Stamatis Nikolopoulos und Giorgos Tsiaras im Gespräch über die unabhängige griechische »Zeitung der Redakteure«

»Diese Zeitung ist ein kleines Wunder«

Nach dem Konkurs von Griechenlands legendärer linksliberaler Zeitung Eleftherotypia im Jahr 2011 schlossen sich mehrere der ehemaligen Beschäftigten mit anderen Medienarbeitern zusammen, um eine eigene unabhängige Zeitung herauszubringen. Mehr als 80 Journalisten und 20 Techniker gründeten zu diesem Zweck im vo­rigen Jahr eine Genossenschaft. Seit dem 5. November erscheint nun die Zeitung der Redakteure, die von den Beschäftigten selbst finanziert wird. Über ihren Platz in der von der Krise schwer angeschlagenen Medienbranche und die Beziehung zur inzwischen wieder erscheinenden Eleftherotypia sprach die Jungle World mit Stamatis Nikolopoulos, Chefredakteur der Zeitung der Redakteure, und Giorgos Tsiaras, verantwortlich für das Auslandsressort.

Die Zeitung der Redakteure erscheint schon seit drei Monaten. Wie kam es zu ihrer Gründung?
Nikolopoulos: Als uns klar wurde, dass keine Lösung für das Problem mit Eleftherotypia zu finden war, als deren Besitzerin die Anwendung von Ar­tikel 99 des Konkursgesetzes verlangt hat (Lohnabhängige gelten dann als Gläubiger des Unternehmers, dieser muss ihnen so den geschuldeten Lohn nicht zahlen, Anm. der Red.) und die Zeitung diskreditieren wollte, haben wir die wichtige Entscheidung getroffen, eine eigene Zeitung zu machen. Wir haben es aus zwei Gründen getan: erstens, damit wir in Zeiten der Krise einen Arbeitsplatz haben, und zweitens, um den Geist von Eleftherotypia wiederzubeleben, deren Qualität sich in der vergangenen Zeit zum Schlechten geändert hatte.
Tsiaras: Die Genossenschaft funktioniert folgendermaßen: Jeder von uns gab 1 000 Euro als Startkapital und wir vereinbarten unter uns, die ersten zwei Monaten auf Lohn zu verzichten.
Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Nikolopoulos: Wir möchten eine gute Zeitung herausgeben, eine unabhängige Zeitung. Ich glaube, wir haben das bis zu einem gewissen Grad sehr gut geschafft. Wir sind an dem Punkt angelangt, dass wir durchschnittlich 10 000 Zeitungen verkaufen, inklusive der Samstagsausgabe. Wir sehen, dass die Zeitung Tag für Tag besser wird, eine Leserschaft gewinnt und eine wichtige Rolle unabhängigen Journalismus spielt. Jeden Tag wird unsere Arbeit schwieriger, aber gleichzeitig auch schöner.
Tsiaras: Diese Zeitung ist ein kleines Wunder. Selbst ich, der ich meine Stelle bei To Vima aufgegeben habe, um mich an diesem Projekt zu beteiligen, war nicht sicher, ob wir es schaffen werden. Heute haben wir unseren ersten Lohn bekommen. Und wichtig ist, dass wir alle denselben Betrag bekommen haben, von der Sekretärin bis zum Chefredakteur. Wenn wir es schaffen, weiterhin täglich 10 000 Zeitungen zu verkaufen, werden wir für unsere Arbeit bezahlt. Keiner weiß, ob das auch funktioniert. Wir sind ein kleines Boot auf diesem großen Ozean des Medienmarkts. Manchmal sinken die großen Schiffe bei einem Sturm schneller, weil sie nicht so leicht wenden können, und kleine Boote kommen durch. So will ich es sehen. Ich glaube, wir haben gute Chancen, zu überleben. Wir haben uns als widerstandsfähig erwiesen, die Zeitung wird immer noch gedruckt, obwohl viele geglaubt haben, dass es nicht so weit kommen wird. Wichtig ist, dass wir unsere Arbeit sehr gerne machen!
Wie sieht es derzeit mit dem Wettbewerb auf dem Medienmarkt in Griechenland aus?
Tsiaras: Zeitung zu lesen ist für viele Griechinnen und Griechen ein Luxus. Damit man jeden Tag Zeitung lesen kann, braucht man im Monat durchschnittlich 40 Euro. Und viele Menschen verdienen nur 500 Euro monatlich oder sind arbeitslos. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der jungen Menschen eher eine Sportzeitung kaufen wird. Es gibt Leser, die uns wegen des Inhalts und der politischen Haltung kaufen möchten, uns aber mitteilen, dass ihnen dazu das Geld fehlt oder sie die Zeitung nur zwei oder drei Mal in der Woche kaufen können. Es ist ein Überlebenskampf nicht nur für uns, sondern für alle Zeitungen in Griechenland. Die Zahl der Leser ist stark zurückgegangen. Insgesamt verkaufen alle Tageszeitungen 100 000 Exemplare. Früher hat allein Eleftherotypia 100 000 Exemplare verkauft. Viele Kollegen von anderen Zeitungen sagen uns, wir sollten durchhalten, weil dieses Experiment wichtig für die ganze Branche sei, so wie gerade die Lage ist. Und generell finden sehr viele diesen Versuch der Selbstverwaltung sehr wichtig.
