Rechte und linke Nationalisten in Katalonien

Katalanisches Nirgendwo

Angesichts der schweren Krise hatten die in Katalonien regierenden Konservativen auf den Separatismus gesetzt. Bei den Wahlen haben sie einen Rückschlag erlitten, nicht jedoch der Nationalismus.

»Katalonien entscheidet über seine Zukunft«, titelten viele Medien vor den Kommunalwahlen vom Sonntag. Die bisher regierende konservativ-nationalistische Convergència i Unió (CiU) wollte aus der politischen Abstimmung eine über den Nationalismus machen und hatte die Unabhängigkeit Kataloniens an das Erreichen der absoluten Mehrheit geknüpft. Bis 2020 werde Katalonien ein eigenständiges Mitglied der EU sein, hatte der Regierungschef und Vorsitzende der CiU, Artur Mas, selbstbewusst vor der Wahl prophezeit und die Menschen aufgefordert, nicht nach Inhalten, sondern nach »nationalistischem Gefühl« zu wählen. Am Sonntag erlitt die CiU jedoch eine schwere Niederlage. Zwar wurde sie mit 30 Prozent der Stimmen erneut stärkste Partei, verlor aber zwölf Sitze im katalanischen Parlament. Stattdessen ging überraschend die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) als Siegerin aus der Wahl hervor. Die linksnationalistische Partei konnte die Zahl ihrer Sitze verdoppeln und ist nun die zweitstärkste Kraft in Katalonien. Mit der Wählervereinigung Candidatura de Unidad Popular (CUP) ist zudem nun eine weitere Gruppierung der linken Unabhängigkeitsbewegung im Regionalparlament vertreten. Mit 74 von 135 Sitzen stellen die Separatisten die Mehrheit im katalanischen Parlament. Somit ist die Diskussion um die Loslösung vom spanischen Staat trotz des Wahldebakels der konservativen Nationalisten keineswegs vorbei.

Nachdem sich die wirtschaftliche Krise in Spanien bereits zu einer politischen und sozialen aus­geweitet hat, steht nun die staatliche Einheit auf dem Spiel. Die Unabhängigkeit Kataloniens wäre für den Zentralstaat vor allem ein ökonomisches Desaster. Fast 30 Prozent der spanischen Exporte kommen aus Katalonien, zudem kann die Region mit dem Tourismus auf einen Wirtschaftszweig bauen, der nicht auf die Kaufkraft der verarmten Bevölkerung angewiesen ist. Dies wären zwar gute Aussichten für einen unabhängigen katalanischen Staat, aber zugleich kann es sich Spanien finanziell nicht erlauben, der produktiven Region volle Autonomie zu gewähren. Die hohen Abgaben an den spanischen Staat sind auch der Hauptgrund für die Hinwendung der CiU zum Separatismus. Denn obwohl Katalonien die wirtschaftlich stärkste Region Spaniens ist und jährlich zwischen zwölf und 16 Milliarden Euro an die anderen Regionen abgibt, ist sie zugleich hochverschuldet und musste im August den spanischen Staat um einen Kredit von fünf Milliarden Euro bitten. Bisher hatte die CiU einen gemäßigt nationalistischen Kurs vertreten und galt der spanischen Rechten als verlässlicher Bündnispartner, der den katalanischen Nationalismus der Oberschicht in staatstragende Bahnen lenkte. Jedoch wächst auch dort die Unzufriedenheit, viele sehen ihre Interessen in einem eigenständigen katalanischen Staat besser geschützt. Nachdem ein Treffen zwischen Mas und Rajoy über eine Ausweitung der Finanzautonomie Kataloniens im September gescheitert war, hatte der katalanische Regierungschef verärgert Neuwahlen angekündigt und sich für die Loslösung vom spanischen Staat stark gemacht.
Umfragen zufolge unterstützt mittlerweile mehr als die Hälfte der katalanischen Bevölkerung die Forderung nach Abtrennung vom spanischen Staat. Am elften September, dem katalanischen »Nationalfeiertag«, waren anderthalb Millionen Menschen unter dem Motto »Katalonien – der nächste Staat in Europa« auf die Straßen Barcelonas gegangen. Dies war die größte Demons­tration in Spanien seit Einführung der Demokratie Ende der siebziger Jahre. Kurz darauf verabschiedete das katalanische Parlament mit großer Mehrheit eine Resolution, in der ein Referendum über die Unabhängigkeit innerhalb der kommenden Legislaturperiode angekündigt wurde.
Die Antwort aus Madrid war eindeutig: Ministerpräsident Mariano Rajoy von der rechtskonservativen Volkspartei (PP) warf den katalanischen Nationalisten vor, Spanien zerstören zu wollen. »Außerhalb Spaniens und der EU ist man im Nirgendwo«, drohte Rajoy. Unterstützt wurde er dabei aus Brüssel, wo angedeutet wurde, dass Katalonien im Falle einer einseitigen Loslösung von Spanien auch aus der EU und allen damit verbundenen Verträgen herausfallen würde.
Seit die Forderungen nach einem unabhängigen katalanischen Staat lauter geworden sind und mittlerweile auch von der katalanischen Regionalregierung selbstbewusst vertreten werden, stehen sich Katalonien und der spanische Zentralstaat gereizt gegenüber.
Als im Oktober Kampfjets der spanischen Luftwaffe am Himmel über Katalonien zu sehen waren, wurde das von vielen Katalanen bereits als Drohgebärde Spaniens verstanden. Das Militär betonte zwar, dass es sich um eine reguläre Übung gehandelt habe, jedoch hatte es zuvor Drohungen mehrerer rechter Politiker und Militärvertreter gegeben, gegebenenfalls die Einheit Spaniens militärisch schützen zu lassen. So hatte Oberst Francisco Alamán Castro die Situation mit dem Beginn des spanischen Bürgerkriegs 1936 verglichen und zugleich klargestellt, auf welcher Seite er das Militär dabei sieht: »Die Verfassung regelt eindeutig die Rolle des Militärs angesichts einer Situation, wie sie von den katalanischen Separatisten angestrebt wird.« Die aggressive Haltung der spanischen Rechten hat der traditionellen linken Unabhängigkeitsbewegung Aufschwung gegeben. Auch sie sieht solche Drohgebärden, ebenso wie den spanischen Länderfinanzausgleich, nur als weitere Beispiele für die fortwährende »koloniale Unterdrückung« der katalanischen Na­tion.

