Verschärfung der Sicherheitsgesetze in chilenischen Stadien

Keine Trommeln, keine Flaggen

Die verschärften Fußball-Sicherheitsgesetze Chiles treffen vor allem die ärmeren Fans – dass diese sich wehren, passt der Regierung ins Konzept.

Zumindest in seiner Selbstwahrnehmung ist Chile eine Fußballnation – zwar ist auch Rugby in Teilen des Landes sehr beliebt und Tennis erlebt seit den Erfolgen von Marcelo Ríos einen regelrechten Boom, doch Fußball ist und bleibt die Nummer eins, wenn es um Sport geht. Dass Chile neben Venezuela und Ecuador eines von nur drei Ländern im Südamerikanischen Fußballverband ist, die noch nie die Copa América gewonnen haben, und dass die Auswahlteams des chilenischen Verbandes auch sonst nicht viel erreicht haben, tut dem keinen Abbruch.
Derzeit jedoch befindet sich die Fußballnation Chile in einer schweren Krise. Dabei ist die Nationalmannschaft bei der Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien klar auf Kurs und auch im Vereinsfußball läuft es nicht schlecht. Immerhin stand mit Universidad de Chile wie schon vor zwei Jahren ein chilenisches Team im Halbfinale des wichtigsten südamerikanischen Vereinsfußballwettbewerbs, der Copa Libertadores, wo der Club, während ganz Europa auf die EM blickte, auf die Boca Juniors traf. Auf dem Spielfeld läuft es also ganz gut. Die Krise, von der die Rede ist, ist aber keine sportliche. Es geht vielmehr um Fankultur oder besser gesagt darum, dass Verband und Politik mit ihr nicht umzugehen wissen.
Deutschland ist nicht das einzige Land, in dem derzeit eine aufgeregte Debatte über die Sicherheit in den Stadien geführt wird. Auch in Chile wird heftig diskutiert – allerdings wurden dort im Gegensatz zu hier mit dem sogenannten »Plan Estadio Seguro« bereits Fakten geschaffen. Dieser wurde bereits im April vergangenen Jahres angekündigt, ist allerdings erst in diesem Jahr in Kraft getreten. Den Anlass dazu lieferte das Werfen zweier Feuerwerkskörper durch Anhänger von Universidad de Chile bei einem Spiel gegen Deportes Iquique. Es ist jedoch anzunehmen, dass die gegenwärtig enorm unpopuläre rechtskonservative Regierung unter Präsident Sebastián Piñera nur darauf gewartet hat, dass die Empörung über ein konkretes Ereignis die prinzipielle Kritik an dem Erlass überdeckt.
Anlass zu Kritik bietet der »Plan Estadio Seguro« nämlich reichlich. So wirft er – ähnlich wie es gerade bei den Debatten in Deutschland geschieht – viele Dinge durcheinander, die einfach nicht zusammengehören, was sich an dem wilden Sammelsurium der Dinge zeigt, die in Zukunft in Stadien verboten sein sollen. So sind neben Drogen, Alkohol, Waffen und Feuerwerkskörpern in Zukunft auch Trommeln und Flaggen verboten. Fans aller Teams monieren zu Recht, dass damit auch nahezu alles verboten werde, das in ihrer Fankultur wichtig ist. Das wirkliche Problem jedoch ist, dass genau das auch das erklärte Ziel des Erlasses ist.
Als die Regierung Piñera die Umsetzung des Plans ankündigte, sagte einer ihrer Vertreter, es gehe dabei darum, »die barras bravas zu eliminieren«. Diese barras bravas sind in Chile und anderen südamerikanischen Ländern das Pendant zu den hiesigen Ultra-Fanclubs. Ihre Trommeln, ihre Gesänge und das von ihnen regelmäßig veranstaltete Feuerwerk machen viel vom Charme des südamerikanischen Fußballs aus. Vor allem aber sind sie auch soziale Netzwerke, die den meist jungen Menschen aus den ärmeren Schichten eine Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe geben. Die Tickets für die Kurven der barras sind nämlich einigermaßen erschwinglich, während sich kaum jemand derer, die dort stehen, die teuren Tickets für die Tribünen leisten könnte.
