Die Europäische Zentralbank und die deutsche Euro-Politik

Einsamkeit als Kündigungsgrund

Axel Weber hat seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank zurückgezogen. Der Bundesregierung dürfte es nun schwerer fallen, ihre Interessen in der Euro-Politik durchzusetzen.
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Axel Weber gilt als Mann alten Schlages. Gerüstet mit den Prinzipien der Bundesbank stellte er sich dem Kampf gegen die Inflation und versuchte, die Stabilität des Euro zu sichern. Bei seinen Kollegen in der EU hat sich der noch amtierende Präsident der deutschen Bundesbank damit nicht gerade beliebt gemacht, vor allem bei den Vertretern der südeuropäischen Unionsstaaten regte sich Widerstand. Überraschend verkündete Weber vor knapp zwei Wochen, dass er nicht mehr für das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) kandidiert. Kurz darauf gab er bekannt, dass er die Bundesbank Ende April verlassen wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte mit dieser Entscheidung nicht gerechnet haben. Für die Suche nach einem neuen Bundesbankpräsidenten ließ sie sich jedoch nur wenig Zeit, am Donnerstag voriger Woche präsentierte sie Jens Weidmann als Nachfolger. Bisher war Weidmann Merkels engster Berater in wirtschaftspolitischen Fragen. Angesichts seines direkten Wechsels vom Kanzleramt an die Spitze der Bundesbank zeigten sich einige Kommentatoren skeptisch, ob Weidmann über die für das Amt erforderliche Unabhängigkeit verfüge.

Wirklich besorgt klangen allerdings die Fragen, wie es nach Webers Rückzug von der Kandidatur für das Amt des EZB-Präsidenten um Deutschlands Interessen in der europäischen Finanzpolitik bestellt sei. Webers Abgang sei eine »Weichenstellung« für den Euro und für die Inflation, urteilte Roland Tichy. Der Chefredakteur der Wirtschaftswoche fürchtet, dass nach dem Rückzug des deutschen Kandidaten in der EU ein Politikwechsel anstehen könnte: Weg von den stets korrekt haushaltenden Nordeuropäern, hin zum haushaltspolitischen Schlendrian der Südländer. Über Webers Beweggründe wurde viel spekuliert. Schließlich war er Merkels Wunschkandidat für den einflussreichen Posten des EZB-Präsidenten. Auf den ersten Blick scheint es, als würden damit die Ambitionen der Bundesregierung in der Euro-Politik scheitern. Wenn Merkel über die Stabilität des Euros sprach, spielte in ihren Reden Webers Kandidatur implizit immer eine Rolle. Der Bundesbankpräsident war in der Vergangenheit vor allem durch seinen vehementen Einsatz für einen starken Euro aufgefallen. Als Mitte des vergangenen Jahres auf den globalen Finanzmärkten die große Spekulation gegen den Euro begann, hielt die EZB dagegen und kaufte griechische Staatsanleihen auf. Weber stellte sich öffentlich gegen das Vorgehen der Bank. Der Entschluss der EZB, Anleihen aufzukaufen, berge »erhebliche stabilitätspolitische Risiken«, sagte Weber. Daher sehe er »diesen Teil des Beschlusses des EZB-Rates auch in dieser außerordentlichen Situation kritisch«.

Weber brach mit diesen Äußerungen ein Tabu. Denn bis dahin wurden die Diskussionen innerhalb des Rates so diskret geführt, dass keine Differenzen an die Öffentlichkeit gelangten. Webers Kritik verstieß nicht nur gegen die Gepflogenheiten der Zentralbank, sie zielte vor allem gegen Jean-Claude Trichet, den Präsidenten der EZB. Das Verhältnis zwischen beiden galt danach als gestört und es wurde zunehmend deutlich, dass der Bundesbankpräsident auch innerhalb des EZB-Rates isoliert war. Im Gespräch mit dem Spiegel sagte Weber, dass die Glaubwürdigkeit des Amtes leide, wenn der Präsident der EZB eine Minderheitsmeinung vertrete. Seit der Griechenland-Krise sei bei ihm daher der Entschluss gereift, nicht mehr für das Amt zu kandidieren. Sein Rückzug von der Kandidatur für das Amt des EZB-Präsidenten sagt viel aus über den Zustand der Eurozone. Unter den Euro-Staaten herrscht Zerstrittenheit über die richtige Strategie im Umgang mit den stetig steigenden Schulden. Der Konflikt besteht jedoch nicht einfach zwischen dem Norden und dem Süden, sondern vielmehr zwischen den Staaten, die einen Exportüberschuss erwirtschaften, und denen, die mehr importieren als exportieren. Die Exporteure sind Deutschland, die Niederlande, Österreich, Finnland und Luxemburg. Ihnen gegenüber stehen die Importeure, die die Mehrheit der Euro-Staaten darstellen. Für die Besetzung der EZB-Präsidentschaft ist dieser Umstand wesentlich. Denn die weitere Strategie der Zentralbank entscheidet über die wirtschaftliche Zukunft der Importstaaten.

