Deutsche Autos dürfen weiter stinken

Freie Fahrt für deutsche Schlitten

Die Bundesregierung hat niedrige CO2-Grenzwerte für Autos in Europa vorerst verhindert. Davon profitieren deutsche Autokonzerne, die mit der Produktion von Luxuskarossen viel Geld verdienen.

Auf Angela Merkel ist Verlass. Nachdem die Bundeskanzlerin in der vergangenen Woche den Beschluss einer Neuregelung der EU-Abgasnormen mit einem Anruf beim irischen Ministerpräsidenten Enda Kenny, der derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, verhindert hatte, zeigte sich die deutsche Automobilindustrie ausgesprochen zufrieden. Unmittelbar nachdem bekannt geworden war, dass die Abstimmung über die EU-Abgasnorm, für die bereits ein Termin feststand, wegen Merkels Intervention vertagt worden war, verkündete der Verband der Automobilindustrie (VDA), bei »einer so wichtigen industriepolitischen Entscheidung« müsse »Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen«. Deswegen sei es »richtig, dass die irische Ratspräsidentschaft den EU-Mitgliedsländern ausreichend Zeit zur Prüfung des Kompromissvorschlages einräumt«, heißt es in der Presseerklärung. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, hatte Matthias Wissmann, der Präsident des VDA, der Bundeskanzlerin vor zwei Wochen einen Brief geschickt, in dem er die »liebe Angela« gewarnt hatte, es könne nicht angehen, »dass wir unser leistungsfähiges und starkes Premiumsegment, das fast 60 Prozent der Arbeitsplätze unserer Automobilhersteller in Deutschland ausmacht, über willkürlich gesetzte Grenzwerte buchstäblich kaputtregulieren lassen«.

Fünf Jahre land wurde in der EU über strengere CO2-Normen für Autos verhandelt. Die Unterhändler der Mitgliedstaaten und das Parlament hatten bereits eine Einigung erzielt, die vorsah, dass die CO2-Höchstgrenze für den Durchschnitt der Fahrzeugflotte jedes Autobauers in der Zeit von 2015 bis 2020 von derzeit 120 auf 95 Gramm pro gefahrenem Kilometer sinken soll. Vor
allem deutsche Autokonzerne wie BMW, Audi und Daimler sind davon weit entfernt. Der durchschnittliche Daimler-Neuwagen liegt bei fast 150 Gramm, der gerade vorgestellte R8 Spyder von Audi bringt es gar auf 349 Gramm CO2 pro Kilometer. Angesichts solcher Werte ist es nicht überraschend, dass die Bundeskanzlerin und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die deutschen Automobilhersteller gegenüber der Forderung nach niedrigeren Grenzwerten schützen.
»Deutschlands Vorreiterrolle im Klimaschutz«, über die Merkel sonst gerne spricht, endet, wenn es um monströse Fahrzeuge mit hohem Spritverbrauch aus Stuttgart, München oder Ingolstadt geht. »Da geht es auch um Beschäftigung«, sagte die Bundeskanzlerin über ihren Einsatz bei der EU für die Interessen der deutschen Autoindustrie. Auch zukünftig soll die Bourgeoisie in aller Welt aus Deutschland ihre wichtigsten Statussymbole erhalten dürfen.

