Syriens Ausschluss aus der Arabischen Liga

Assad der Absteiger

Die Arabische Liga schloss das syrische Regime unter Bashar al-Assad am vergangenen Samstag aus, da es sich nicht an den vereinbarten Vermittlungsplan hielt. Doch sind sich die Mitglieder der Liga in ihrem Vorgehen nicht einig. Die Kämpfe und das Morden gehen in Syrien derweil weiter.

Am Freitag vergangener Woche lasen sich die Meldungen in einem Syrien-Portal im Internet zwischen fünf und sechs Uhr abends wie folgt: Feuergefechte zwischen der syrischen Armee und Deserteuren in einer nördlichen Kleinstadt, Verhaftungen im Süden, ein weiteres Feuergefecht zwischen der syrischen Armee und Deserteuren in einer anderen nördlichen Kleinstadt, 15 von der Armee verhaftete Minderjährige in einer Stadt im Osten des Landes. Bereits 20 Tote an diesem Protestfreitag, meldete der Fernsehsender al-Arabiya schließlich um sechs Uhr. Mit anderen Worten, es war ein einigermaßen normaler Tag für die syrischen Verhältnisse seit Beginn der Proteste gegen das Regime Bashar al-Assads im März. Allerdings liegen 20 Tote über dem statistischen Durchschnitt von etwas über einem Dutzend getöteter Syrer täglich, wenn man die neuesten offiziellen UN-Zahlen heranzieht, die von 3 500 Toten bis Anfang November ausgehen. Die Frequenz des Mordens hat sich jedoch in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich erhöht.

Auch am 11. November wurden die meisten Toten wieder einmal aus Homs gemeldet, der Stadt, die seit geraumer Zeit das Zentrum der Protestbewegung in Syrien bildet. Eine Stadt, über die die syrischen Sicherheitskräfte offensichtlich die permanente Kontrolle verloren haben, obwohl längst Panzer und Artillerie gegen die Bewohnerinnen und Bewohner eingesetzt werden. Hier forderten an jenem Freitag Tausende von Demonstrantinnen und Demonstranten internationale Konsequenzen für die gnadenlose Repression durch das Regime Assads. Die Aufforderung galt nicht zuletzt den Ländern der Arabischen Liga, hatte sie doch einen Vermittlungsplan präsentiert, dem der syrische Präsident am 2. November zustimmte: Die Armee sollte sich mitsamt ihren Panzern aus den Städten zurückziehen, und Zehntausende politische Gefangenen sollten sofort freigelassen werden, um dann einen nationalen Dialog zu beginnen. Der schöne Plan hatte nur einen grundsätzlichen Fehler: Er führte dazu, dass umgehend noch mehr Panzer den Beschuss oppositioneller Stadtviertel aufnahmen. Die NGO Human Rights Watch veröffentlichte mittlerweile einen ausführlichen Bericht, in dem den syrischen Sicherheitskräften in Homs Verbrechen gegen die Menschheit zur Last gelegt werden. In der Woche nach der Annahme des arabischen Friedensplans durch das syrische Regime zählte die Organisation allein hier über 100 Tote.
Ob Assad der Meinung war, es sei völlig ungefährlich, die Arabische Liga angesichts ihrer fast schon sprichwörtlichen politischen Lähmung und Unentschlossenheit geradezu als Papiertiger vorzuführen und gnadenlos zu düpieren, oder ob er selbst vielleicht gar nicht mehr die politische und militärische Entscheidungsgewalt bei der Aufstandsbekämpfung innehat, ist unklar. Dass ein hoher sunnitischer Geistlicher aus Damaskus im Spiegel erklären durfte, der syrische Präsident wolle gar kein Präsident auf Lebenszeit sein und könne sich auch eine Fortsetzung seiner Karriere als Augenarzt vorstellen, half der Reputation Assads jedenfalls nicht mehr wirklich weiter.
Tatsächlich überraschend war die deutliche Reaktion der Arabischen Liga bei einem Krisentreffen in Kairo am Samstag vergangener Woche. Gegen die Stimmen der jemenitischen und libanesischen und bei Enthaltung der irakischen Regierung wurde der vorläufige Ausschluss Syriens bekanntgegeben. Auch unspezifizierte innerarabische Sanktionen wurden angekündigt. Im Jemen ist ein weiterer Präsident am Werk, der andauernd zurücktreten will, aber es doch irgendwie nicht schafft, und die beiden anderen Regierungen stehen unter dem direkten Einfluss Syriens bzw. des Iran.

