Im Body-Horrorfilm »The Substance« kann man sich selbst klonen

Verhasster Leib

Die französische Regisseurin Coralie Fargeat zeigt in ihrem grotesken Body-Horror-Film »The Substance« Demi Moore als gealterten Star, der wieder ganz vorne im Showbusiness mitmischen will – und sich kurzerhand selbst klont.

Eine Spritze injiziert eine Substanz in einen Eidotter, der sich daraufhin teilt und einen zweiten Dotter hervorbringt. So eröffnet die französische Regisseurin Coralie Fargeat ihren Body-Horror-Thriller »The Substance«. Es folgt ein Prolog über den Aufstieg und Fall des fiktiven Stars Elisabeth Sparkle (Demi Moore), dargestellt anhand ihres Sterns auf dem Walk of Fame.

Zunächst installieren Arbeiter die Auszeichnung auf dem Asphalt, es folgt die Einweihung in Anwesenheit Sparkles mit Blitzlichtgewitter. Besucher posieren anfangs noch mit dem Stern, verlieren aber nach und nach das Interesse, es regnet, schneit, schließlich lässt jemand seinen Burger auf die Fliese fallen – der Star ist gefallen. Ein origineller Einstieg, der Lust auf den weiteren Verlauf des in Cannes für das beste Drehbuch ausgezeichneten Films macht.

Es treten Widerstände und Verzögerungen bei der Rückverwandlung auf, die sich durch eine fortschreitende Deformation und übermäßige Alterung Elisabeths rächen – eine futuristische Variation von Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Gray« nimmt ihren Lauf.

Es folgt der Schnitt ins Leben des gefallenen Sternchens. Elisabeth drehte zuletzt Aerobicvideos für eine Fitness-Show, erfährt nun aber über ein unabsichtlich mitgehörtes Telefonat ihres misogynen Produzenten, dass sie durch eine jüngere Frau ersetzt werden soll. Obwohl sie nach wie vor überaus attraktiv ist, beginnt sie sehr mit ihrer Alterung zu hadern, die in ihrem Business oftmals das Karriereende bedeutet.

Auf der Autofahrt nach Hause sieht sie, wie ein großes Werbeplakat mit ihrem Gesicht entfernt wird. Elisabeth lässt sich ablenken, gerät in einen Unfall und kommt im Krankenhaus wieder zu sich. Körperlich ist sie glimpflich davongekommen, doch im Behandlungszimmer wird sie von der Verzweiflung über ihren Niedergang übermannt und bricht in einen Weinkrampf aus, woraufhin ihr ein junger, auffallend attraktiver Pfleger etwas zusteckt. Es habe sein Leben verändert.

Vom Star zur Hausfrau. Elisabeth (Demi Moore) lässt ihren Frust wegen ihres Klons Sue (Margaret Qualley) am  Teppich aus

Vom Star zur Hausfrau. Elisabeth (Demi Moore) lässt ihren Frust wegen ihres Klons Sue (Margaret Qualley) am 
Teppich aus

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Universal Studios

Es handelt sich um einen USB-Stick mit dem Werbeclip eines Unternehmens, das ein neuartiges Produkt vertreibt – »The Substance«. Durch die Injektion bringe man einen perfekten, jungen Klon seiner selbst hervor, dessen Körper man dann übernehmen könne. Nur müsse man sich mit dem Klon gleichsam abwechseln und alle sieben Tage vom einen in den anderen Körper wechseln.

Vakuumierte Tüten mit Flüssigkeiten, Spritzen und Schläuchen

Elisabeth verwirft die Idee zunächst, entschließt sich nach einsamen Abenden an Bartheken und vor dem Fernseher aber doch, das Unternehmen zu kontaktieren. Über eine zwielichtige Adresse gerät sie zu einem Schließfach, dem sie ein Starter-Kit entnimmt – stylisch präsentierte, vakuumierte Tüten mit Flüssigkeiten, Spritzen und Schläuchen.

Elisabeth verabreicht sich die erste Spritze, bricht Sekunden später zusammen und bringt in einer ersten, wohlig ekelhaft inszenierten Body-Horror-Szene aus ihrem aufplatzenden Rücken den Klon hervor. Dieser wird von Margaret Qualley verkörpert, Elisabeth tauft ihn – beziehungsweise ihr Alter Ego – auf den Namen Sue und bewirbt sich in seiner Gestalt erfolgreich bei dem Produzenten der Aerobic-Show als ihre eigene Nachfolgerin. Als Sue steht Elisabeth nun endlich wieder im Mittelpunkt, alle Männer drehen sich nach ihr um und ihr Produzent kriegt sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein.