Was sind Ihre Pläne?
Nikolopoulos: Zunächst einmal, als Zeitung zu überleben und immer besser zu werden. Denn fast zur gleichen Zeit ist eine andere Zeitung erschienen: 6 Meres, die versucht hat, unsere Leser und die ehemaligen Leser von Eleftherotypia zu gewinnen. Und der zweite Kampf ist der mit der neuen Eleftherotypia, insbesondere wegen der Bedingungen, unter denen sie wieder gedruckt wird. Sie verkörpert nichts von der alten Eleftherotypia.
Tsiaras: Ich glaube, wir müssen mehr Wert auf die Internet-Präsentation der Zeitung legen. Da wir sehr gerne mit Papier arbeiten und wir sehr viel Kraft darauf verwendet haben, eine gute Zeitung herauszubringen, mit den wenigen Mitteln, die uns zur Verfügung standen, haben wir diesen Bereich ein wenig vernachlässigt. Viele haben sich gewundert, als wir vor ein paar Tagen unsere Seitenzahl von 48 auf 56 erhöhten, zu einem Zeitpunkt, wo viele Zeitungen die Anzahl der Seiten reduzieren.
Eleftherotypia ist seit dem 10. Januar wieder am Kiosk erhältlich. Wie sind die Beziehungen zu der neuen Zeitung und zu Ihren ehemaligen Kollegen, die sich entschieden haben, dort wieder zu arbeiten?
Nikolopoulos: Mit den ehemaligen Kollegen haben wir kein Problem. Mit der Zeitung an sich auch nicht, es ist einfach eine andere Zeitung. Das geht uns nichts an. Es gibt aber einen anderen, sehr wichtigen Aspekt. Diese Zeitung wird von einem Unternehmen herausgegeben, das uns unserer Löhne und einer Entschädigung in Höhe von 25 Millionen Euro berauben will. Darüber hinaus gibt es andere ethische und juristische Probleme, über die die Geschichte entscheiden wird.
Tsiaras: Ich kann dazu nicht sehr viel sagen, weil ich selbst nicht dieses Psychodrama erlebt habe, das die Angestellten bei Eleftherotypia durchgemacht haben. Die Art und Weise, wie Eleftherotypia geschlossen wurde, war sehr schlimm. Ich glaube, diejenigen, die hier sind, haben gut reagiert. Als klar war, dass Eleftherotypia, so wie wir sie kannten, tot war, haben sie sich entschieden, etwas Eigenes zu machen. Die Form, in der Eleftherotypia jetzt wieder erschienen ist, ist in meinen Augen ein Sakrileg gegenüber der alten Zeitung und ihren Lesern und Redakteuren. Manche Kollegen waren gezwungen, dort wieder zu arbeiten, wegen der Bedingungen in der Branche. Hoffentlich werden die ehemaligen Angestellten entschädigt, und dann soll die Zeitung rauskommen und auch gut sein. Möge die Beste überleben!
Es sind fast drei Jahren vergangen, seit Griechenland internationale Hilfe verlangt hat und seit der harte Sparkurs beschlossen wurde, der jetzt umgesetzt wird. Wie schätzen Sie die politische und gesellschaftliche Lage derzeit ein?
Nikolopoulos: Ich werde dafür den Titel eines Films von Theo Angelopoulos zitieren: »Der schwebende Schritt des Storches«. Wir befinden uns tatsächlich in einer Übergangsphase. Wie hier oft gesagt wurde, hat das Ende der Metapolitefsi (der Übergang von der Diktatur zur Demokratie, Anm. d. Red.) mehr oder weniger stattgefunden. Die drei vergangenen Regierungen nach dem Sparmemorandum haben das Leben aller Griechinnen und Griechen verändert und sie haben den Lebensstandard sehr verschlechtert. Einen Niedergang gab es auch in der Politik: das Phänomen Chrysi Avgi, der Autoritarismus der Regierung, das kaum funktionierende Parlament. Generell hat die Krise einen großen Rückschritt gebracht. Ich glaube, dass sich in dieser Übergangsphase neue politische Kräfte bilden, die in der kommenden Zeit eine Rolle spielen werden.
Tsiaras: Das Schlimmste ist, dass dieselbe privilegierte Elite, die das Land in die heutige Situation geführt hat, noch die Kontrolle hat und immer noch mit Gewalt gegen diejenigen vorgeht, die Widerstand leisten und reagieren.