Korruptionsaffäre um Nicolas Sarkozy

Wenn die Prinzessin petzt

Von der Korruption bei Rüstungsgeschäften sollen zahlreiche französische Politiker profitiert haben. Neue Enthüllungen bringen auch Präsident Nicolas Sarkozy in ­Bedrängnis.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy dürfte dem »Superwahljahr« 2012, in dem von Ende April bis Juni Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen, nicht mit ungetrübter Freude entgegenblicken. In den vergangenen Wochen nahm der Druck von Medien und Justiz zu, denn immer neue Enthüllungen über wenige Jahre zurückliegende Vorfälle von illegaler Parteienfinanzierung durch Rüstungsgeschäfte werden der Öffentlichkeit bekannt. Insbesondere der Verkauf von Rüstungsgütern an Pakistan, Saudi-Arabien und in jüngerer Vergangenheit auch an das noch von Muammar al-Gaddafi regierte Libyen hatte offenbar Zahlungen illegaler »Kommissionen« an diverse Unterhändler zur Folge. Ein Teil des Geldes floss dann auf geheimen Wegen an französische Politiker zurück.
Das besondere Interesse der Ermittler gilt Édouard Balladur, dem Premierminister der Jahre 1993 bis 1995. Dessen Haushaltsminister und Sprecher während des Wahlkampfs im Jahr 1995 war Sarkozy. Seit Juli wird auch gegen andere Politiker ermittelt. Gegen Sarkozys ehemaligen Innenminister und derzeitigen Berater Brice Hortefeux läuft seit Ende September ein Strafverfahren.

Die Untersuchungsrichter hatten herausgefunden, dass Hortefeux einem im Zentrum der Untersuchungen stehenden Vermittler von Waffengeschäften, Sarkozys ehemaligem Berater Thierry Gaubert, jüngst am Telefon Tipps gegeben hatte. Über dessen ehemalige Gattin Hélène Karadjordjevic, Prinzessin von Jugoslawien, hatte er ihm mitgeteilt, dass »Hélène anscheinend ziemlich viel petzt«, und zwar bei der Polizei. In seiner derzei­tigen Funktion hatte Hortefeux keinen rechtmäßigen Zugang zu solchen Informationen. Am Donnerstag vergangener Woche wurde er polizeilich vernommen, bestritt jedoch alle Vorwürfe.
Bereits am 11. September hatte der Anwalt Robert Bourgi, der seit 25 Jahren zwischen dem französischen Establishment und diversen Au­tokraten in Frankreichs neokolonialer Einflusssphäre in Afrika vermittelt, in der Zeitung Journal du dimanche zahlreiche Informationen preisgegeben. Er berichtete über mit Bargeld gefüllte Koffer, die er bei dem damaligen Präsidenten Jacques Chirac und dessen Premierminister Dominique de Villepin abgegeben habe. Bourgi nannte auch einen Betrag: »20 Millionen Euro im Jahr.« Das Geld wurde der Bevölkerung afrikanischer Staaten vorenthalten und zwischen französischen Politikern und örtlichen Potentaten aufgeteilt.
Bourgis Aussagen stehen im Zusammenhang mit einem wenige Tage später erschienenen Buch des nationalistischen und populistischen Enthüllungsjournalisten Pierre Péan. In dessen neuestem Werk »La République des mallettes« (»Die Republik der Geldkoffer«) geht es um diverse Finanzskandale, bei denen Politiker und ihre Günstlinge insbesondere zum Dank für die Organisation von Waffengeschäften mit Millionenzahlungen belohnt worden sein sollen. Bourgi hatte Péan als Gesprächspartner zur Verfügung gestanden und anschauliche Schilderungen beigesteuert. So habe Chiracs früherer Berater und zeitweiliger Außenminister de Villepin vom Präsidenten Burkina Fasos, Blaise Compaoré, mehrere traditionelle Trommeln in Empfang genommen. Die Trommeln seien so schwer gewesen, dass er, Bourgi, sich beinahe einen Rückenschaden zugezogen habe, denn sie seien in den Hohlräumen mit Geldbündeln ausgestopft gewesen.
Sarkozy wurde von Bourgi, der in den Jahren 2008 bis 2010 die Afrikapolitik des Präsidenten mitgestaltet hatte, nicht direkt belastet. Als Empfänger von Geldzahlungen bezeichnete er Chirac und de Villepin. Allerdings sagte Bourgi, Sarkozy habe seit 2005 von solchen Praktiken gewusst. Abgesehen davon, dass niemand glaubt, diese Vorgänge hätten mit dem Wechsel im Präsidentenamt im Jahr 2007 ein jähes Ende genommen, hätte sich Sarkozy auch als Mitwisser strafbar gemacht. Als Innenminister wäre er nämlich zur Anzeige verpflichtet gewesen.
Auch wenn die Enthüllungen nicht in allen Einzelheiten bewiesen sind – es gibt keine weiteren gesprächsbereiten Augenzeugen –, so sind sie doch grundsätzlich plausibel. Den Hintergrund bilden der neokoloniale Rohstoffraub in Afrika und die Gebräuche einheimischer Oligarchen, die kein Interesse an einer Entwicklung ihrer Länder haben. Ihr durch Korruption angehäuftes Vermögen investieren sie ohnehin in Frankreich oder in der Schweiz, etwa im Immobilien- und Bankensektor. Manchmal investieren sie auch in französische Politiker. Dass dies üblich war, ist seit längerem bekannt. Dennoch boten die Auslassungen Bourgis in einigen Punkten Neues.