Die Kritik, die Umweltverbände an der Vorgehensweise der Kanzlerin übten, dürfte die schwarz-gelbe Bundesregierung ebenso verkraften wie die potentiellen Kunden der Hersteller von Luxusfahrzeugen. Die deutsche Umwelthilfe verschickte eine ironische Pressemitteilung, in der sie »Daimler und BMW zur Übernahme der Regie im Kanzleramt« gratulierte. Greenpeace warf Merkel vor, »demokratische Prozesse zu kidnappen und andere Regierungen einzuschüchtern, um einige wenige Luxusauto-Hersteller zu hätscheln«.
Dass so wenig Kritik an Deutschlands selbstherrlichem Vorgehen innerhalb der EU laut wurde, verdeutlicht auch, wie unangefochten die deutsche Hegemonie in Europa derzeit ist. Lediglich der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europaparlament, der SPD-Abgeordnete Matthias Groote, übte offen Kritik: »Sie haben einen mühsam erarbeiteten Kompromiss kaputtgeschlagen. Das ist das Dreisteste, was ich in acht Jahren Brüssel erlebt habe.« Weitere kritische Stimmen waren kaum zu vernehmen. Der italienische EU-Industriekommissar Antonio Tajani begrüßte die Entscheidung gar öffentlich, weil die deutsche Automobilindustrie den Kern europäischer Wettbewerbsfähigkeit darstelle.
Dabei ist kaum eine Branche so angeschlagen wie die europäische Automobilindustrie. Einer unlängst veröffentlichten Studie des Herstellerverbands Association des Constructeurs Européens d’Automobiles (ACEA) zufolge sind im ersten Halbjahr dieses Jahres in den 27 EU-Staaten zuzüglich der Schweiz, Islands und Norwegens so wenige Neufahrzeuge verkauft wurden wie seit 1995 nicht mehr. Das waren sogar etwa sechs Prozent weniger als noch im Jahr 2012, das in der Autoindustrie schon als Krisenjahr galt.
Der Verband prognostiziert in der Studie, dass sich das laufende Geschäftsjahr für die Auto­branche zum schlechtesten seit Beginn der Aufzeichnungen des ACEA entwickeln könnte. Während die Auslastung der Werke 2011 noch bei durchschnittlich 75 Prozent gelegen habe, werde für dieses Jahr eine Auslastung von 58 Prozent erwartet. Massenentlassungen und Werksschließungen könnten folgen. Diese wären aber vor allem in Frankreich und Italien zu erwarten. »Über zehn Jahre gesehen ist Deutschland damit der einzige Produktionsstandort in Westeuropa, der wächst«, hatte die Wirtschaftswoche im Mai angesichts der Veröffentlichung der Verkaufszahlen deutscher Autohersteller gefolgert. Im Vergleich zum Jahr 2001 würden in Deutschland 13,8 Prozent mehr Autos produziert.

Neben der hohen Produktivität und den geringen Lohnstückkosten hierzulande ist die Entwicklung nicht zuletzt auch der offensiven Subventionierung der Branche geschuldet. Dies gilt nicht nur für die teilweise Übernahme von Forschungskosten durch den Bund und die Länder – die Gelder für die Entwicklung von Elektroautos betragen allein für die Jahre 2012 und 2013 eine Milliarde Euro. Auch die Regelungen zur Kurzarbeit unterstützen die Autobranche, 2009 bescherte die sogenannte Abwrackprämie, für die die damalige große Koalition ein Budget von fünf Milliarden Euro bereitstellte, den deutschen Autoherstellern Absatzrekorde.
Die Branche profitiert vor allem von den indirekten Förderungen wie der steuerlichen Subventionierung von Dienstwagen. Die ohnehin großzügigen steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten fallen umso größer aus, je höher der Preis des Autos ist. Davon profitieren vor allem die deutschen Hersteller sogenannter Premiummarken. Zu diesen indirekten Förderungen gehörte auch die 2010 reformierte Regelung der KFZ-Steuer, durch die der Verbrauch nicht sanktioniert, sondern ins Verhältnis zum Gewicht des Autos gesetzt wurde, so dass die schweren SUV oder Limousinen gar zu Steuersparmodellen mutierten.
Dafür, dass das so bleibt, sorgen auch die engen Kontakte zwischen Politik und Automobilindustrie. Die derzeitige Bundesregierung zeige eine auffällige Nähe zur Autolobby, stellte die Süddeutsche Zeitung fest. So war Wissmann, der seit 2007 Präsident des VDA ist, zwischen 1993 und 1998 Forschungs- und Verkehrsminister unter Helmut Kohl und damit Kabinettskollege von Angela Merkel. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Eckart von Klaeden (CDU), der als Staatsminister im Kanzleramt sitzt, nach der Bundestagswahl als Lobbyist zu Daimler wechselt.
Als einer der wichtigsten Fürsprecher der deutschen Industriepolitik dürfte sich aber weiterhin EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) erweisen. In einem Brief an den Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen, Martin Winterkorn, hatte er bereits im Juli vorigen Jahres versprochen, Regelungen für verbindliche Obergrenzen bei EU- Abgasnormen bis mindestens 2025 zu verhindern.