Diese Klientel ist der Regierung Piñera jedoch offenbar egal, was in Anbetracht ihrer neoliberalen Wirtschafts- und ihrer desaströsen Bildungspolitik, die seit nunmehr weit über einem Jahr regelmäßig für Proteste und Straßenschlachten sorgen, nicht weiter verwundert. Für Piñera und wohl auch für den chilenischen Fußballverband sind die Menschen in den Kurven, die oft aus den poblaciones, den Armenvierteln, kommen, niemand, mit dem an einen Tisch zu setzen sich lohnen würde. Sie reagieren lieber mit Repression und Stadionverboten, wenn sie nicht gleich die Polizei mit Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstockeinsatz für Ordnung sorgen lassen.
In gewisser Weise geht der Plan der Rechtsregierung tatsächlich auf. Die Fans wollen sich die Verbote nicht gefallen lassen, zündeln mit Absicht weiter in den Stadien und demonstrieren nahezu an jedem Spieltag auf die eine oder andere Weise gegen den »Plan Estadio Seguro«. Da sie dabei auch mal eine Straße blockieren oder auf andere Weise gegen geltende Gesetze verstoßen, hat die Polizei auch regelmäßig die Möglichkeit, mit voller Wucht zurückzuschlagen und den Medien so die erwünschten Bilder von »Gewalt und Randale« zu liefern. Durch die verschärften Einlasskontrollen in den Stadien konnten auch in der Tat mehr als 500 Delinquenten überführt werden. Zwei Drittel von ihnen wurden jedoch mit illegalisierten Drogen erwischt und nicht mit Waffen oder ähnlichem. Ob weniger Kiffen allerdings wirklich einen positiven Effekt auf die Sicherheit in Fußballstadien hat, darf bezweifelt werden.
Was viele Fans besonders empört, ist die Tatsache, dass die verschärften Einlasskontrollen nur für die Kurven gelten, also für diejenigen Teile der Stadien, wo die ärmeren Fans stehen. Ein Vorwurf, der in diesem Zusammenhang immer wieder erhoben wird, lautet »Klassismus«. Die Mitglieder der barras bravas, die meist aus den unteren Schichten kommen, sehen sich von der Regierung diskriminiert. Sie haben den Eindruck, dass sie von ihr als ein Problem angesehen werden, das am besten weggesperrt gehört, und nicht als Menschen, die das gleiche Recht auf Wohlstand und Teilhabe haben wie alle anderen. Ein Redner auf einer Demonstration von Los de Abajo, der barra brava von Universidad de Chile, schlug in die gleiche Kerbe: »Wenn die Regierung möchte, dass sich die Fans wie in den Stadien in Europa verhalten, dann soll sie uns auch die gleichen Krankenhäuser und die gleiche Bildung wie in Europa geben.«
Dass Piñera und seine Regierung dieser Forderung nachkommen werden, darf als ausgeschlossen gelten. Nach Aussage von Cristián Barra, der für den »Plan Estadio Seguro« verantwortlich ist, geht es ohnehin nur darum, dass »Familien sicher ins Stadion gehen können«. Jene Familien, die sich zuhauf in den Kurven finden lassen, sind damit aber wohl nicht gemeint, sondern eher die aus den zahlungskräftigeren Schichten. Im Grunde geht es den Verantwortlichen darum, jedes Moment des Dissenses und der Nichtverwertbarkeit aus den Stadien zu verbannen. Für sie ist Fußball ein Stück Unterhaltungsindustrie, das vor allem Gewinne abwerfen soll. Die in den barras bravas organisierten Fans hingegen erscheinen als Störenfriede, die mit ihren Versuchen, den Zwängen der Leistungsgesellschaft wenigstens für 90 Minuten zu entfliehen, den kapitalistischen Normalvollzug beeinträchtigen. Das Fazit von Carlos Soto von Los de Abajo fällt entsprechend vernichtend aus: »An der Gewalt hat sich nichts geändert und es wird sich auch nichts ändern. Das einzige, was geschehen ist, ist, dass die Fußballkultur in Chile getötet wurde.«