Die deutsche Regierung hegt derzeit die Hoffnung, mit guten Exportbilanzen Schulden abbauen zu können. Für die Länder mit einem Exportdefizit dürfte diese Strategie nicht tragbar sein. Sie müssten nicht nur den Konsum deutlich einschränken, sondern auch ihre Produktivität wesentlich steigern, um international wieder konkurrenzfähig zu werden. Für Staaten wie Griechenland oder Irland ist das fast nicht zu bewerkstelligen. Beide Länder verfügen kaum über eine nennenswerte Industrie und damit auch über wenige exportierbare Waren. Um jedoch das nötige Geld für den Schuldenabbau verdienen zu können, ist der Export notwendig, denn wer kein Geld verdient, kann auch kein Geld zurückbezahlen. Ihnen bleibt daher nur eine stärkere Inflation, um Schulden abzubauen, denn eine schwächere Währung verringert den Wert der Schulden.
Und hier beginnt das eigentliche Problem. Die Kreditgeber der verschuldeten Euro-Staaten sind fast ausnahmslos die wohlhabenden Exportstaaten der EU. Für Deutschland, die Niederlande, Österreich, Finnland und Luxemburg stellt sich die Sache damit komplett gegensätzlich dar. Was für die Importstaaten Schulden sind, ist für Exportstaaten Guthaben. Sinkt aufgrund einer stärkeren Inflation der Wert der Währung, bedeutet das für die einen eine Erleichterung, weil sich die Schulden verringern, und für die anderen einen Verlust, weil ihr Kapital an Wert verliert. Merkels Euro-Politik dürfte es nach Webers Rückzug schwerer haben. Denn er sollte derjenige sein, der dem Kapitalgeber Deutschland eine stabile Währung garantiert. Tichy bezeichnete Weber als einen der »letzten prominenten Verfechter der reinen Lehre der Anti-Inflationspolitik«. Damit hatte er nicht ganz unrecht. Mit dem Abgang des Kandidaten ist der Kampf um den zukünftigen Kurs der EZB für die Exportdefizitländer allerdings noch nicht gewonnen. Die Bundeskanzlerin wird sich nicht ohne weiteres damit abfinden, dass ihre Euro-Stabilitätspolitik gescheitert ist.
Allerdings werden die Chancen für eine Ausrichtung der EZB, die sich den deutschen Ambitionen anpasst, geringer. Neben Weber waren bis vor kurzem noch zwei weitere Kandidaten im Gespräch: Der finnische Zentralbankgouverneur Erkki Liikanen und sein luxemburgischer Kollege Yves Mersch. Sowohl die luxemburgische als auch die finnische Regierung haben jedoch kürzlich erklären lassen, dass sie keinen eigenen Bewerber für die EZB-Präsidentschaft stellen werden. Finnlands Finanzminister Jyrki Katainen sagte: »Es ist schön zu sehen, dass Liikanen geschätzt wird, aber wir haben derzeit nicht vor, einen Kandidaten zu benennen. Wir wollen abwarten, wie sich die Situation entwickelt.« Man gehe weiterhin davon aus, dass der Nachfolger von Trichet entweder aus Deutschland oder aus Italien kommen werde. Die Bundesregierung hat in der Zwischenzeit mitgeteilt, es sei nicht auszuschließen, dass noch ein Bewerber aus Deutschland nominiert würde. Mit Mario Draghi, dem Präsidenten der italienischen Notenbank, stellen derzeit allerdings nur die Exportdefizitländer einen aussichtsreichen Kandidaten.