Der Ignorant

»Engagierte Künstler« sind ein europäisches Markenprodukt. Weil man hierzulande der Meinung ist, Kunst habe keine soziale Adresse, klebt man ihren Urhebern das Engagement wie ein Ethikzertifikat an. In den Vereinigten Staaten dagegen ist die Tatsache, dass sich Künstler politisch äußern, so selbstverständlich, dass sie kaum der Rede wert ist. Das hat Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört, dass es wohl nie einen amerikanischen Günter Grass geben wird. Zu den Nachteilen, dass sich Judith Butler oder Noam Chomsky ihren antizionistischen Halluzinationen überlassen können, ohne dass sich daran größerer Streit entzündet. Die Redefreiheit, die den offensichtlichen Widersinn ebenso schützt wie das Aussprechen der Wahrheit, ist auch dem Schriftsteller Paul Auster teuer. Doch anders als seine linksdemokratischen Kollegen hält er Israel nicht für einen Apartheidsstaat und Kulturalismus nicht für ein Menschenrecht. Nun hat Auster einen geplanten Besuch in der Türkei mit dem Hinweis auf die zahlreichen kritischen Journalisten abgesagt, die dort inhaftiert sind. Prompt attestierte ihm der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan perfide Doppelmoral, schließlich sei Auster vor zwei Jahren auch nach Israel gereist: »Angeblich ist Israel ein demokratischer, säkularer Staat, in dem die Redefreiheit und die individuellen Rechte nicht eingeschränkt werden. Was für ein Ignorant Sie sind!« In Wahrheit sei Israel »ein religiöser Staat«, der die Menschenrechte mit Füßen trete und »Bomben auf Gaza regnen« lasse. Austers Verhalten sei »respektlos« gegenüber der Türkei. In einer in der vergangenen Woche in der New York Times veröffentlichten Entgegnung stellte Auster klar, was ohnehin evident ist. In Israel existiere Rede- und Meinungsfreiheit, kritischen Autoren drohe keine Gefängnisstrafe. In der Türkei seien dagegen der jüngsten Erhebung des P.E.N. zufolge zurzeit etwa 100 Schriftsteller und Journalisten inhaftiert. Da hatte Erdoğan aber bereits signalisiert, dass Austers Reise ihm sowieso gar nichts bedeutet: »Ob Sie kommen oder nicht, wen kümmert es? Wird die Türkei durch Ihre Absage an Ansehen verlieren?« Wahrscheinlich hat Erdoğan damit sogar recht. Auster wird mit seiner Wortmeldung wohl keinen einzigen Oppositionellen aus einem türkischen Gefängnis holen, sondern sich eher selbst den Vorwurf einhandeln, eine Möglichkeit zum interkulturellen Dialog verschenkt zu haben, die Judith Butler niemals ausgeschlagen hätte.