Aus der zweiten Reihe

»Wunderkind«, »erfahrener Jungspund«, »Italiens neue Hoffnung« war er in deutschen Medien genannt worden. Dass man sich hierzulande so über die Ernennung Enrico Lettas zum neuen Ministerpräsidenten gefreut hat, wundert nicht. Nun scheint das, was internationale Kommentatoren »politischen Stillstand« genannt haben – bei dem jedoch alles Mögliche geschehen ist –, erst einmal beendet zu sein. Man wünscht sich nur eines: eine »handlungsfähige« Regierung, die das tief in der Rezession steckende Italien vor allem angesichts der Euro-Krise normalisiert. Ein verständlicher Wunsch aus europäischer, insbesondere deutscher Perspektive. Der ehemalige Christdemokrat Letta, der mit nur 46 Jahren bereits Europaminister in einer Mitte-Links-Regierung und Bürochef des früheren Ministerpräsidenten Romano Prodi gewesen ist, ist jedenfalls die richtige Wahl für eine Politik der Kontinuität mit der Regierung der Technokraten unter Mario Monti. Letta, der bis vor wenigen Tagen noch Vizesekretär der Demokratischen Partei war – bevor deren gesamte Führungsriege nach dem Debakel um die Wahl des Staatspräsidenten zurücktrat –, gehört schon lange zum politischen Establishment. Er war noch nie eine auffällige Person, vielmehr hat er immer diskret aus der zweiten Reihe heraus agiert und gilt als pragmatischer, nervenstarker Vermittler. In seiner Familie hat die Politik aus der zweiten Reihe Tradition. Sein Onkel, Gianni Letta, gehört zu den prominentesten Politikern der rechtskonservativen Partei Popolo della Libertá und ist einer der engsten Vertrauten von Silvio Berlusconi. Und in diesem Namen schließt sich, wie so oft in der italienischen Politik, der Kreis.
Nach zwei Monaten, in denen es zeitweilig so schien, als würde das alte politische System in sich zusammenbrechen, nach dem Einzug der Wutbürgerinnen und -bürger ins Parlament, nach einer spektakulären Wahl des Staatspräsidenten und nach der endgültigen Zerlegung der Demokratischen Partei, die es in der Form, in der man sie bisher gekannt hat, wohl nicht mehr geben wird, kam es zur ersten großen Koalition der republikanischen Geschichte. In italienischen Medien ist daher kaum von »Hoffnung« die Rede. Erst recht nicht nach den Schüssen des angeblich »geistig gestörten« Luigi Prieti vor dem Regierungssitz in Rom am Sonntag, während die Minister der Regierung Letta vereidigt wurden.