Die Migrationsdebatte in Frankreich

Der Marine-Le-Pen-Effekt

Die französischen Rechtsextremen stellen für die Regierungspartei von Präsident Sarkozy eine ernsthafte Konkurrenz dar. In der Debatte um die Migranten aus Nordafrika kommen die Positionen des Front National bei der rechtskonservativen Wählerschaft gut an.

Während andere Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts in Europa Adolf Hitlers Geburtstag vorbereiteten, wurde Alexandre Gabriac am 19. April aus seiner bisherigen Partei, dem Front National (FN), ausgeschlossen. Dem 21jährigen wurde vorgeworfen, auf Facebook Aufnahmen veröffentlicht zu haben, auf denen er den Hitlergruß zeigt. Die Parteivorsitzende Marine Le Pen verkündete von ihrem Urlaubsort in Thailand aus, dass Garbiac von der Mitgliederliste »gestrichen« werde. Die neue Chefin achtet sehr auf das Image ihrer Partei, und offene Nazinostalgie passt nicht in deren derzeitige Linie. Für Ma­rine Le Pen steht viel auf dem Spiel. Umfragen sagen ihr derzeit einen sicheren Einzug in die Stichwahl bei der Präsidentschaftswahl 2012 voraus.
Sorgen darüber, am zweiten Wahlgang teilnehmen zu können, muss sich hingegen die regierende Partei UMP machen. Nicolas Sarkozy weigert sich bislang, offiziell auf die Kandidatur zu verzichten, obwohl manche ihm dazu raten. Um als halbwegs glaubwürdiger Kandidat aufzutreten, muss er darauf achten, vor allem den sozial Frustrierten irgendeine Botschaft zu bieten. Neben einem Großteil der Arbeiter und der Unterklassen sieht auch die Mittelschicht ihre Kaufkraft rapide sinken. Es wird auch immer schwieriger in Frankreich, halbwegs bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Bei einem Auftritt in den Ardennen, in einem früher industriell geprägten Krisenbezirk, richtete sich Sarkozy vergangene Woche an die Arbeiter. Dort hielt er eine Ansprache vor den Bürgermeistern der Region. Nicht wenige von ihnen boykottierten die Rede. Im Dezember 2006 hatte Sarkozy an diesem Ort mit einer Wahlkampfrede die Rechten unter den Arbeitern noch begeistern können. Damals hatte er ein positives Arbeitsethos gefordert, unter dem Motto »La valeur travail« (Arbeit als Wert), und diese Forderung mit dem Versprechen verbunden, dass am Monatsende auch etwas im Geldbeutel bleiben werde. Dies verband Sarkozy mit der Ankündigung, Frankreich werde »seine nationale Identität« gegen die »Stürme der Globalisierung« und die internationale Konkurrenz verteidigen. Doch die Hoffnungen, die manche Lohnabhängige damals an diese Versprechungen knüpften, sind längst geschwunden.

Die Arbeiter, die rechts wählen, haben sich unterdessen längst Marine Le Pen angeschlossen, die den FN vordergründig modernisiert hat. Doch die Regierungspartei tat in den vergangenen Wochen alles, um den Rechtsextremen noch zusätzlichen Auftrieb zu verschaffen. Der UMP bevorzugt es offenbar, dass unzufriedene Wähler den FN stärken und nicht die sozialdemokratische Opposition.
Einen Vorwand dafür liefert der Streit mit Italien über die Einwanderer aus Tunesien, die in den vergangenen Wochen über den Grenzübergang zwischen Ventimiglia und Nizza nach Frankreich einzureisen versuchten. Konservative Me­dien und Politiker beschworen eine »nationale Bedrohung«. In der zweiten Aprilwoche sprach die konservative Tageszeitung Le Figaro von einer »Sturmflut«, die an der Grenze bevorstehe. Dort hat Frankreich die Reisefreiheit an den Binnengrenzen der Europäischen Union, die durch das Schengen-Abkommen gewährleistet wird, seit Wochen ausgesetzt. Nachdem Frankreich einen Tag lang sämtliche Züge, die von Ventimiglia aus in Richtung Südostfrankreich fahren, gestoppt hatte, um die befürchtete Einreise von Tunesiern zu verhindern, organisierten antirassistische Gruppen den »Zug der Würde« von Italien nach Frankreich, der ebenfalls an der Grenze aufgehalten wurde (Jungle World, 16/11). Der den Grünen angehörende Politiker Noël Mamère sprach von einem »skandalösen Verhalten« Frankreichs, das auch von EU-Institutionen gerügt wurde.
Kaum hatte Marine Le Pen Anfang März ihre Vorstellungen für den Umgang mit den Nord­afrikanern verkündet – die Marine solle deren Schiffe »in internationale Gewässer zurückschicken« –, antwortete eine Abgeordnete der UMP, Chantal Brunel: »Auf Boote setzen und zurücksenden.« Ihre Offenheit sorgte dafür, dass Premierminister François Fillon sich im Parlament von ihr distanzierte.
Fillon durfte in den vergangenen Wochen zu den Moderaten in der Regierung gezählt werden, im Gegensatz zu Nicolas Sarkozy und seinem neuen Innenminister und ehemaligen Berater, Claude Guéant. Dieser hatte bereits am 17. März verkündet, die Franzosen seien über eine angeb­liche »unkontrollierte Einwanderung« zu Recht »beunruhigt«. Er sprach von einem excès d’immi­gration, aufgrund dessen viele Franzosen sich in ihrem Land »nicht mehr zu Hause« fühlten. Daraufhin kündigte Marine Le Pen vor laufenden Kameras an, ihm den »Ehren-Mitgliedsausweis des FN« zu überreichen.

Guéant kündigte zwischenzeitlich an, »nicht nur die illegale, sondern auch die legale Einwanderung« zu reduzieren. Mitte April meinte er, vorläufig wolle er »als erstes Ziel« die Anzahl der jährlich erteilten Aufenthaltstitel um ein Zehntel reduzieren, »von 200 000 auf 180 000« . Diese Zahl umfasst sämtliche Kategorien: Ehepartner von französischen Staatsbürgern, Angehörige von Zuwanderern mit legalem Status und einem Recht auf Familienzusammenführung, neu angeworbene Arbeitskräfte in »Mangelberufen« oder mit seltenen Qualifikationen sowie politische Flüchtlinge.
In Brüssel, so berichtet das dortige Büro von Le Monde, spreche man bereits von einem »Ma­rine-Le-Pen-Effekt«. Wenn Frankreich sich gegen die »europäische Solidarität« bei der Aufnahme von über Italien einreisenden Zuwanderern wende sowie gegen neue Gelder für die Bewältigung der Ost- und Südost-Erweiterung der EU, dann spiegele sich darin der wachsende Einfluss des FN.