Enttäuschung über François Hollande in Frankreich

Die reichen Tauben sind nicht müde

Viele Franzosen von der Amtsführung des französischen Präsidenten François Hollande enttäuscht. Aktiv werden jedoch vor allem unzufriedene Unternehmer und rechte Nationalisten.

Sehr oft vertreten Politiker die Ansicht, dass sie eigentlich alles richtig machen, die Bevölkerung das aber bedauerlicherweise nicht zu schätzen weiß. Die Lösung liegt auf der Hand: Das Personal muss ausdauernder und überzeugender für die politischen Maßnahmen werben. So denkt offenbar auch der neue Parteivorsitzende der französischen Sozialdemokraten, Harlem Désir. Bei seiner Antrittsrede auf dem Parteitag in Toulouse am Wochenende forderte er seine Partei dazu auf, sich »mobilisiert«, ja »übermobilisiert« zu zeigen. Und zwar, um die Politik der Regierung zu verteidigen, für Fortschritte zu kämpfen und eine »revanchistische Rechte« im Zaum zu halten.

Der französische Parti Socialiste hatte solche Aufforderungen bitter nötig. Kein einziges Parteiplakat und so gut wie keine Parteifahne war in dem großen Kongresssaal zu sehen – er ähnelte einer Produktionshalle für Flugzeuge, was in der von Airbus geprägten Stadt Toulouse nicht verwundert. Amtierende Minister äußerten sich genervt darüber, dass die Partei wenig tue, um die Arbeit des Kabinetts zu unterstützen. Da über die stimmberechtigten Delegierten hinaus weitaus weniger als die angekündigten 4 000 Parteimitglieder gekommen waren, wirkte die Halle vor allem an den ersten beiden der insgesamt drei Tage recht leer. Als einen Parteitag der morosité, der Griesgrämigkeit, bezeichneten mehrere französische Zeitungen den Kongress.
Dies hat auch damit zu tun, dass die Bilanz der Regierung derzeit aus Sicht vieler ihrer Wählerinnen und Wähler ausgesprochen dürftig ausfällt. François Hollandes Popularität sinkt rasant – anlässlich des Sprungs des Österreichers Felix Baumgartner aus der Stratosphäre wurden in den Medien viele satirische Vergleiche gezogen – und unterschritt Ende vergangener Woche die Marke von 40 Prozent. Hollande hatte etwa am 1. März im Wahlkampf angekündigt, den rigide Sparmaßnahmen vorsehenden EU-Vertrag neu auszuhandeln. Doch der wurde in der zweiten Oktoberwoche unverändert durch die Hollande verpflichtete Parlamentsmehrheit angenommen.
Zwar gab es dann doch 70 Gegenstimmen, überwiegend von Sozialdemokraten und Grünen, und ein »kleiner Parteitag« der zweiten Regierungspartei, der französischen Grünen, beschloss Ende September mit 70prozentiger Mehrheit ihre Ablehnung des Sparpakts. Dennoch nahmen über 400 Abgeordneten ihn letztlich an, die konservative und wirtschaftsliberale Opposition stimmte dabei gemeinsam mit dem regierungstreuen Teil des sozialdemokratisch-grünen Lagers. Die Position der Grünen wurde von Premierminister Jean-Marc Ayrault toleriert, weil diese zwar symbolisch gegen den Vertrag stimmten, jedoch danach das auf ihm fußende Haushaltsgesetz mit seinen Sparmaßnahmen mittrugen.
Auch von vielen anderen Wahlkampfversprechen will Hollande längst nichts mehr wissen, oder aber sie werden sehr eigenwillig intepretiert. Ende Februar hatte Hollande den sich müde dahinschleppenden Wahlkampf dadurch belebt, dass er einen neuen Spitzensteuersatz für Einkommensmillionäre in Höhe von 75 Prozent ankündigte. Darüber wurde in ganz Europa diskutiert. Tatsächlich sieht das neue Haushaltsgesetz einen solchen Spitzensteuersatz nun vor. Aber er wird nur etwa 1 500 Personen in ganz Frankreich betreffen.

