon ab, ihre in vier Sprachen vorgetragene Abschlussrede mit einer Dankesrede an Wade einzuleiten, der dieses Forum »erst möglich gemacht« habe.