Die Reaktion auf den Ausschluss Syriens bestand im Land selbst in »spontanen« Attacken von Anhängern Assads auf die Botschaften und Konsulate Saudi-Arabiens, Katars und der Türkei, gleichzeitig forderte das syrische Regime ein weiteres Nottreffen der Liga, es sei schließlich doch dabei, die vereinbarten friedensstiftenden Maßnahmen umzusetzen. Das Treffen wurde sogleich in Algier anberaumt, vielleicht bekam die Arabische Liga doch etwas Bedenken ob der eigenen plötzlichen Entschlussfreudigkeit. Die algerische Regierung jedenfalls gilt tendenziell als Unterstützerin Assads, während die Initiative gegen das syrische Regime, wie schon der Friedensplan der Liga, vom Emirat Katar ausging, das wiederum mit Zahlungen dem Stimmverhalten der Repräsentanten Algeriens oder des Sudan nachgeholfen haben dürfte.
Hier deuten sich die größeren Konflikte des Nahen Ostens an, für die das Schicksal Syriens immer größere Bedeutung gewinnt. So hatte das Emirat Katar bereits beim Kampf gegen Muammar al-Gaddafi finanziell, logistisch und militärisch die Speerspitze unter den Ländern der Region gebildet. Die Aktivierung der Arabischen Liga im Falle Syriens dient nun ebenfalls dem Zweck, die Bemühungen der türkischen Regierung um Einflussnahme im arabischen Raum zu konterkarieren. Zugleich richtet sich die Politik der Golfstaaten gegenüber Assad weiterhin gegen den Iran und dessen Einfluss auf die Hamas und die Hizbollah. Wie auch immer die Debatte über eine »arabische« Lösung sich entwickeln wird, der Druck auf Assad und Konsorten ist nun noch einmal erheblich gewachsen. Zwar haben die chinesische und die russische Regierung Maßnahmen des Sicherheitsrates gegen das syrische Regime bisher blockiert, und die Nato wird nicht müde zu betonen, es gebe weder »Planungen noch Überlegungen oder gar Diskussionen« über eine Intervention in Syrien, wie der US-Botschafter bei der Nato, Ivo Daalder, behauptete. Aber eine deutliche Position der Arabischen Liga gegenüber dem syrischen Regime würde der Situation eine neue Dynamik verleihen..
Schon hat die chinesische Regierung gefordert, das syrische Regime solle sich an den Plan der Arabischen Liga halten, während die russische Regierung den Westen pauschal bezüglich seiner Haltung zu Syrien kritisierte und eilfertig meldete, sie wolle weiterhin Waffen nach Syrien liefern, schließlich sei das nicht verboten. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sprach dagegen davon, dass man Assad nicht mehr trauen könne und die türkische Regierung möglicherweise dem oppositionellen Syrischen Nationalrat die Eröffnung einer Dependance in Ankara gewähren werde. Die Angst der Regierung Recep Tayyip Erdogans, als regionaler Akteur abgehängt zu werden, war erkennbar. Die europäischen Regierungen werden ihre Sanktionen wieder etwas verschärfen, schließlich müssen sie irgendetwas tun. Der französische Außenminister Alain Juppé deutete darüber hinaus schon einmal vorsichtig die Möglichkeit einer Anerkennung des Syrischen Nationalrats an.
Die Sanktionen zeigen derweil offenbar langsam Wirkung, schließlich hat das Regime in Syrien nicht die finanziellen Möglichkeiten des Iran oder Saddam Husseins. Nach Importbeschränkungen und einem fortlaufenden Verfall der Währung wird nun gemeldet, dass das syrische Regime den an der Förderung des eigenen Öls beteiligten internationalen Firmen ihren Anteil an den Erlösen nicht mehr auszahlen kann. Über die Kapitalflucht aus Syrien gibt es nur Mutmaßungen, deutlich ist jedenfalls, dass bereits Milliarden von Dollar aus dem Land abgezogen worden sind.

Die Situation in Syrien selbst, jenseits der regionalen Machtkalküle, scheint ausweglos zu sein und immer schlimmer zu werden. Unzählige Syrer haben durch ihr lebensgefährliches Engagement in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht, dass sie nicht aufhören werden zu demonstrieren, egal wie hemmungslos das Regime auf sie schießen lässt. Dabei hat sich neben den friedlichen Demonstrationen mittlerweile ein veritabler Guerillakrieg der Free Syrian Army, die aus Deserteuren besteht, gegen die Repressionskräfte Assads etabliert. Dazu kommen von außen kaum fassbare bewaffnete Gruppen, vielleicht sogar jihadistischen Ursprungs. Für die Intensität dieses bewaffneten Kampfes sprechen die täglichen Meldungen über Feuergefechte und Hinterhalte. Auch Oppositionskreise sprechen mittlerweile von rund 1 500 getöteten Angehörigen der Sicherheitskräfte, die zu den oben genannten mindestens 3 500 zivilen Opfern dazugezählt werden müssen. Ein Video zeigte jüngst angebliche Mitglieder der Free Syrian Army, dem Augenschein nach militärisch voll ausgestattete Kämpfer, in einer Gefechtssituation in städtischem Gebiet vor einem zerstörten Panzerfahrzeug der syrischen Armee, das von verstümmelten Soldatenleichen umgeben war.
Neben den täglich gesendeten Aufnahmen von friedlichen Demonstrationen verheißt die ungeheure Brutalität, die auf mittlerweile massenhaft veröffentlichen Videos aus dem Umfeld der Repressionskräfte stets zu sehen ist, eine düstere Zukunft für Syrien. Das Zusammenschlagen von Verhafteten gehört hier mittlerweile zu den harmloseren Bildinhalten, es werden auch Leichen durch Straßen gezogen und Salven in tote Körper entleert. Der Bürgerkrieg wird virtuell und möglicherweise mental vorbereitet.