Denn sämtliche Formen von Kapitaleinkünften – Mieteinnahmen, Aktiendividenden, Börsengewinne – werden aus dem in dieser Höhe zu besteuernden Einkommen ausgeklammert. Nur Einkünfte in Form von Lohn und Gehalt werden berücksichtigt. Der Höchststeuersatz betrifft Manager der höchsten Gehaltsstufe, die jedoch ihr Einkommen nun umschichten dürften und sich wohl im kommenden Steuerjahr lieber mit Aktienpaketen oder Ähnlichem bezahlen lassen werden. Anders hätte es ausgesehen, wenn man Kapitaleinkünfte einbezogen hätte.
Dennoch sind die Kapitaleigentümer empört. Ihnen gelang es in den vergangenen Monaten, die Regierung unter Druck zu setzen. Denn während soziale Bewegungen sich kaum rührten – abgesehen von Streiks in einzelnen Großunternehmen, wie vergangene Woche bei dem Bahnbetreiber SNCF am Donnerstag und der Fluggesellschaft Air France am Freitag, die jedoch unternehmensspezifische Forderungen betrafen –, waren die Wirtschaftsliberalen aktiver. Mit der Hilfe von PR-Agenturen organisierten Unternehmer eine Kampagne unter der Selbstbezeichnung les pigeons (die Tauben). Der Begriff bezeichnet metaphorisch auch leichte Opfer, die man rupfen kann.
Anlass des Zorns war die Anhebung einer Steuer für die Veräußerung von Unternehmen. Die Regierung benötigte nur fünf Tage, um vor der Kampagne der vermeintlichen gerupften Kapitalisten einzuknicken. Ein Karikaturist der Abendzeitung Le Monde versuchte später, die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Xavier Gorce zeichnete zwei Figuren, von denen die eine vermeintlich dem Gurren von Täubchen zuhört. Die andere kommentiert trocken: »Du hast wieder deine Brille nicht auf!« Im Hintergrund sieht man eine Schar von Geiern, die sich um Knochen streiten.

Die Führung der Gewerkschaftsdachverbände, vor allem von CGT und CFDT, ist stärker als zu Zeiten der konservativ-wirtschaftsliberalen Vorgängerregierung in die Vorbereitung mancher Regierungsprojekte eingebunden oder hofft jedenfalls, dies werde bald geschehen. Zudem sind beide Dachverbände derzeit mit internen Fragen beschäftigt, da die jeweiligen Generalsekretäre, Bernard Thibault und François Chérèque, sich anschicken, die Führung an ihre Nachfolger Thierry Lepaon und Laurent Berger zu übergeben.
Druck auf die Regierung kommt deswegen vor allem von rechts. Auch die größte Oppositionspartei, die konservative und wirtschaftsliberale ebenso wie nationalistische und rassistische Strömungen umfassende UMP, bereitet sich auf die Wahl einer neuen Führung vor. Am 18. November fällt die Entscheidung zwischen ihrem Generalsekretär Jean-François Copé und dem früheren Premierminister François Fillon. Letzterer gilt als Favorit. Vor allem Copé verlässt sich auf eine an Ressentiments und Rassismus appellierende Kampagne, die seine Partei noch weiter an den derzeit ebenfalls erstarkenden Front National (FN) annähern würde. Gewänne er, dann erhielte eine aus der antigaullistischen extremen Rechten kommende Abgeordnete, Michèle Tabarot, die Tochter eines in den sechziger Jahren aktiven Mitglieds der rechten Terrororganisation OAS, das zweithöchste Amt in der »postgaullistischen« Partei.
Am Wochenende verkündete Copé, falls er am 18. November gewählt werde, werde die Rechte künftig auch auf die Straße gehen. In größerem Ausmaß war dies zuletzt bei den Demonstrationen zur Verteidigung der katholischen Privatschulen im Jahr 1984 der Fall, die damals von Konservativen und FN gleichermaßen getragen wurden. Insbesondere gegen die Pläne der Regierung, die Homo-Ehe zu legalisieren – die Copé als Bürgermeister von Meaux in »seinem« Rathaus dann gesetzwidrig boykottieren will – und das kommunale Ausländerwahlrecht einzuführen, will Copé agitieren.
Die Pläne für das Ausländerwahlrecht wird die Regierung allerdings wohl ohnehin zurückstellen. Copés Ankündigung kam dem neuen Vorsitzenden der Regierungspartei, Harlem Désir, jedoch offenbar gelegen. Seine Warnungen auf dem Parteitag, die Rechte drohe »ihre republikanischen Werte zu verraten«, erhielten den stärksten Applaus. Wenn man seinen Anhängerinnen und Anhängern wenig zu bieten hat, ist ein verhasster Feind hilfreich.