Gertrud Selzer im Gespräch über das 30jährige Bestehen der Gruppe Aktion 3. Welt Saar

»Zu lange geschwiegen«

Wenn eine linke Gruppe ein Jubiläum feiert, gratulieren zumeist nur die üblichen Verdächtigen. Zum 30jährigen Bestehen der Aktion 3. Welt Saar trafen jedoch unter anderem auch Grußworte von der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), der Milchbäuerin Alice Endres und Mark Indig, dem Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Trier, ein. Denn ungewöhnlich ist nicht nur das lange Bestehen der Gruppe in der Provinz. Vor allem mit ihren Stellungnahmen gegen den Islamismus hat die Aktion 3. Welt Saar überregional Aufsehen erregt. Jungle World sprach mit dem Gründungsmitglied Gertrud Selzer.

Frau Selzer, Ihre Aktion 3. Welt Saar wird 30 Jahre alt, alle loben Sie für Ihren langen Atem und die politische Standhaftigkeit. Haben Sie auch etwas falsch gemacht?
Wenig.
Ach, kommen Sie.
Eine Sache gibt es, bei der wir uns sicher an die eigene Nase fassen müssen. Wir haben zu lange zu Themen wie Ehrenmorden, Zwangsverheiratungen und Kopftuchzwang geschwiegen.
Darauf wollte ich eigentlich noch zu sprechen kommen, wenn ich Sie frage, wofür Sie sich loben würden. Diese Intervention war doch ein ungewöhnlicher Schritt für eine Dritte-Welt-Gruppe.
Ja, wir haben 2009 diese Flugschrift »Bye, bye Multikulti – Es lebe Multikulti« herausgegeben …
… in der Sie dem linken Milieu »Kulturrelativismus, falsche Toleranz und unterlassene Hilfeleistung« vorgeworfen haben.
Aber damit kamen wir doch erst sehr spät. Das waren Dinge, die einem nicht gefallen haben, zu denen man dann länger den Mund gehalten hat. Ein ganz wichtiges Thema bei uns ist ja immer die Situation der Flüchtlinge gewesen, vor diesem Hintergrund haben wir vielleicht selbst eine falsche Toleranz entwickelt.
Hatten Sie Angst, Beifall von der falschen Seite zu bekommen?
Ja, und diese Angst war auch nicht unbegründet. Wir haben ja nicht nur die Flugschrift gemacht, sondern ein ganzes Kompetenzzentrum Islamismus aufgebaut. Da muss man natürlich aufpassen, dass man nicht von rechts vereinnahmt wird. 2009 zum Beispiel gab es an der Universität Köln eine kritische Islamkonferenz, die wir mitveranstaltet haben, da wollten dann auch Personen aus dem Umfeld von Pro Köln mitmachen. Das kam für uns nicht in Frage. Dagegen sprechen politische Grundsätze, die für uns eminent wichtig sind.
Zum Beispiel?
Es gibt bei uns keine Islamismuskritik, ohne dass wir uns gleichzeitig gegen den Abschiebeknast in Ingelheim wehren. Das entspringt beides unserem Verständnis von Menschenrechten und gehört deshalb für uns zusammen.
Wie ist der Vorwurf der falschen Toleranz bei denen angekommen, an die er gerichtet war?
Da gab es massive Kritik, etwa von Leuten aus dem grünen Multikulti-Spektrum. Da wurden uns auch Gelder entzogen. Außerdem hat ein großer islamischer Verband in Deutschland dafür gesorgt, dass wir ein Jahr lang kein Geld mehr von der EU bekommen haben. Aber das war es wert. Solche Provokationen machen uns schon Spaß, wenn sie denn sachlich begründet sind. Es ist aber auch nicht ganz leicht. Man muss sich für sowas immer wieder mit den eigenen Bildern und positiven Zuschreibungen – in diesem Fall von Zugewanderten – auseinandersetzen.
Die Auseinandersetzung mit ihren positiven Zuschreibungen begleitet die Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung ja schon länger. Haben Sie da in den vergangenen 30 Jahren auch etwas relativieren müssen?
Wir haben das meist pragmatisch gelöst. Zum Beispiel gab es hier vor Ort viele kurdische und tamilische Flüchtlinge … .
… was für Sie die Frage aufgeworfen hat, wie Sie zur PKK und zu der tamilischen Guerilla der Tamil Tigers stehen?
Ja, klar. Die Tamil Tigers haben beispielsweise Selbstmordattentate verübt, was wir komplett ablehnen. Und innerhalb der PKK gab es Avancen zum politischen Islam, was wir auch komplett ablehnen. Das hieß aber beides nicht, dass wir nicht trotzdem solidarisch mit den Leuten zusammenarbeiten können. Für uns war immer entscheidend, was hier vor Ort passiert.
Wie sah das dann konkret aus?
Zum einen setzen wir uns in Deutschland gegen das PKK-Verbot ein, das wir unsäglich finden. Dazu kam dann ganz banale Beratungsarbeit: mit den Flüchtlingen zum Rathaus gehen und durchsetzen, dass sie bekommen, was sie brauchen.
