Proteste und Repression in Syrien

Syrial Killer

Obwohl das syrische Regime nun auch Panzer gegen Protestierende einsetzt, muss es die »internationale Gemeinschaft« nicht fürchten.

»Jableh ist von Sicherheitskräften umstellt. Die Toten sind in den Moscheen und den Häusern. Wir können sie nicht herausbringen.« Das berichtet ein Augenzeuge aus der Kleinstadt an der Mittelmeerküste. Ähnlich ist die Lage in Deraa an der Südgrenze: »Es gibt eine Sperrstunde, und sie schießen auf die, die ihre Häuser verlassen. Sie schießen sogar auf Wassertanks auf den Hausdächern, um den Leuten das Wasser zu entziehen.«
Die Nachrichten sind spärlich und nicht überprüfbar, denn in Syrien arbeiten keine unabhängigen Journalisten mehr. Telefonische Berichte und Videofilme belegen jedoch, dass es auch in Kleinstädten wie Deraa und Jableh mit jeweils etwa 80 000 Einwohnern Massendemonstrationen gibt. Bislang wurden mehr als 350 Menschen getötet. Das Regime hat seine Strategie nun geändert, man wartet nicht mehr auf die Proteste. Mit überwältigender militärischer Macht werden Städte besetzt, es folgen Razzien, Verhaftungen und Morde. Nach Angaben der syrischen Menschenrechtsgruppe Insan sind seit Freitag voriger Woche 221 Menschen »verschwunden«.
Hafez al-Assad hatte im Jahr 1982 im Kampf gegen einen bewaffneten Aufstand der Muslimbruderschaft die Stadt Hama bombardieren und mindestens 10 000, vielleicht auch 40 000 Menschen töten lassen. Ein Massenmord in dieser Größenordnung könnte derzeit unerwünschtes Aufsehen erregen. Doch solange Assad mit größerem taktischem Geschick als Muammar al-Gaddafi agiert, hat er wohl wenig zu befürchten. Indirekt bestätigte dies Jay Carney, der Pressesprecher des US-Präsidenten Barack Obama. Die Umstände in Libyen seien »einzigartig« gewesen, da ein Angriff auf »eine Stadt mit einer ziemlich großen Bevölkerung« (Bengasi) bevorstand, es einen »internationalen Konsens« gab und die Opposition um Unterstützung gebeten hatte.
Da es in Syrien keine befreiten Gebiete gibt, konnte sich noch kein Gremium bilden, das, wie der libysche Transitional National Council, für die Aufständischen sprechen könnte. Man muss davon ausgehen, dass die »internationale Gemeinschaft« darüber nicht unglücklich ist, denn ein repräsentatives Gremium ließe sich schwerer ignorieren als ein Anrufer aus Deraa, der über die Nachrichtenagentur AP um ausländische Unterstützung bittet.
Der »internationale Konsens« sieht offenbar vor, weiterhin auf die von Assad versprochenen Reformen zu warten. Bislang hat nur die US-Regierung angekündigt, sie werde »gezielte Sanktionen« in Erwägung ziehen, doch anders als im Fall Libyens ist von einem regime change nicht die Rede. Assad hat es verstanden, sein Regime als unentbehrlich, wenigstens aber als akzeptabel erscheinen zu lassen. Schlimmstenfalls gilt er als the devil we know, weil er zwar diverse Terrorgruppen unterstützt, mit dem Iran verbündet ist und jeden Kompromiss mit Israel ablehnt, aber bislang immer rechtzeitig nachgegeben hat, wenn eine ernsthafte Konfrontation drohte.
Für die westlichen Regierungen ist die arabische Revolte eine lästige Störung der geregelten Geschäftstätigkeit, für die Autokraten der Region ist sie eine existentielle Gefahr. Die Oppositionellen in Syrien, aber auch in den Golfmonarchien, können auf internationale Hilfe nicht zählen. Im Familienkreis der Gaddafis wird man nun vielleicht mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass die Intervention wohl hätte vermieden werden können, wenn man sich Assads diskreterer Methoden bedient und nicht vor aller Welt mit einem Massaker in einer Millionenstadt gedroht hätte.