Eine Monographie über militanten Widerstand in den USA

Die Outlaws Amerikas

Bei der Auseinandersetzung mit dem Antiimperialismus der Neuen Linken hilft es, sich deren konsequenteste Vertreter anzusehen: den Weather Underground. Die bisher umfangreichste Monographie zu ihrer Geschichte liegt nun in deutscher Sprache vor.

Natürlich muss man mit Bob Dylan beginnen: »You don’t need a weatherman to know which way the wind blows.« Nicht dass Dylan selbst ein Revolutionär wäre oder der »Subterranean Homesick Blues«, aus dem die Zeile stammt, zum Soundtrack der Revolution gehören würde, den die erfolgreichen Militanten nach ihrem Sieg dereinst gratis zum Download anbieten werden. Immerhin aber benannte sich Ende der sechziger Jahre eine bis heute sagenumwobene Untergrund-Gruppe der späten Sechziger und frühen Siebziger nach dem Dylan-Song: die Weathermen beziehungsweise die spätere Weather Underground Organisation (WUO) in den USA.
In bestimmter Hinsicht könnte man den Weather Underground als Höhepunkt der Entwicklung der Neuen Linken begreifen, die sich seit den späten fünfziger Jahren in den fortgeschrittensten kapitalistischen Staaten gebildet hatte und um 1968 herum den Gipfelpunkt ihres Einflusses erreichte. Das gilt zunächst für die starke Anlehnung an die Subkultur, die sich vor allem in den Anfangszeiten der Weathermen nicht nur in der Namensgebung und den Titeln ihrer Erklärungen, sondern auch in der Befürwortung von Drogenkonsum niederschlug. Das Thema Drogen war bis dahin von keiner linken Gruppierung so sehr hervorgehoben worden wie von den Weathermen. 1970 etwa befreite die Organisation den weitgehend unpolitischen LSD-Guru Timothy Leary aus einem Gefängnis in Kalifornien. Es sollte die einzige geglückte Gefangenenbefreiung der Gruppe bleiben. Aber auch durch die Thematisierung von Sexismus und Rassismus als Unterdrückungsverhältnisse prägte der Weather Underground die Geschichte der Neuen Linken.
Vor allem aber durch seine Programmatik behauptete sich der Weather Underground als Avantgarde der radikalen Linken. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass es insbesondere die Solidarisierung mit den antikolonialen und nationalen Befreiungsbewegungen in den ehemaligen Kolonien und der kapitalistischen Peripherie war, die geradezu die Geschäftsgrundlage ganz besonders des antiautoritären Teils dieser Neuen Linken darstellte: die Durchsetzung eines »nicht-proletarischen Internationalismus gegen seinen proletarischen Vorläufer«, wie Richard Heigl in seiner Studie »Oppositionspolitik« zur Entstehung der Neuen Linken bemerkt. Wie bei ihren Genossen in den anderen Ländern Europas veränderte vor allem der Krieg in Vietnam die Perspektive, so beispielsweise auch beim deutschen SDS. 1967 lag für dessen Bundesvorstand in dem Widerspruch zwischen Erster und Dritter Welt »der entscheidende revolutionäre Faktor«, und für Rudi Dutschke hatte sich »das revolutionäre Zentrum in die durch Kolonialherrschaft zurückgehaltenen Länder verlagert«, wie er in seinem programmatischem Artikel »Die Widersprüche im Spätkapitalismus« schrieb. Im Zuge einer völligen Umkehr der marxistischen These, dass Emanzipationsbewegung in den höchstentwickelten Zentren des Kapitals beginnen, forderten die Antiautoritären im SDS in einem Papier 1968 gar die Unterordnung unter die Politik der trikontinentalen Bewegungen: »Erst wenn die revolutionären Kommunisten der Metropolen es ihnen (den nationalen Befreiungsbewegungen; A. B.) in ihrem Bereich nachtun (… ), können sie zu ihren Bündnispartnern werden.«