An dieses weit verbreitete nationalistische Gefühl wollte die CiU anknüpfen und argumentierte weniger ökonomisch, sondern rechtfertigte ihre Hinwendung zum Separatismus mit dem »Überleben des katalanischen Volkes« und der Betonung kultureller Unterschiede. Mit der Beschwörung nationaler Einheit versuchte die CiU angesichts anstehender Sparmaßnahmen und harter Einschnitte im Sozialsystem von ihrer eigenen Krisenpolitik, die sich kaum von der zentralspanischen unterscheidet, abzulenken. Denn auch in Katalonien verschlechtern sich die wirtschaftliche und soziale Lage. Der Gewerkschaft CCOO zufolge lebt bereits ein Drittel der Katalanen unter der Armutsgrenze.
Die Taktik ist jedoch nicht aufgegangen. Stattdessen wandten sich viele den traditionellen Parteien der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu. Auch im Baskenland gewann der Nationalismus durch die Krise erneut an Stärke. Dort gewann das Bündnis Bildu der linken Unabhängigkeitsbewegung bei den Wahlen Ende Oktober 25 Prozent der Stimmen und wurde damit zweitstärkste Kraft im Parlament. Der konservativ-nationalistische Partido Nacionalista Vasco (PNV) verlor zwar ein paar Sitze, wird aber trotzdem nach dreijähriger Pause nun wieder die Regierung stellen, da die bislang regierenden Sozialdemokraten mehr als ein Drittel ihrer Sitze verloren haben. Damit hat auch im baskischen Parlament der Separatismus eine Mehrheit, denn der PNV hat ebenfalls seinen bisher eher gemäßigten Kurs aufgegeben und will das Baskenland zu einer »europäischen Nation« machen. Erneut wenden sich die Menschen angesichts tiefgreifender Krisen vermeintlichen Gewissheiten wie Volk und Nation zu. Zwar gibt es im krisengeschüttelten Spanien derzeit große Protestbewegungen und auch die Arbeiterbewegung gewinnt an Stärke, wie erst Mitte November beim Generalstreik deutlich wurde. Mit den nationalistischen Massenaufzügen durch die prunkvolle Via Laietana in Barcelona kann aber die Bewegung der Empörten ebensowenig mithalten wie die Arbeiterbewegung.