Die große Debatte, die alle anderen geführt haben – pro und contra nationale Befreiungsbewegungen –, war für Sie kein Thema?
Wir haben uns darauf nie so stark bezogen. Wir hatten bewusst kein Projekt in Nicaragua und auch kein Projekt in Kurdistan ausgebaut. Gleichwohl haben wir uns mit linker Revolutionsromantik hierzulande und mit nationalistischen Zügen innerhalb der Befreiungsbewegungen auseinandergesetzt, wollten aber auch wissen: Was hat das mit uns zu tun? Was liegt hier im Argen? Unser Entwicklungsland ist Deutschland, weil wir uns nicht anmaßen, über Tausende ­Kilometer andere Menschen zu entwickeln.
Und wie sollte sich das entwickeln?
Das Maß aller Dinge ist für uns, dass alle den gleichen Zugang zu Ressourcen bekommen. Es ging uns darum, unser Leben so zu ändern, dass man diesem Anspruch näher kommt – ohne den Wahnsinn zu glauben, dass man mit einem bisschen anders Einkaufen die Welt verändern kann.
Aber einen Eine-Welt-Laden haben Sie doch auch.
Klar, ist ja auch sinnvoll, wenn das mit politischer Arbeit kombiniert wird. Der Weltladen macht vielleicht zehn Prozent unserer Arbeit aus.
Viele internationalistische Gruppen, die sich ja oft mit den revolutionären Bewegungen Lateinamerikas identifizierten, haben sich intern heftig gestritten, als die Fair-Trade-Importeure anfingen, auch normale Supermärkte zu beliefern. Sie auch?
Fair-Trade-Waren bei Lidl zu verkaufen, wo die Arbeitsbedingungen scheiße sind, das geht gar nicht. Bei einem Supermarkt mit akzeptablen Arbeitsbedingungen und Betriebsrat hätte ich damit aber keine Probleme.
Auf der internationalistischen Agenda der achtziger Jahre standen Themen wie Landwirtschaft, Hunger und Schulden ganz oben. Wenn man Ihre letzten Kampagnen anschaut, hat sich da wenig verändert. Ist die Welt die gleiche wie vor 30 Jahren?
Tja, damals haben wir gesagt, es gibt genug Nahrung, so dass niemand verhungern müsste. Da hat sich kaum was geändert. Unsere aktuelle Kampagne zur fairen Landwirtschaft zielt in genau dieselbe Richtung. Ich komme aus einer Bauernfamilie, meine Politisierung hatte mit den Folgen der Soja-Importe aus Ländern der Dritten Welt zu tun. Das ist heute noch genauso ein Problem, da hat sich überhaupt nichts geändert. Die Bauern sind hier wie dort die Gelackmeierten.
Ist der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten am deutschen Internationalismus spurlos vorbeigegangen?
Spurlos nicht, wir haben das schon diskutiert. Aber für uns war der real existierende Sozialismus keine Alternative zum Bestehenden, für uns ist da keine Welt zusammengebrochen.
Das linke Milieu ist überwiegend in den großen Städten angesiedelt. Wie bleibt man in Losheim am See 30 Jahre lang auf der Höhe der Debatte?
Wir sind viel gefahren, etwa zum Buko. Es gab ja lange keine E-Mails und kein Internet, also haben wir uns immer wieder Referenten eingeladen und uns mit denen auseinandergesetzt. Wir waren aber auch viel weniger gefährdet, im eigenen Sumpf zu bleiben, eben weil es hier kein subkulturelles Milieu gibt. Das zwingt uns, uns so aus­zudrücken, dass uns jeder Bürger versteht. Es gibt hier ja nicht viele wie uns. In Berlin muss man nicht mit dem CDU-Politiker diskutieren, wir haben das gemacht. Das hat auch Vorteile.
Welche denn?
Wir können Bündnisse schmieden mit Menschen, die aus ganz verschiedenen Milieus kommen, etwa Umweltverbänden, Gewerkschaften oder dem Bund Deutscher Milchviehhalter. Ein solches Bündnis ist bundesweit einmalig und auch extrem spannend. Weil es auf Augenhöhe abläuft und politische Ziele bündelt. Gleichzeitig konfrontieren wir unsere Bündnispartner mit Themen, mit denen sie sich ansonsten nicht auseinandersetzen, wie der Schließung von Abschiebeknästen oder Homosexualität und Islam.
Hatten Sie Erfolge?
Es gibt ein paar, die wir uns mit zurechnen: Die Schließung des Flüchtlingslagers in Lebach und des Abschiebeknastes in Ingelheim auf die politsche Agenda gesetzt zu haben, die Umbenennung von Orten, die nach dem Kolonialverbrecher Paul von Lettow-Vorbeck benannt waren. Das sind kleine Erfolge, aber die sind nur möglich, wenn man keine Scheu vor Bündnissen hat.
Hat sich dann alles gelohnt?
Auf jeden Fall. Wir sind unabhängig geblieben und haben uns nicht kaufen lassen.