Im Prozess gegen Geert Wilders steht das Urteil bevor

Das Ende einer Farce

Im Verfahren wegen Volksverhetzung gegen den niederländischen Politiker Geert Wilders steht das Urteil bevor. Wie auch immer dieses ausfällt: Der Prozess ist längst ein Desaster. Auf die niederländische Integrationspolitik hat er ohnehin keinen Einfluss.

»Aufgebracht«. Das war das Wort der Stunde, als im Januar 2010 der Prozess gegen Geert Wilders begann. Aufgebracht waren muslimische Verbände und antirassistische Organisationen, die ob der fortwährenden verbalen Ausfälle des Rechts­populisten auf eine Verurteilung hofften. Aufgebracht waren auch die Demonstranten, die sich am ersten Verhandlungstag in aller Frühe vor dem Gerichtshof in Amsterdam einfanden, meist Anhänger der von Wilders gegründeten Partei für die Freiheit (PVV). Darunter war auch eine kleine Delegation des rechten Blogs »Politically Incorrect«, die eigens aus Deutschland angereist war. Denn aufgebracht war schließlich nicht zuletzt die heterogene Szene der Islamkritiker, denen Wilders mitunter als Einzelkämpfer gegen die vermeintliche Islamisierung und als Hüter westlicher Freiheiten gilt.
Anderthalb Jahre später ist die Debatte einer seltsam betretenen Stille gewichen. Am 23. Juni wird das Urteil verkündet. Ist Wilders nun der Anstachelung zu Hass und Diskriminierung schuldig, der Beleidigung von Muslimen aufgrund ihres Glaubens?
Der Prozess, der im vergangenen Herbst kurz vor dem Urteilsspruch wegen Parteilichkeit der Richter abgebrochen und im Winter neu aufgerollt wurde, wird von weiten Teilen der niederländischen Öffentlichkeit nicht mehr ernst genommen. Einige ausgesprochene Gegner von Wilders halten seine Aussagen für von der Meinungsfreiheit gedeckt. Femke Halsema, die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Partei GroenLinks, lieferte sich im Parlament erbitterte Duelle mit Wilders. Gleichzeitig hält sie es für unabdinglich, dass »progressive Politiker« Religionskritik betreiben, auch wenn sie sich dabei auf einen ­»schmalen, von Stacheldraht gesäumten Pfad« begeben.
Wer dem Angeklagten politisch näher steht, spricht hingegen offen von einem »Schauprozess«. Auch der Anwalt der Verteidigung, Bram Moszkowicz – Wilders selbst machte vor Gericht meist von seinem Schweigerecht Gebrauch – wählte diese Strategie. Nicht nur, weil sich die Inszenierung als Vertreter der »kleinen Leute« gegen die »politische Elite« seit Jahren rentiert. Seit dem Beginn des Prozesses gab es Spekulationen über politische Einflussnahme. Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft beschlossen, die Ermittlungen gegen Wilders unter Berufung auf die Meinungsfreiheit einzustellen. Der Amsterdamer Gerichtshof ordnete 2009 dennoch die Strafverfolgung an, wobei er sich auf den Europäischen Menschenrechtsvertrag berief.
Diese Vorgeschichte bot den Rahmen für die insgesamt drei Befangenheitsanträge, die Moszkowicz einreichte. Erster Anlass war im Oktober 2010 eine Bemerkung des Vorsitzenden Richters Jan Moers. Dieser brachte das Schweigen des Angeklagten in Verbindung mit dem oft geäußerten Vorwurf, Wilders ginge der Diskussion über seine Aussagen gerne aus dem Weg. Der Antrag wurde abgewiesen.
