Die saudische Außenpolitik und der »arabische Frühling«

Stress im Golfclub

Das Regime Saudi-Arabiens will verhindern, dass der politische und gesellschaftliche Wandel weitere Staaten im Nahen Osten erreicht. Mit der Stärkung des Golfkooperationsrates soll die wirtschaftliche und soziale Situation der arabischen Monarchien stabilisiert und damit der Status quo verteidigt werden.

Es waren nur einige Hundert Menschen, die an einem Freitag Mitte Juli in Amman, der Hauptstadt des Königsreichs Jordanien, demonstrierten, zumindest offiziell. Und dazu noch in zwei Gruppen: auf der einen Seite die Reformbewegung, auf der anderen die Anhänger der Regierung. Offiziell gab es nur ein Dutzend Verletzte, darunter zwar bemerkenswert viele Journalisten, aber für die Verhältnisse des »arabischen Frühlings« und angesichts der fortgesetzten Massaker in Syrien war die jordanische Straßenschlacht, wie ihr Ergebnis auch immer aussehen mochte, ein verhaltener Protest.
Die Regierung Saudi-Arabiens in Riad wird dennoch alarmiert gewesen sein. Sie fürchtet bei jeder Meldung über Unruhen in den arabischen Hauptstädten das Nahen des eigenen Untergangs. Alles, was sich nach Veränderung anhört, kann nur eine Bedrohung sein.

Der »arabische Frühling« kann aus Sicht des saudischen Königshauses unter verschiedenen Perspektiven wahrgenommen werden. Da ist der politische und gesellschaftliche Wandel, den man fatalerweise nicht hat verhindern können, vor allem in Tunesien und Ägypten, deren Diktatoren bis zuletzt von Saudi-Arabien unterstützt wurden. Man hat das zähneknirschend akzeptiert, aber nun gilt es, unter allen Umständen zu verhindern, dass dieser Wandel weitere Staaten erfasst. Wobei hier die saudische Politik bereits auf Widersprüche stößt, vor allem in Hinblick auf Syrien.
Im Falle der vergleichsweise moderaten Königreiche Jordanien und Marokko, die die Aufnahme im Golfkooperationsrat beantragt haben, versuchen die Saudis, dem Wandel durch Stabilisierung und eine engere Bindung an die Golfstaaten Einhalt zu gebieten. Die beiden relativ armen Monarchien sollen im Golfkooperationsrat in einen Club der Reichen aufgenommen werden, die Auswirkungen auf ihr Reformpotential dürften dabei eher negativ sein. Zu viel Wandel wird Saudi-Arabien dort nicht zulassen wollen. Jordanien hat den Golfstaaten zwei Dinge anzubieten: eine vergleichsweise hohe innere Stabilität und gut ausgebildete Sicherheitskräfte. Durch dei Aufnahme Marokkos hoffen die Saudis wiederum, Einfluss auf die Entwicklung des Maghreb zu nehmen, um eine Entwicklung wie in Tunesien zu vermeiden.
Das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Syrien ist noch komplexer. Die Saudis streiten zwar mit Syrien um Einfluss im Libanon und bekämpfen den syrischen Herrscher Baschar al-Assad als Statthalter des Iran. Ein Umsturz in Syrien, der den gesamten Nahen Osten endgültig destabilisieren würde, wäre jedoch eine zu große Bedrohung. Die Saudis sind Gefangene ihrer eigenen Sicherheitspolitik. Man kennt seine Feinde, aber man hat bisher auch mit ihnen gelebt, und was würde danach kommen? Jede Veränderung des Status quo im alten Nahen Osten ist gefährlich. Denn die greisen Herrscher aus dem Hause ibn Saud sind selbst das Produkt und die Garanten dieses Status quo.
Die schnelle Ankündigung der Golfmonarchien im Mai, den Beitrittgesuchen Jordaniens und Marokkos zum Golfkooperationsrat stattgeben zu wollen, obwohl die beiden Länder eindeutig nicht am Persischen Golf liegen, war so überhastet wie taktisch durchschaubar. Praktisch wird die Integration der beiden Monarchien in den exklusiven Golfclub sowieso einige Zeit dauern, und wer weiß schon, was in der Region bis dahin noch alles passiert. Der Golfkooperationsrat selbst ist auch keine monolithische Organisation, und die Einführung einer gemeinsamen Währung nach Art des Euro ist nicht zuletzt wegen interner Differenzen nie über Absichtserklärungen hinausgekommen. Wird die Aufnahme Jordaniens und Marokkos überhaupt auf viel mehr hinauslaufen, als auf Finanzhilfen im Austausch gegen das Versprechen, Reformen nicht zu weit zu treiben? Aber kann man mit Ölgeld wirklich die Zukunft kaufen?

