Der Konflikt zwischen Säkularen und Islamisten in Tunesien

Die Warnung

In Tunesien schlagen die Säkularen Alarm. Sie befürchten, dass die islamistische Partei al-Nahda eine neue Form autoritärer Herrschaft durchsetzt.

Yadh Ben Achour ist nicht bekannt dafür, ein Freund starker Worte zu sein. Er ist ein renommierter tunesischer Jurist und Verfassungsrechtler, er hat als Vorsitzender der Wahlkommission den institutionellen Rahmen für die ersten demokratischen Wahlen in Tunesien im vorigen Jahr mit geschaffen, er hat einen Entwurf für die tunesische Verfassung ausgearbeitet. Aber nachdem am vorvergangenen Wochenende ein säkularer Politiker von einer Gruppe Islamisten fast ermordet worden war, schlug Ben Achour Alarm: »Die Tatsache, dass der Staat nicht gegen die Gewalt dieser Randgruppen von Extremisten schützt, führt uns geradewegs in den Faschismus.« Und er fügte hinzu: »Wenn der Staat weiterhin eine Partei zu Lasten der anderen privilegiert und begünstigt, geraten wir direkt in den Bürgerkrieg, und die Diktatur, die sich ankündigt, wird schlimmer sein als die erste, weil sie im Namen Gottes befehligt.«
Faschismus, Bürgerkrieg, Diktatur? Die Konturen des neuen autoritären Modells, das in Tunesien auf dem Vormarsch ist, werden deutlich, knapp eineinhalb Jahre nach dem Sturz des Diktators Ben Ali. Unter der von der islamistischen al-Nahda-Partei dominierten Regierung findet eine schleichende Transformation der staatlichen Institutionen statt.
Deutlich erkennbar wird das bei der Polizei, die regelmäßig dem Straßenterror der Salafisten freie Hand lässt, während sie auf säkularen Protesten herumtrampelt. Ein Beispiel, das für Aufregung sorgte: Nachdem Salafisten im April eine Aufführung am Tag des Internationalen Theaters in der Avenue Bourguiba in Tunis aufgemischt hatten, ohne dass die anwesende Polizei eingeschritten war, verhängte die Regierung ein Demonstrationsverbot für die Straße, die ein Symbol der Revolution gegen Ben Ali ist. Die darauf folgenden großen säkularen Proteste am 9. April, dem »schwarzen Tag für die Demonstrationsfreiheit«, griffen die Sicherheitskräfte mit Tränengas und Knüppeln an. Eine Neuerung wurde dabei beobachtet: Anhänger von al-Nahda gingen auf Demonstrierende, unter ihnen Abgeordnete wie der Vorsitzende der Kommunistischen Arbeiterpartei Hama Hammadi, los und suchten sie einzuschüchtern. Seither macht das Schlagwort von einer »al-Nahda-Miliz« die Runde.
Derweil profiliert sich die tunesische Justiz mit Blasphemie-Prozessen, in denen das islamistische Volksempfinden den Maßstab liefert, wie es etwa die erstinstanzliche Verurteilung von zwei atheistischen Bloggern zu mehr als sieben Jahren Haft belegt. Ben Achour kritisiert zu Recht, dass Polizei und Justiz »mit zweierlei Maß messen«: »extreme Strenge« gegenüber säkularen Protesten, Intellektuellen und Künstlern, »extreme Milde oder Langsamkeit« gegenüber islamistischen und salafistischen Bewegungen.
Der jüngste Streich al-Nahdas trifft die öffentlichen Medien. Während ein islamistisches Sit-in vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens fast 50 Tage lang eine »Säuberung der Medien der Schande« forderte, regte der al-Nahda-Führer Rachid Ghannouchi an, man könne die staatlichen Medien ja einfach privatisieren. Ein von der Regierung am Samstag einberufenes Treffen zur Medienreform wurde von der Journalisten­gewerk­schaft boykottiert. Dafür fanden sich dort einige Zensoren Ben Alis – auf Einladung al-Nahdas.