Wie man einen Pastor tötet

Stockholm unter einer Glocke mittsommernächtlicher Hitze. Dr. Glas denkt in dieser Nacht darüber nach, einen Mord zu begehen. Von den Ideen Nietzsches und Dostojewskis um den Schlaf gebracht, grübelt der Arzt darüber nach, ob der Mord die einzige Möglichkeit ist, um einer seiner Patientinnen zur Freiheit zu verhelfen. Deren älterer, abstoßender Ehemann ist Pastor und ihm seit jeher ein Dorn im Auge – und nun, da die schöne Helga Grego­rius ihm verraten hat, dass ihr Mann sich immer wieder das Recht herausnimmt, sie zu vergewaltigen, steht für den Allgemeinmediziner fest, dass der »eklige Pilz auf der Kanzel« sterben muss. Eine selbstgerollte Zyankalikugel liegt schon bereit.
Hjalmar Söderberg, der Skandalautor des schwedischen Fin de siècle, hat mit »Doktor Glas« einen glänzenden Roman über ein moralisches Dilemma geschrieben. Soll der von Melancholie zerrissene Doktor einen Mord im Namen der sexuellen Freiheit einer Fremden begehen – oder soll er die Tat ihrem Geliebten überlassen? Doktor Glas entscheidet sich, alles für die unerreichbare Helga mit den funkelnden Sternenaugen aufs Spiel zu setzen.
Söderberg, der in den dreißiger Jahren gegen den Faschismus Stellung bezog, diskutiert in seinem Hauptwerk von 1905 ethische Fragen. Seine Darstellung der Moral als »Karussell in ständiger Bewegung« ist nach wie vor plausibel. Wenn er widerstreitende Gedanken »wie gesprenkelte Falter« flattern lässt, folgt man ihm atemlos.

Hjalmar Söderberg: Doktor Glas. Manesse-Verlag, Zürich 2012,
252 Seiten, 19,95 Euro