Derzeit pumpen die saudischen Herrscher ihre vom hohen Ölpreis gesponserten Überschüsse in das brodelnde Meer des arabischen Umbruchs. Sie finanzieren offenbar islamistische Parteien in Ägypten oder Tunesien, stellen Kredite und Hilfen für Ägypten bereit und investieren in die eigene Aufrüstung – die deutschen Leopard-Panzer sind dabei nur eine propagandistische Aktion. Die saudischen Herrscher mühen sich per Scheckbuchdiplomatie, als die maßgebliche arabische Regionalmacht wahrgenommen zu werden. Denn es geht schließlich um alles.
Keinen Schritt wollen die Saudis zurückweichen. Den Iran gilt es, in die Schranken zu weisen, den Machtgewinn der Schiiten im Libanon und im Irak müssen sie bekämpfen und die demokratischen Aufstände in Bahrain unterdrücken. ­Unter dem Label der brüderlichen Hilfe des Golfkooperationsrates sind die Saudis daher über den Festlandsdamm in das kleine Königreich eingefallen. Schließlich hat Saudi-Arabien selbst schiitische Minderheiten im Osten des Landes, die den Anspruch der reinen, gnadenlosen salafistisch-wahhabitischen Lehre ideologisch wie praktisch stören.

An der Südgrenze des Königreichs ist zudem mit dem Jemen gerade der bevölkerungsreichste Staat der Golfhalbinsel auf dem Weg in den Status eines failed state. Gerade dort waren die saudischen Interventionsversuche bislang gescheitert. Seit Jahrzehnten herrschen im Jemen archaische Strukturen, doch das Einkaufen von Stämmen als Verbündete hat nur nichts geändert: Wenn der Jemen kippt, liegt eine sehr lange Wüstengrenze offen. Wenn es eines Beweises für das Scheitern der saudischen Stammesdiplomatie bedurft hätte, hier im Jemen tritt dieses Scheitern offen zu Tage.
Für die Saudis heißt es also: überall noch mehr zahlen, schmieren, unterdrücken, den Wandel blockieren und Unhaltbares kurzfristig irgendwie stabilisieren. Die Aufgabe der saudischen Herrscher lässt sich in der Tat gerade mit dem beruhigenden Wort »Stabilisierung« umschreiben, mit dem die Bundesregierung ihre Panzerlieferung zu legitimieren sucht. Nur ist es die Stabilisierung eines Erdbebengebiets. Keine gute Voraussetzung, um sich über einen epochalen Umbruch hinwegzuretten. Die saudische Gesellschaft leidet zudem an sämtlichen Übeln der Region, auch wenn hier wesentlich mehr Geld als anderswo zur Verfügung steht, um die Konflikte zu überdecken. Aber wie anderswo im Nahen Osten lebt auch zwischen Jeddah und Riad eine vorwiegend junge Bevölkerung, deren Arbeitslosenrate irgendwo zwischen 20 und 40 Prozent liegt, die keinerlei politische Partizipation genießt und genau weiß, wie es im Westen aussieht – hier spielen die vielen saudischen Stipendiaten, die für viel Geld ins Ausland geschickt werden, eine wichtige Rolle.

Auch wenn das saudische Königshaus nicht gerade kurz vor dem Sturz steht, auch wenn die saudische Gesellschaft so konservativ wie nur irgendein Alptraum eines westlichen Islamkritikers sein mag: Saudi-Arabien steht unter Druck. Die herrschenden wahhabitischen Gerontokraten mögen eine Führungsrolle im Nahen Osten beanspruchen und sich als Stabilitätsfaktor gerieren. Allein die Realität ist gegen sie. Der König selbst ist nahe der 90 und zu aller Verwunderung immer noch am Leben, wenn auch nur noch im Rollstuhl beweglich. Immerhin hat er Anfang des Jahres schnell 36 Milliarden US-Dollar für Staatsangestellte, Studenten und andere unsichere Kantonisten angekündigt.
Assad, Ben Ali und Mubarak handelten ähnlich, nur wussten alle, dass sie das Geld gar nicht hatten. Der Kronprinz, Prinz Sultan, ist 87 Jahre alt und leidet vermutlich an Alzheimer, während der dritte in der Thronfolge, Prinz Nayef, mit juvenilen 78 Jahren seine Krebstherapien eher in der Schweiz absolviert. Von diesem Triumvirat soll gar das Wohl des Westens abhängen, wie einige Kommentatoren anlässlich des deutschen Panzerdeals nicht müde wurden zu betonen? Die Demonstranten in Amman und anderswo im Nahen Osten sind ganz sicher anderer Meinung.