Kurz darauf erklärte der islamkritische Arabist Hans Jansen, der von Wilders als Zeuge einberufen worden war, ein Bekannter, der Nahost-Experte Bertus Hendriks, habe ihn kurz vor seiner Aussage im Juni zum Dinner eingeladen. Einer der anderen Gäste war der Ratsherr Tom Schalken, der als Mitglied des Amsterdamer Gerichts maßgeblich am Beschluss beteiligt war, Wilders strafrechtlich zu verfolgen. Jansen gab an, Schalken habe ihn bedrängt. Da die Richter sich weigerten, Schalken darüber zu befragen, stellte Moszkowicz erneut einen Befangenheitsantrag, dem diesmal stattgegeben wurde. Auch bei der Neuauflage im Frühjahr griff Wilders’ Verteidiger, diesmal wieder ohne Erfolg, zu diesem Mittel, als die Richter ein Meineid-Verfahren gegen Bertus Hendriks ablehnten. Moszkowicz hatte dies gefordert, da der Gastgeber bezüglich der Frage, warum er den Arabisten einlud, gelogen habe.
Wilders’ Reaktion war zu erwarten: »Die hohen Herren halten sich gegenseitig die Hand über den Kopf«, spottete er via Twitter, »der Zirkus geht weiter.« Geert Corstens, Präsident des Obersten Gerichtshofs der Niederlande, warf Wilders vor, die Rechtsprechung des Landes zu unterminieren. Dass Wilders von einem unfairen Verfahren spricht, kann allerdings angesichts der geradezu frappierenden Steilvorlagen des Gerichts kaum überraschen.
Stutzig macht indes ein Gedanke: Anhänger der PVV und Islamkritiker unterschiedlicher Couleur interpretieren den Prozess als Versuch der vermeintlichen »politischen Elite«, Wilders mundtot zu machen und so die Deutungshoheit in Sachen Integrationspolitik zurückzugewinnen. Aber warum verlief das Verfahren dann mit einem Dilettantismus, der diese Ambitionen allzu deutlich entlarvt? Dass die Wege auch zwischen den publizistischen und wissenschaftlichen Akteuren in einem kleinen Land kurz sind, ist nicht von der Hand zu weisen.
Der Ruf der niederländischen Justiz hat durch diesen Prozess deutlich gelitten. Es geht um das Abwägen zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit und deren Bedeutung im Hinblick auf eine seit Jahren anhaltende Integrationsdebatte. »Ich sprach, ich spreche und ich werde weiter sprechen«, verkündete der Angeklagte Anfang Juni in seiner Abschlussbemerkung. Als Grund nannte er die Bedrohung durch den Islam. Die Staatsanwaltschaft plädiert auf Freispruch.
Dass selbst eine Verurteilung Wilders’ nicht mehr als Symbolpolitik wäre, zeigt die Integrationsnote, die Innenminister Piet Hein Donner vergangene Woche präsentierte. »Einbürgerung«, heißt es da, sei keine staatliche Aufgabe, sondern »die Verantwortlichkeit aller, die sich hier dauerhaft niederlassen wollen«. Eine deutliche Abfuhr wird dem »Relativismus der multikulturellen Gesellschaft« erteilt. Als Argument dient dabei, dass »viele Niederländer die ethnische und kulturelle Diversität als Bedrohung erfahren. Seit etwa 20 Jahren findet etwa die Hälfte der Niederländer, dass zu viele Menschen anderer Nationalitäten in den Niederlanden wohnen.«
Im Duktus Wilders’, dessen Partei die Minderheitsregierung aus Christdemokraten und Rechtsliberalen toleriert, heißt der gleiche Sachverhalt: »Grenzen zu für Muslime!« Dieser Ausspruch ist in der Anklageschrift enthalten. Nicht erst seit die Regierung von Wilders abhängt, ist dieser Standpunkt offizielle Linie der niederländischen Einwanderungspolitik. Skandalpotential besteht indes weiterhin vor allem dann, wenn Wilders sich über den Islam, den Koran und den Propheten Mohammed auslässt. Dass die Unversehrtheit religiöser Gefühle schwerer wiegt als ein Grundrecht auf Freizügigkeit, ist das tiefere Drama eines Desasters, das als »Wilders-Prozess« bekannt wurde.