Die Linkspartei nach dem Rücktritt von Gesine Lötzsch

Her mit dem Traumpaar

Nach dem Rücktritt von Gesine Lötzsch rechneten viele damit, dass die Linkspartei angesichts schlechter Umfragewerte schnell zwei neue Parteivorsitzende wählen würde. Doch der Vorstand möchte die anstehenden Landtagswahlen abwarten und Oskar Lafontaine schweigt.

Schon wenige Stunden nachdem Gesine Lötzsch wegen einer schweren Erkrankung ihres Mannes überraschend ihren Rücktritt vom Bundesvorsitz erklärt hatte, verlautbarte der geschäftsführende Parteivorstand: »Bis zum Göttinger Parteitag wird Klaus Ernst als alleiniger Parteivorsitzender die Partei führen. Wir richten unsere ganze Kraft auf die vor uns liegenden Wahlkämpfe.« Es bleibe bei dem Beschluss, dass alle Personalfragen nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen vorbereitet und auf dem Parteitag Anfang Juni entschieden würden, hieß es.
Dabei kann es sich die Partei eigentlich nicht leisten, nach der Devise »Augen zu und weiter so« zu handeln. Lötzsch, die zusammen mit Klaus Ernst seit Mai 2010 Parteivorsitzende gewesen ist, galt ebenso wie Ernst als »glücklos« oder »umstritten«. Nach diversen politischen Pannen folgten in den vergangenen Monaten Niederlagen bei mehreren Landtagswahlen. In Mecklenburg-Vorpommern reichte es nicht zum Wiedereintritt in die Landesregierung, in Berlin folgte der Verlust der Regierungsbeteiligung und in Oskar Lafontaines Heimat Saarland musste die Linkspartei einen Verlust von über fünf Prozentpunkten verzeichnen. Die Umfrageergebnisse sind schlecht, die Mitgliederzahlen sinken, die Stimmung ist mies.
Trotzdem hatte die Partei es irgendwie geschafft, sich selbst davon zu überzeugen, bis zum nächsten Parteitag so weiterzumachen. Ein Grund dürfte der Programmparteitag im Oktober in Erfurt gewesen sein, bei dem entgegen vielen Erwartungen mit großer Mehrheit und ohne größere Zwistigkeiten ein Parteiprogramm beschlossen wurde. Das wurde auch Lötzsch als Verdienst angerechnet. Offenbar waren die Vertreter konkurrierender Strömungen in der Partei danach gewillt, bei ihren immer wieder auch öffentlich ausgetragenen Personaldebatten bis nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai eine Pause einzulegen.

Lötzsch hingegen hatte bereits im Herbst ihre erneute Kandidatur angekündigt und damit niemanden in der Partei so richtig glücklich gemacht. Alle anderen potentiellen Kandidaten hatten danach nur noch die Wahl, mit ihr oder gegen sie anzutreten. Nach ihrer Demission sahen jetzt vor allem viele Reformsozialisten die letzte Chance, sogar noch vor dem im Juni anstehenden Parteitag – und vor den knapp einen Monat zuvor stattfindenden Landtagswahlen – durch neues Personal die Situation der Partei zu verbessern. Doch ehe eine Debatte beginnen konnte, etwa über den Vorschlag des Thüringer Fraktionsvorsitzenden, Bodo Ramelow, eine neue Doppelspitze aus Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch einzusetzen, bekräftigte der Parteivorstand bei einer Sitzung am Samstag das Nein des geschäftsführenden Vorstands vom Mittwoch.
Dabei hätte das von Ramelow so genannte »Traumpaar« alle relevanten Quoten erfüllt – Ost/West, Mann/Frau, Traditionalisten/Reformer. Zudem hätte man mit dem 54jährigen Bartsch und der 42jährigen Wagenknecht deutlich jüngeren Politikern die Parteiführung anvertraut. Doch Ernst konnte offenbar seine Vorstandskollegen auf eine »mit großer Einmütigkeit« gefasste Entscheidung einschwören, bis Juni so weiterzumachen wie bisher – nur eben ohne Lötzsch. Hinter all dem steht mutmaßlich ein taktisches Problem von Oskar Lafontaine. Der grauen Eminenz der Partei wird nachgesagt, entweder als Parteivorsitzender oder zusammen mit Gregor Gysi als Spitzenkandidat für die nächste Bundestagswahl in die Bundespolitik zurückkehren zu wollen.
Auch der frühere SPD-Politiker, unter dessen Ägide die heutige Partei »Die Linke« 2007 aus PDS und WASG entstand, und seine traditionalistische Anhängerschaft hätten sicher nichts gegen mehr Optimismus einzuwenden. Doch wäre Lafontaine nun aus der Deckung gekommen, wären die zu erwartenden Niederlagen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen auch ihm angelastet worden. Gleiches hätte etwa für die Zusammenarbeit von Wagenknecht und Bartsch gegolten, bei der Wagenknecht als Stellvertreterin Lafontaines betrachtet worden wäre. Politisch harmonieren Wagenknecht und er prächtig, im November hatten sie öffentlich bekanntgegeben, dass sie auch privat ein Paar sind. Bisher hatte Wagenknecht stets betont, nicht gegen Lötzsch antreten zu wollen.
Wahlniederlagen sind vor dem Hintergrund des Streits um die neue Parteiführung nun noch wahrscheinlicher geworden. Lafontaines Position in der Partei dürften sie ohnehin nicht verbessern. Gerade ein Scheitern im größten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen – mit 16 Millionen Einwohnern so groß wie die gesamte ehemalige DDR – würde einen empfindlichen Schlag für das Projekt der West-Linken bedeuten. Manche meinen sogar, der Nichteinzug in den Düsseldorfer Landtag wäre das politische Ende der Partei in Westdeutschland. Hinter diesem taktischen Problem steht aber vor allem ein strukturelles. Gegen Lafontaine geht in der Partei nichts. Das musste 2010 zuletzt Dietmar Bartsch erfahren, dem Illoyalität gegenüber dem damaligen Parteivorsitzenden Lafontaine vorgeworfen worden war. Daraufhin musste Bartsch sich von seinem Posten als Bundesgeschäftsführer verabschieden. Inzwischen sollen sich die beiden wieder versöhnt haben. Lafontaine weiß, dass er auch im Osten Unterstützung braucht.

