The Residents im Gespräch über die Maskerade im Pop

Die Könige der Maske

Als es unter Musikern en vogue wurde, sich hinter Masken zu verbergen, waren sie bereits Jahrzehnte im Geschäft: The Residents. Die Avantgarde-Band aus San Francisco gibt Auskunft über die Maskerade im Pop. Anonym, versteht sich.

The Residents gelten als großes Mysterium. Ihr einfallsreiches Spiel mit Verweigerungsstrategien hat ihnen weltweit eine treue Fangemeinde eingebracht. Tolle, unerhörte Konzeptplatten aus Wolkenkuckucksheim brachten sie heraus: »Third Reich’n’Roll« etwa, über das Ende des Naziregimes und den Beginn der Rock’n’Roll-Herrschaft über die Welt; oder »Eskimo«, eine eiskalte LP über das Leben in der Arktis. The Residents schufen Meilensteine des Postpunk, lange bevor es dafür einen Begriff gab. In die Popgeschichte werden sie aber vor allem wegen ihrer »Eyeballs« eingehen – die legendären Augapfel-Masken, die zu ihrem Markenzeichen wurden. Während ihrer Tour zum 40. Geburtstag der Band trat der Sprecher ihrer Produktionsfirma, der Cryptic Corporation, mit der Jungle World via E-Mail in Kontakt. Über ihn kursiert das Gerücht, selbst Gründungsmitglied der Band zu sein. Ständige Mystifikation ist schließlich eine Kernkompetenz von The Residents.