Man wusste, dass auch Jean-Marie Le Pen Anteil an den Ausbeutungspraktiken in der neokolonialen Einflusssphäre Frankreichs in Afrika hatte. So bereiste Le Pen im April 1987 drei wichtige Staaten der damaligen Einflusszone Frankreichs auf dem Kontinent: die Côte d’Ivoire, Gabun und Zaire, aus dem die Demokratische Republik Kongo geworden ist. Dort besuchte der damalige Vorsitzende des Front National die »Auslandsfranzosen«, von denen viele den Neokolonialismus aktiv unterstützt hatten. Seinen Präsidentschaftswahlkampf 1988 eröffnete Le Pen im April 1987 in Libreville, der Hauptstadt von Gabun. Dabei dürften finanzielle Motive den Ausschlag gegeben haben.
Der langjährige Vorsitzende des FN, den derzeit seine Tochter Marine Le Pen führt, behauptete nach den Enthüllungen, dass Bourgi »ein Lügner« sei. »Wenn wir gerade bei Gerüchten sind, es ist mir zugetragen worden, dass Bourgi im Bois de Boulogne (einem als Prostitutionsgebiet bekannten Pariser Stadtwald, B.S.) anschaffen geht. Aber mit dem Gesicht, das er hat, dürfte er nicht viel Geld verdienen«, spottete Jean-Marie Le Pen. Doch am 28. September bestätigte Jean Eyeghé Ndong, ehemals Premierminister des gabunesischen Präsidenten Omar Bongo, die Angaben Bourgis über die finanziellen Verbindungen zwischen dem 2009 verstorbenen Bongo und Le Pen.

Eine weitere Quelle des Unbehagens für Sarkozy und seine Mitarbeiter sind die Strafverfahren, die vergangene Woche gegen Bernard Squarcini, den Leiter des Inlandsgeheimdiensts DCRI, und den nationalen Polizeichef Frédéric Péchenard eingeleitet wurden. Beiden wird vorgeworfen, einen Journalisten der Zeitung Le Monde illegal bespitzelt zu haben. Die Dienste hatten im vorigen Jahr die Kommunikationsdaten des Journalisten bei dessen Telefonanbieter angefordert und auch erhalten. Sie wollten herausfinden, von wem er Angaben zu einem Strafverfahren gegen Regierungspolitiker, darunter der damalige Arbeitsminister Éric Woerth, erhalten haben könnte. Es ging um die illegale Finanzierung durch Liliane Bettencourt, als Gegenleistung soll die Steuerhinterziehung der Milliardärin gedeckt worden sein.
Innenminister Claude Guéant will die beiden Leiter »sensibler Behörden« trotz der eingeleiteten Strafverfahren nicht entlassen. Dies hat inzwischen der sozialdemokratische Politiker François Hollande gefordert, derzeit der aussichtsreichste Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei. Guéant hält die beiden jedoch für »verdienstvolle Mitarbeiter«. Lediglich die für den 7. September geplante Verleihung ­eines Ordens an Polizeichef Péchenard hielt er für inopportun, die Ehrung wurde aufgeschoben.