Doch auch mit Lafontaine wird der politische Erfolg immer unsicherer. Auf die Wähler wirkt der 68jährige nicht mehr wie der Heilsbringer, als der er einst galt. Das wurde zuletzt bei der Wahl im Saarland deutlich. Kurz nach der Wahl wechselte eine Abgeordnete der Linkspartei bereits zur SPD. Immer mehr jüngere Parteifunktionäre fordern deshalb eine Verjüngung des Personals und wenden sich damit gegen Lafontaine. Steffen Bockhahn, der Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, sagte: »Eine Partei muss dafür sorgen, dass sie eigenständig agiert und nicht darauf wartet, was einer sagt.« Der 33jährige fügte hinzu: »Wir brauchen keinen Erlöser.« Die »Linke« solle »jetzt schon an übermorgen denken« und sich »auf etwas jüngere Leute konzentrieren«. Auch die stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping und Rico Gebhardt, der Vorsitzende des mitgliederstärksten Landesverbands, Sachsen, sprachen sich für eine schnelle Klärung aus. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Jan van Aken sagte: »Ein früherer Termin wäre gut, nicht erst kurz vor dem Parteitag im Juni. Ich wünsche mir eine öffentliche Debatte.« Ein solcher Streit sei produktiv, glaubt der 40jährige van Aken.
Selbst die Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, Katharina Schwabedissen, kritisierte Lafontaine indirekt. Die ehemalige WASG-Funktionärin, die eigentlich als loyal gegenüber dem früheren Bundesvorsitzenden gilt, forderte, die Partei solle jetzt intern klären, wer für die Führungsämter in Frage komme. Lafontaine müsse zwar »jetzt nicht den Medien erzählen, was er vorhat«, doch innerhalb der Partei solle die Klärung vorangetrieben werden. Dass das nötig ist, zeigt schon der Blick auf den Kalender: Bis zum Parteitag sind es keine sieben Wochen mehr. Und die Stimmung dürfte sich bis dahin kaum bessern – in den letzten Umfragen lag die Linkspartei sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Schleswig-Holstein nur bei drei Prozent.
Unterdessen hat die Piratenpartei in Umfragen in Nordrhein-Westfalen mit elf Prozent Zustimmung sogar schon die Grünen überholt, die derzeit bei zehn Prozent liegen. Bodo Ramelow scheint der Erfolg der Piraten jedoch keine Sorge zu bereiten: »Die irrlichtern doch quer durch alle Spektren wie ein Staubsauger.« Ein wesentlicher Unterschied zwischen der »Linken« und den Piraten sei: »Wir haben Substanz und bleiben stabil bei sieben Prozent plus X.« Wenn er sich da mal nicht täuscht. Politisch glänzt die »Linke« jedenfalls schon lange nicht mehr, obwohl die politische Situation mit Finanz- und Euro-Krise einer Oppositionspartei wie ihr eigentlich in die Hände spielen müsste.