Die Präsidentschaftskandidatin Eva Joly lehnt die Militärparade am 14. Juli ab. Das bedeutet Ärger

Dame ohne Kultur

Für ihre Kritik an der traditionellen Militärparade am französischen Nationalfeiertag bekam die linksliberale Präsidentschaftskandidatin Eva Joly den geballten Zorn französischer Nationalisten zu spüren.

Wie viele Jahrzehnte muss jemand im Land gelebt haben, um in der Politik mitreden zu können? Genügen 50 Jahre, um ein Wörtchen zu den »nationalen Angelegenheiten« beisteuern zu dürfen? Nach Ansicht der französischen Rechten wohl nicht. Sowohl die bürgerlichen und konservativ-liberalen als auch die neo- oder postfaschistischen Rechten ereiferten sich in der vergangenen Woche über eine »Neufranzösin«, die es gewagt hatte, sich zu Wort zu melden.
Die 68jährige Eva Joly, geboren in Norwegen, kam 1961 nach Frankreich und lebt somit schon länger in dem Land als einige ihrer französischen Kritiker. Als frisch gekürte Präsidentschaftskandidatin eines Bündnisses aus Grünen und Links­liberalen schlug sie kurz vor dem 14. Juli vor, die Pariser Militärparade am Nationalfeiertag abzuschaffen. An der Parade nehmen regelmäßig auch Truppen teil, die in Frankreichs postkolonialen Einflusszonen, vor allem Afrika, eingesetzt werden. In diesem Jahr wurden insbesondere die Soldaten der Auslandseinsätze in der Côte d’Ivoire und in Afghanistan geehrt.
Den Aufmarsch auf den Champs-Elysées wollte Joly durch eine »zivile Parade« von Jugendlichen und Senioren ersetzen – ein Frevel in den Augen der Rechten. Doch auch sozialdemokratische Politiker wie der frühere Premierminister Laurent Fabius und die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal sicherten den »Streitkräften der Republik« sofort ihre Unterstützung zu. Die Reaktionen von armeefreundlicher Seite fielen derart heftig aus, dass Joly schnell klarstellte: »Ich bin absolut keine Antimilitaristin.«
Von der Côte d’Ivoire aus, wo er sich seit dem 14. Juli aufhielt, kommentierte Premierminister François Fillon das Geschehen: »Ich reagiere mit Trauer. Ich glaube nicht, dass diese Dame eine alte Kultur der französischen Traditionen, der französischen Werte, der französischen Geschichte besitzt.« Der frühere sozialdemokratische Linksnationalist und ehemalige Bildungs-, Verteidigungs- und Innenminister Jean-Pierre Chevènement äußerte sich ähnlich. Er meinte, dass Eva Joly »die Natur Frankreichs« abgehe und »sie vielleicht noch ein bisschen Eingewöhnung benötigt«. 50 Jahre sind offenbar nicht genug, wenn man den falschen Stammbaum hat.

Der Druck kam jedoch überwiegend von der Rechten. Lionel Tardy, Abgeordneter der konservativ-wirtschaftsliberalen Regierungspartei UMP, verkündete ungeniert: »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass sie nach Norwegen zurückgeht!« Die Heftigkeit der Reaktionen veranlasste immerhin einige Vertreter der sozialdemokratischen Opposition zu Protest und Widerspruch. Die sozialdemokratische Parteivorsitzende Martine Aubry erklärte etwa, wenn sie Präsidentin wäre, hätte sie Fillon nach dessen Worten aus dem Amt des Premierministers entlassen, während Manuel Valls, der zu den Rechten in der Partei gehört, proklamierte, man dürfe »die Nation nicht der Rechten überlassen«.
»Geh’ doch nach Hause«, auf diesen Nenner ließen sich die Reaktionen der extremen Rechten bringen. Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, hatte Eva Joly bereits vor Monaten angegriffen, da sie wegen ihrer Doppelstaatsbürgerschaft angeblich nicht für das Amt der Staatspräsidentin kandidieren könne. Nun sagte die rechtsextreme Politikerin: »Ich glaube nicht, dass es legitim ist, für die Präsidentschaft zu kandidieren, wenn man erst spät Franzose geworden ist. Diese Affäre zeigt, dass Madame Joly überhaupt nichts von den tiefen Bindungen, die zwischen dem französischen Volk und seiner Armee existieren, versteht.«

Eva Joly war im Alter von 18 Jahren als Au-pair-Mädchen nach Frankreich gekommen. Später heiratete sie den Sohn ihrer Gastfamilie und wurde auf diesem Weg auch französische Staatsbürgerin. Sie studierte Jura und wurde Richterin. In Frankreich war sie lange Zeit vor allem als couragierte Untersuchungsrichterin bekannt. Prominent wurde sie 1994 durch ihre Rolle bei der Aufdeckung des Korruptionsskandals um Elf Aquitaine. Damals kamen die weitreichenden Verbindungen des Ölkonzerns in ehemaligen französischen Kolonien in Zentralafrika ans Licht.
Anfang Juli wurde sie als Präsidentschaftskandidatin von Europe Écologie – Les Verts nominiert, einem Zusammenschluss der französischen Grünen mit linksliberalen und bürgerlich-ökologischen Bündnispartnern, die seit den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 zusammenarbeiten. Joly setzte sich in einer innerparteilichen Urabstimmung mit 59 Prozent der Stimmen gegen ihren stärksten Gegner durch, den bürgerlichen und lange Zeit unpolitisch auftretenden Umweltschützer Nicolas Hulot. Dieser war umstritten, weil er bis zur Nuklearkatastrophe von Fukushima explizit für die Atomkraft war. Danach änderte er seine Meinung. Kritiker unterstellten ihm, der Wunsch zu kandidieren sei dabei wichtiger gewesen als seine inhaltliche Überzeugung. Außerdem leitet er eine Umweltsendung bei dem ausgesprochen rechten, seit 1987 privatisierten Fernsehsender TF1. Joly stammt zwar eher aus der bürgerlich-humanistischen linken Mitte, so wollte sie 2009 zunächst noch für die liberale, aus der Christ­demokratie hervorgegangene Oppositionspartei MoDem unter Français Bayrou kandidieren. Doch während des innerparteilichen Wahlkampfs vertrat sie im Vergleich zu ihrem Mitbewerber Positionen, die als radikal gelten.