Die Kommunalwahlen und die Zukunft der Regierung in Italien

Ein schlechter Verlierer

Der Sieg der Opposition bei den Stichwahlen zum Amt des Oberbürgermeisters in Mailand und Neapel zeigte, dass Silvio Ber­lusconi sein Rechtsbündnis nicht mehr zusammenhalten kann. Viele in Italien hoffen, dass mit den Kommunalwahlen das Ende der politischen Karriere Berlusconis beginnt. Entscheidend dafür sind auch vier Volksentscheide am kommenden Wochenende.

Auf den Straßen herrscht in den Tagen nach den italienischen Kommunalwahlen ausgelassene Euphorie: Mailand ist »befreit« und in Neapel wurde die alte Parteiennomenklatur abgesetzt. Dem Juristen Giuliano Pisapia gelang es in der lombardischen Hauptstadt, eine knapp 20 Jahre währende Vorherrschaft der Rechten zu beenden. Er ist parteiunabhängig, steht aber der Bewegung »Linke. Ökologie und Freiheit« (SEL) des apulischen Regionalpräsidenten Nichi Vendola nahe. Seine Kandidatur basierte zunächst allein auf der breiten Unterstützung aller linken Parteien. Doch dass er schließlich mit zehn Prozentpunkten Vorsprung in das Amt des Oberbürgermeisters gewählt wurde, verdankt Pisapia seiner Zugehörigkeit zum Mailänder Bürgertum.
In Neapel triumphierte der ehemalige Staatsanwalt Luigi De Magistris in der Stichwahl mit einer knappen Zweidrittelmehrheit über den rechten Kandidaten. Erst vor wenigen Jahren hatte De Magistris seine berufliche Karriere zugunsten des politischen Engagements in der kleinen Partei »Italien der Werte« (IdV) aufgegeben, nachdem verschiedene von ihm geleitete Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder immer wieder von politischer Seite aus torpediert worden waren.
Obwohl beide Kandidaten trotz anfänglicher Vorbehalte in der Stichwahl von der Demokratischen Partei (PD) unterstützt wurden, betonen die zwei neu gewählten Oberbürgermeister ihre Unabhängigkeit von der größten italienischen Oppositionspartei. Sie verorten sich jenseits des Links-rechts-Schemas und beschwören ein neues politisches Modell, das »verkrustete Parteistrukturen« aufbrechen und zivilgesellschaftliche Teilnahme stärken soll. Die Sieger werden von ihren Wählern nicht als Politiker geschätzt, sondern wie Popstars verehrt und gefeiert. Ihr Sieg lässt sich jedenfalls nicht umstandslos als Wiedergeburt der italienischen Linken deuten, gewonnen hat vielmehr ein Bündnis aus radikalen und moderaten Linken, aufgeklärten Katholiken und enttäuschten Konservativen.