Der Legende nach trafen The Residents in den siebziger Jahren den mysteriösen, ansonsten nicht weiter auffällig gewordenen bayerischen Philosophen N. Senada, der sie in seine »Theory of Obscurity« einweihte. Worum geht es in dieser Theorie, und können Sie uns mehr über Herrn Senada verraten?
Nun, die »Theory of Obscurity« besagt, dass Künstler dann ihre größten, weil reinsten Werke schaffen, wenn sie gänzlich unbekannt sind. Solange sie also kein Publikum zu begeistern haben, keinerlei Kritik von außen ihr Schaffen beeinflusst und vor allem keine Mieten mit der Kunst zu zahlen sind. Was The Residents angeht – »Not Available« ist wohl das Album, das am stärksten von dieser Sichtweise beeinflusst wurde. Die Band trieb das Konzept damals ins Extreme: Das Album wurde nicht eher veröffentlicht, bis sich tatsächlich kein Mitglieder mehr erinnern konnte, wie man es überhaupt aufgenommen hatte. Wie die meisten Dinge bei The Residents verfolgte man alles mit einem gewissen Ernst, aber natürlich auch mit einem ironischen Unterton. Und N. Senada? Diesen Typen schleppte Philip »Snakefinger« Lithman (Gitarrist, wurde durch seine Zusammenarbeit mit The Residents bekannt, Anm. d. Red.) 1970 mit an. Nachdem er ungefähr ein Jahr mit der Band herumhing, verschwand er eines Tages plötzlich von der Bildfläche. Allein dieser Umstand macht N. Senada für uns alle äußerst mysteriös.
Wie The Residents versteckt sich auch Daft Punk, das derzeit wohl erfolgreichste PopDuo der Welt, hinter Masken. Verfolgen Sie das Spektakel?
Ich verfolge das aktuelle Geschehen in der Popmusik nicht mehr wirklich, kann deshalb nicht viel dazu sagen. Selbstverständlich habe ich das mitbekommen, aber ich kenne mich im Werk von Daft Punk nicht gut genug aus. Die Musik auf ihrer Website vermittelt mir aber den Eindruck, dass es nur alte Hüte für ein neues Publikum sind.
Haben Sie schon mal von einem deutschen Rapper namens Cro gehört? Er trägt eine Pandamaske und treibt gerade sein Unwesen in den Kinder- und Jugendzimmern dieser Republik.
Im Vergleich zu der Musik von Daft Punk scheint seine Musik nicht ganz so glattgebügelt zu sein. Und auch nicht ganz so clever verpackt.
Der erste bekannte Maskenrapper in Deutschland war übrigens ein Mann namens Sido. Er hat seine Maske mittlerweile aber wieder abgenommen und taucht heute als Juror in Castingshows auf.
Als ich mir seine Videos im Netz angeschaut habe, musste ich lachen. Wobei er solche Reaktionen wahrscheinlich nicht gerade beabsichtigt. Wenn ich ehrlich bin: Rap-Musik wirkte auf mich immer schon ziemlich lächerlich. Und wenn ich Rap in deutscher Sprache höre, kommt es mir vollkommen absurd vor. Das erinnert mich an die Zeit, als ich zum ersten Mal in Deutschland war und eine Folge von »Raumschiff Enterprise« im Fernsehen sah. Captain Kirk sprach plötzlich Deutsch. Es fühlte sich lustig an, aber auch total falsch. Was diesen Sido angeht: Seine Entwicklung vom HipHop-Künstler zum Celebrity Act scheint mir auf jeden Fall die richtige Entscheidung gewesen zu sein.
Für einen Popstar wie Lady Gaga gehören heutzutage obskure Maskerade, Kostümierung und die Produktion bizarrer Bilder zum Tagesgeschäft. Hat sich die Pop- und Konsumwelt über die Jahre immer mehr in Ihre Richtung gewandelt?
Was Popstars wie Lady Gaga heute alles so hervorbringen, finde ich bei weitem nicht so extrem wie das Bild der Augäpfel von The Residents. Aber klar: Ein Stück weit kann man ihre Wege ins Artifizielle vielleicht sogar auf The Residents zurückführen. Mit dem klaren Unterschied, dass The Residents sich nie darauf reduzieren lassen wollten, einfach nur Fließbandware zu sein.
Im Zeitalter der sozialen Netzwerke wird fast jeder dazu gezwungen, ein Pop-Image von sich zu schaffen.
Ich glaube, die größte Schwierigkeit moderner Kultur besteht darin, den ganzen Müll beiseite zu schaffen, um die guten Dinge darunter zu entdecken.
Aber sind Sie nicht der Auffassung, dass das Internet heute – zumindest virtuell – jedem Menschen die Möglichkeit bietet, jemand anderes zu sein?
»Time flies like an arrow, fruit flies like a banana«, hat Groucho Marx mal gesagt. Also ich wäre tatsächlich gerne Groucho Marx. Mal abgesehen davon, dass er tot ist.
Als Avatar könnten Sie eines Tages wirklich Groucho Marx sein.
Ich glaube tatsächlich, dass die Welt sich gerade in einem gewaltigen Übergangsstadium hin zu alternativen Existenzformen befindet. Filme oder Bücher stellen ja bereits alternative Realitäten dar, so wie Kunst im Allgemeinen, Politik, Sport und so weiter. Aber die Entwicklung des Internet wird nochmals einen gewaltigen Sprung bedeuten, ein gigantisches neues Feld virtueller Möglichkeiten, die immer verlockender für uns werden. So wie die »echte Welt« jeden Tag ein Stück weit weniger tolerant wird.
The Residents gingen immer schon sehr selbstverständlich mit neuen Medien um.
Meiner Meinung nach haben neue, digitale Medien The Residents immer erlaubt, weit über die alten Möglichkeiten hinaus zu glänzen.
Dieses Jahr soll noch ein Film erscheinen, der den Titel »Theory of Obscurity« tragen soll. Was erwartet uns?
Der Film wird eine große Retrospektive: 40 Jahre The Residents. Ein Zusammenschnitt aus Live-Materialien, privaten Aufnahmen, Interviews mit Weggefährten, Kollegen, Freunden und Museumskuratoren.
Haben The Residents eigentlich jemals darüber nachgedacht, ihr Image zu verändern und eine normale Band zu werden?
Soweit ich weiß, wollten The Residents nie etwas anderes sein als The Residents. Sie wollten immer lieber etwas Besonderes, Merkwürdiges, Fremdes sein als eine mittelmäßige Band. Zu jedem Zeitpunkt hätte es den Tod der Band bedeutet, sich in eine normale Band zu verwandeln.