Die Bundesregierung, die Euro-Krise und die Demokratie

Es geht voran

Demokratische Entscheidungsprozesse gelten bei der Lösung der Euro-Krise als störend. Die Bundesregierung will Abhilfe schaffen.

Seit Guido Westerwelle nur noch Außenminister ist, scheint es in Deutschland stiller geworden zu sein. Doch am Samstag ereiferte sich der FDP-Politiker noch einmal. Nicht über die Massaker in Syrien oder das iranische Atomprogramm, aber ausnahmsweise auch nicht über die mangelnde Leistungsbereitschaft von Hartz-IV-Empfängern, sondern über die Kritiker der »Euro-Rettungsschirms« in seiner Partei. »Europa hat einen Preis, ja. Aber es hat auch einen Wert«, rief er. »Wir machen hier Geschichte, kein Klein-Klein.«
Westerwelles Anteil am »Geschichte Machen« mag dereinst Historikern nur eine Fußnote wert sein, denn offenbar konsultiert Kanzlerin Angela Merkel, die meint, es in der Euro-Krise »immer mehr mit einer europäischen Innenpolitik zu tun« zu haben, ihren Außenminister allenfalls. Doch das Tempo der Veränderungen ist rasant. Seit Anfang November hat die von Merkel geführte EU-Bürokratie mit Intrigen und ökonomischem Druck zwei europäische Regierungen gestürzt. Erst musste der griechische Sozialdemokrat Giorgios Papandreou gehen, dann der italienische Rechtspopulist Silvio Berlusconi. 17 Jahre lang haben Korruption, Machtmissbrauch und Bunga-Bunga nicht wirklich gestört, doch wenn es um das Sparen geht, kennen Merkel und der Markt kein Pardon. In beiden Ländern sollen nun überparteiliche Kabinette von »Technokraten« regieren. Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Sparpakete.
Das Bestreben, die Wirtschaftspolitik den parlamentarischen Institutionen zu entziehen, war bereits im Vertrag von Lissabon erkennbar, der zahlreichen wirtschaftliberalen Regeln faktisch Verfassungsrang gibt und die »unternehmerische Freiheit« zu einem Menschenrecht erhebt, sich über die proletarische Freiheit hingegen ausschweigt. Was sich nun noch ändern soll, erläutert Merkel: »Die langjährige ungebremste Verschuldung, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger Volkswirtschaften, aber auch die Defizite in unseren europäischen Verträgen – diese Schwachstellen müssen wir jetzt beseitigen.«
Eine »Schuldenbremse«, die das Recht des Parlaments, über den Haushalt zu entscheiden, einschränkt, sollen nun alle europäischen Staaten in ihrer Verfassung verankern. Lohnsenkungen, die Ausweitung des Billiglohnsektors, längere Arbeitszeiten und Kürzungen im Sozialbereich sollen die »Wettbewerbsfähigkeit« erhöhen. Wo kommen wir auch hin, wenn eine Krankenschwester in Irland mehr verdient als in Deutschland? Sollte sich doch einmal eine europäische Regierung erdreisten, eine andere als Merkels »alternativlose« Politik zu betreiben, will man sie aus der EU oder wenigstens aus der Euro-Zone hinauswerfen können. Das geht derzeit nämlich noch nicht, auch wenn die Bild-Zeitung und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer etwas anderes suggerieren.
Dass auf demokratische Entscheidungsprozesse und soziale Belange keine Rücksicht genommen wird, verwundert nicht. Erstaunlich ist jedoch der Mangel an Realitätssinn. Deutschland setzt alles daran, seine Exportmärkte in Europa durch Sparmaßnahmen zu ruinieren. Das erhoffte Ergebnis, ein wiedergewonnenes »Vertrauen der Märkte«, muss jedoch ausbleiben, denn freiwillig werden die Anleger auf das Geschäft mit den Staatsanleihen, das mit jedem »Rettungspaket« ausgeweitet wird, nicht verzichten.