Der Fluch des Lidschlags

Noch vor einem halben Jahr kannte den Namen der jungen Geographiestudentin kaum jemand in Chile. Doch die Auftritte der Vorsitzenden des größten chilenischen Studierendenverbands brachten schon damals »regelmäßig Hörsäle zum platzen«, erinnert sich eine Mitstudentin. Ihre Macht sei nicht nur rational, sondern appelliere auch an die »positiven Energien der Libido«, greift die linke Presse den Mythos Camila Vallejos, der »schönen Cami«, gern auf. Die Schüler besetzter Oberschulen seien besessen von ihrer erotischen Kraft. Auch ältere Semester ständen bereits im Bann ihres »Lidschlags«.
Das rechte Regierungsbündnis reproduziert diese plumpe Erotisierung von Vallejos politischer Arbeit inzwischen unter umgekehrten Vorzeichen. Per Twitter rief Tatiana Acuña, eine Angestellte des Kultusministeriums, dazu auf, »die läufige Hündin« zu erschlagen, um die demonstrierende Meute wieder zur Vernunft zu bringen. Ein anonymer Twitterer veröffentlichte prompt die dazugehörige Anschrift und Privatnummer. Bei den verbalen Attacken auf die »Scheißgöre«, wie sie Senator Juan Pablo Camiruaga offen nennt, stellt die unverhohlene Frauenfeindlichkeit selbst die antikommunistische Hetze in den Schatten, mit der sie und ihre Eltern, die in den Siebzigern beide politische Militante waren, seit Wochen verfolgt werden. Die politische Aktivistin twitterte unbeeindruckt zurück, weder sie noch andere, die für ein gerechtes Bildungssystem kämpfen, ließen sich davon einschüchtern. Wie zum Beweis gingen in der vergangenen Woche erneut über 500 000 Menschen auf die Straße.
»Ich konnte mir mein äußeres Erscheinungsbild nicht aussuchen, die Gründe meines politischen Protests schon«, äußerte sich Vallejo kürzlich verärgert. Über ihre inhaltliche Arbeit im Streikkomitee und die konkreten Vorschläge der Protestierenden wird dennoch immer seltener berichtet. Eine gute Voraussetzung für Bildungsminister Felipe Bulnes, um seinen Konfrontationskurs gegen die »unnachgiebigen Arbeitsverweigerer« zu rechtfertigen. Giorgio Jackson, ein weiteres Mitglied des Streikkomitees, das in den vorigen Wochen zu einem Teenieschwarm verniedlicht wurde, stellte aus Protest gegen die Berichterstattung über Vallejo und ihn sein Amt zur Disposition. »Wir sollten endlich klären, ob wir uns weiter als individuelle Sprecher exponieren oder wieder als handlungsfähiges Streikkomitee fungieren wollen.« »Cami« hat sich dazu bisher nicht geäußert. Nun wartet ganz Chile auf den nächsten Lidschlag.