Über die neue Protestbewegung in Spanien

Yes, we camp

Clown-Workshops statt Kapitalismuskritik: In Spanien ist eine neue Protestbewegung entstanden.

Das etwas irreführende Label ist #spanishrevolution. In den vergangenen Wochen hat sich in Spanien unter dem Motto »Reale Demokratie – Jetzt!« abseits linker Gruppen und Gewerkschaften eine Protestbewegung entwickelt. Im ganzen Land finden auf besetzten Plätzen Dauerkundgebungen statt, selbstverwaltete Camps und sogar Zeltstädte wie in Barcelona und Madrid sind entstanden. Menschen aus den verschiedensten Milieus organisieren sich dort, diskutieren, wollen ohne ­Hierarchien zusammenarbeiten und proben den kollektiven zivilen Ungehorsam.
Die Platzbesetzungen im ganzen Land waren vor allem eine Reaktion auf die polizeiliche Räumung des Madrider Camps am 17. Mai. In Madrid gab es am vergangenen Wochenende in der ganzen Stadt Nachbarschaftsversammlungen, um die Selbstorganisation der temporären Camps in den Stadtvierteln zu propagieren. In dieser Hinsicht handelt es sich um eine interessante poli­tische Entwicklung.
Die vielerorts verkündete Botschaft, dass die arabischen Aufstände nun auf Europa übergreifen, sollte aber skeptisch betrachtet werden. Das Geschehen auf der Madrider Puerta del Sol hat wenig mit den Ereignissen auf dem Kairoer Tahrir-Platz gemeinsam, auch wenn die Medien dies ebenso wie die Protestierenden unermüdlich behaupten. An den ersten, lange zuvor geplanten Demonstrationen am 15. Mai nahmen 150 000 Menschen teil. Die Proteste waren kleiner als der wenig erfolgreiche Generalstreik im September vorigen Jahres. Auch der Anteil derer, sie sich bei den Regionalwahlen am 22. Mai enthielten, war keineswegs höher als in den vergangenen Jahren, obwohl das Wahlsystem und die Vorherrschaft der beiden großen Parteien PSOE und PP zentrale Kritikpunkte der Bewegung sind. Viele der Unzufriedenen haben sich offenbar der Volkspartei (PP) zugewandt, statt sich an den Protestcamps zu beteiligen. Die Rechtskonservativen gewannen eine halbe Million Stimmen hinzu.
Von einem allgemeinen Aufstand kann also kaum die Rede sein. Zu einem Aufstand gehört zudem ein gewisses Maß an Radikalität, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Die Vollversammlung der »Sonnenrepublik«, wie das zentrale Camp in Madrid genannt wird, hat vergangene Woche vier Forderungen beschlossen, über die nun debattiert werden soll: Reform des Wahlsystems, Kampf gegen die Korruption, effektive Gewaltenteilung und die Einrichtung von Kon­trollmechanismen, um die Abwesenheit von Politikern im Parlament überwachen zu können.
Nach einer Revolution klingt das nicht gerade. Revolutionär wollen die meisten Protagonisten der #spanishrevolution aber auch gar nicht sein. Im Grunde wollen sie nur – auf friedlichem Wege, wie stets betont wird – die Politiker dazu bringen, ihren Job wieder richtig und verantwortungsvoll zu machen.
Offenbar gibt es falsche Vorstellungen darüber, was deren Job im Kapitalismus ist. Am Freitag vergangener Woche wurde das Camp in Barcelona äußerst brutal von der Polizei geräumt, es gab fast 100 Verletzte, die Ausrüstung der Besetzer inklusive aller Computer wurde von der Stadtreinigung mitgenommen. Ob dies zu einer auch inhaltlichen Radikalisierung der Protestbewegung beitragen wird, ist unklar. Vorerst wurde mit Blumen demonstriert, »als Zeichen für unseren Pazifismus im Angesicht der Gewalt«.