Was für Europa galt, spielte in den Debatten im »Herzen der Bestie«, wie in den Veröffentlichungen der Weathermen die USA als Führungsmacht des Westens stets charakterisiert wurde, eine umso größere Rolle. In den Diskussionen in der sich radikalisierenden US-amerikanischen Gruppe SDS (Students for a Democratic Society) ging es gegen Ende der sechziger Jahre vor allem um die Frage, wie eine Solidarisierung mit dem viet­namesischen Widerstand und den in den USA agierenden Gruppen seitens der weißen studentischen Linken aussehen könnte. So sollten die von den US-Behörden immer unerbittlicher bekämpften Black Panthers und das American Indian Movement (AIM) als Bewegungen von Kolonialisierten im Mutterland unterstützt werden.
Der Weather Underground, die radikalste Fraktion der SDS, trat im Gegensatz zu verschiedenen maoistischen Strömungen besonders konsequent für die Unterordnung der Bewegung unter die Ziele des Antiimperialismus ein. »Hier führen Kämpfe weder zwangsläufig zu einem kritischen Bewusstsein, noch resultiert daraus der Aufbau einer revolutionären Bewegung«, schrieb die Fraktion in einer ihrer Stellungnahmen zum endgültigen Auseinanderbrechen der SDS 1968. »Ganz im Gegenteil, häufig verschleiern sie das Unterdrückungsverhältnis zwischen Kolonie und Mutterland, sie verschleiern, dass mit weißer Hautfarbe Privilegien verbunden sind, und sie verschleiern den Internationalismus.« Strategisch übernahmen sie damit die Auffassungen des Führers der Panthers, Huey Newton, der die weißen Revolutionäre aufgefordert hatte, sich zu bewaffnen und »die Kolonien überall in der Welt in ihrem gerechten Kampf gegen den Imperialismus zu unterstützen«.
Der Antiimperialismus steht auch im Zentrum der Studie von Dan Berger über den Weather Underground, die der Laika-Verlag in seiner Edition Provo nun in deutscher Übersetzung publiziert hat. Von den Debatten innerhalb der SDS bis hin zu den von den Weathermen initiierten Riots der »Tage des Zorns« im Herbst 1969, die »den Krieg nach Hause« bringen sollten, zeichnet Berger die Geschichte der Gruppe nach. Dabei geht die Studie nicht nur in Bezug auf die Auswertung des Materials – vor allem die Interviews mit dem immer noch inhaftierten David Gilbert sind eingearbeitet worden –, sondern auch zeitlich hinsichtlich der Nachwirkungen weit über die einzige bisher hierzulande vorliegende Monographie von Ron Jacobs (»Woher der Wind weht«) hinaus.
Zustimmend zitiert Berger die Aussagen der Gruppe, wonach »die am stärksten Unterdrückten bei der Schaffung einer grundlegenden Veränderung in der ersten Reihe« stünden. So plausibel diese Aussage damals gewesem sein mag, so wenig lässt sie sich heute noch aufrechterhalten. Aus den Befreiungsbewegungen des Trikont sind im besten Fall sozialdemokratische, häufig genug regressive Regimes geworden.
Lediglich Minderheiten der Neuen Linken, wie etwa Socialisme ou Barbarie oder die Situationisten, hatten schon in den sechziger Jahren auf diese Entwicklung hingewiesen. »Die Abwesenheit einer revolutionären Bewegung in Europa hat die Linke auf ihre einfachste Form reduziert: eine Zuschauermasse, die jedes Mal in Entzückung gerät, wenn die Ausgebeuteten in den Kolonien die Waffen gegen ihre Herren ergreifen, und die nicht umhin kann, darin das Nonplusultra der Revolution zu sehen«, schrieben die Situationisten in ihrem Aufsatz »Zwei lokale Kriege«.

Dan Berger: Kampf im Herzen der Bestie. Militanter Widerstand in den USA. Edition Provo, Laika-Verlag, Hamburg 2011, 384 S., 19,90 Euro