Wer verloren hat, ist hingegen ganz klar: Silvio Berlusconi. Seine Partei »Volk der Freiheit« (PdL) verlor in ganz Norditalien. Anders als noch bei den Regionalwahlen im vorigen Jahr konnte der Stimmenverlust vom Koalitionspartner nicht mehr ausgeglichen werden, denn auch die Lega Nord verlor überraschend deutlich in ihrem Stammland »Padanien«, wie sie es nennt. Die Lega-Wähler straften damit die eigene Parteisführung für ihre Servilität Haltung gegenüber Berlusconi. Doch nicht nur die zunehmende Vulgarität des PdL-Spektrums scheint die rechten Wähler abgeschreckt zu haben, sondern auch die Tatsache, dass zentrale Wahlversprechen zur staatlichen Dezentralisierung und Steuerpolitik nicht eingehalten wurden. Außerdem hat die Propaganda, »Padanien« könne durch eine rassistische Abschottungspolitik und einen separatistischen Regionalismus vor den gefürchteten Risiken einer globa­lisierten Welt bewahrt werden, spätestens infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise an Glaubwürdigkeit verloren. Der Konsens, auf dem das Rechtsbündnis über Jahrzehnte beruhte, ist aufgebrochen. In allen größeren norditalienischen Städten haben sich bei den Stichwahlen die linksliberalen Bündnisse durchgesetzt.
Der Ministerpräsident zeigte sich als schlechter Verlierer. Er wies jede persönliche Verantwortung für die Niederlage von sich, suchte stattdessen die Schuld bei den vermeintlich falsch ausgewählten Spitzenkandidaten seiner Partei und bezichtigte einige Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt Rai, das Publikum gegen ihn aufgehetzt zu haben. Diese Darstellung überzeugt allerdings nicht einmal mehr seine engsten Vertrauten, die eine Neuorganisation der Partei fordern. Das dreiköpfige Koordinationsteam des PdL soll durch einen Generalsekretär ersetzt werden. Der für das Amt nominierte bisherige Justizminister, Angelino Alfano, wird parteiintern gelegentlich auch schon als möglicher Nachfolger Berlusconis gehandelt. Andere Parteivertreter hoffen, Berlusconi könnte noch einmal eine neue Partei mit einem neuen Parteisymbol kreieren und mit diesem Marketingtrick die Schmach der Niederlage vergessen machen. Dabei haben die Kommunalwahlen gerade gezeigt, dass die alten Werbeslogans nicht mehr wirken. Berlusconi hat keinen neuen Traum zu verkaufen. Er hat es nicht mehr geschafft, die Sympathie der Massen zu gewinnen und scheint darüber hinaus jedes Sensorium für die öffentliche Stimmung verloren zu haben. Dass er und seine Unterstützer vom Ausmaß der Niederlage überrascht werden konnten, muss für den Medien- und Kommunikationsunternehmer Berlusconi fast schwerer wiegen als die politische Niederlage.
Ob die Kommunalwahlen das Ende seiner politischen Karriere oder sogar das Ende des Berlusconismus markieren, ist noch nicht ausgemacht. Auch die Opposition muss sich erst von ihrem langjährigen Feindbild verabschieden und als politische Kraft neu definieren.

Ausgerechnet zum 150jährigen Jubiläum der Staatsgründung erlebt Italien ein ungewohntes Einheitsgefühl. Der Sieg gegen Berlusconi verbindet die beiden Hauptstädte Nord- und Süditaliens. Beide Wahlsieger versprechen ein politisches Modell, das auf Basisdemokratie und die öffentliche Verwaltung der Gemeingüter setzt. Dezidiert linke Forderungen wie die Aufnahme von Migranten und die Stärkung ziviler Bürgerrechte stehen immerhin im Wahlprogramm.
Ob sich aus dem oppositionellen Sammelsurium in absehbarer Zeit die viel beschworene neue, plurale Linke entwickeln wird, hängt auch vom Ausgang der für kommendes Wochenende anberaumten landesweiten Volksentscheide ab. Dann wird sich zeigen, ob die Kommunalwahlen tatsächlich als Ausdruck eines Stimmungsumschwungs im ganzen Land zu deuten sind. Insgesamt stehen vier Gesetzesvorhaben der Regierung zur Abstimmung: zwei zur Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung, eines für den Bau neuer AKW und eines zum Schutz des Ministerpräsidenten vor Strafverfolgung. Sollte das Quorum erreicht und sollten alle vier Gesetzesvorhaben durch die aufhebenden Referenden verhindert werden, wäre das nicht nur ein weiterer Sieg für die Opposition. Für Berlusconi dürfte es dann immer schwerer werden, sein unpopulär gewordenes Rechtsbündnis zusammenzuhalten. In den vergangenen Jahren scheiterten die Volksentscheide meist an zu geringer Beteiligung. Dieses Mal aber zeichnet sich ab, dass sich auch eine Mehrheit der rechten Wähler an der Abstimmung beteiligen und die Gesetze zur Atompolitik und zur Privatisierung der Wasserversorgung ablehnen wird. Insbesondere die Abstimmung über die Frage, ob sich der Ministerpräsident wegen »legitimer Verhinderung« seinen Prozessen entziehen darf, könnte zu einem Plebiszit gegen Berlusconi werden. Im Falle einer Niederlage der Regierung ist damit zu rechnen, dass die Lega Nord die Koalition aufkündigen und vorgezogene Neuwahlen provozieren wird.