Elisabeth im Wunderland. Eine Box mit medizinischem Gerät verspricht ewige Jugend

Elisabeth im Wunderland. Eine Box mit medizinischem Gerät verspricht ewige Jugend

Bild:
Universal Studios

Doch nach einer Woche steht die Rückkehr in den verhassten Leib Elisabeths an, der derweil reglos auf dem Badezimmerboden lag. Eine Weile arrangieren sich Elisabeth und Sue mit dieser Aufteilung, doch wenig überraschend bilden sie bald widerstreitende Ambitionen aus. Es treten Widerstände und Verzögerungen bei der Rückverwandlung auf, die sich durch eine fortschreitende Deformation und übermäßige Alterung Elisabeths rächen – eine futuristische Variation von Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Gray« nimmt ihren Lauf.

Die satirische Zuspitzung läuft auf nichts hinaus, das nicht schon tausend Mal gesagt worden wäre, und statt der bloßen Überzeichnung hätte ein spielerischer Umgang mit den Klischees dem Film zu mehr Ambivalenz und Größe verholfen. 

Der für die Kameraarbeit verantwortliche Benjamin Kracun zeigt diese in klinisch glatten, beinahe aseptisch wirkenden Bildern. Das passt zum Setting in den luxuriösen Sphären von Los Angeles, sorgt jedoch zwischen Leinwand und Zuschauer bisweilen für eine allzu große Distanz. Diese wird aber durch den Einfallsreichtum des Drehbuchs und die treibende Dramaturgie allemal ausgeglichen – da sind aus Bauchnabeln gezogene Hähnchenschenkel, eindrückliche Metaphern psychischer Dissoziation und zahlreiche Verweise auf wegweisende Horrorfilme wie »Psycho«, »The Shining« und natürlich die Klassiker des Body-Horrors.

Schwerer wiegt die Plumpheit, mit der »The Substance« das Geschlechterverhältnis inszeniert. Während die Frauen stets darauf bedacht scheinen, Jugend und Perfektion zu verkörpern, um den Männern zu gefallen, werden diese ausnahmslos als getriebene, dümmliche Lüstlinge dargestellt. Wenn etwa der Produzent der Aerobic-Show, der ohnehin als eine Karikatur des Widerlings schlechthin gezeichnet wird, mit einer Meute ergrauter, dummgeil dreinblickender Shareholder antritt, um die neue Sensation Sue zu begaffen, dann ist das nicht mehr als das Wiederkäuen der Treppenwitze vom »alten weißen Mann«.

Die satirische Zuspitzung läuft auf nichts hinaus, das nicht schon tausend Mal gesagt worden wäre, und statt der bloßen Überzeichnung hätte ein spielerischer Umgang mit den Klischees dem Film zu mehr Ambivalenz und Größe verholfen. Auch auf Nahaufnahmen von Garnelen verschlingenden, schmatzenden Mündern hätte man in diesem Zusammenhang getrost verzichten können.

Hass auf die jüngere Doppelgängerin

Der Ärger über diesen bisweilen nihilistisch anmutenden Blick auf das Zusammenleben in der Zivilisation tritt jedoch, sobald der Konflikt zwischen Elisabeth und Sue an Fahrt aufnimmt, zurück hinter die Freude an der opulenten Inszenierung des Horrors. Während Sue immer rücksichtsloser und gieriger wird und auf ihren großen Auftritt als Moderatorin einer Silvestershow hinfiebert, gerät die mehr und mehr entstellte Elisabeth zusehends zu einer bösartigen Alten, die sich abgeschottet in ihrem Penthouse hoch über der Stadt an ihrem Hass auf die jüngere Doppelgängerin berauscht.

Die mittlerweile zu einer grotesken, an Gollum aus den »Herr der Ringe«-Filmen erinnernden Kreatur gewordene Elisabeth versucht schließlich, ihren Klon zu töten, wobei es zu einem Unfall kommt. Dieser führt dazu, dass die beiden Kontrahentinnen erstmals gleichzeitig bei Bewusstsein sind und einander erschrocken bestaunen, um sich sodann an die Gurgel zu gehen.

Fieser Body-Horror. Aus dem Leib von Elisabeth entspringt ihr Klon Sue

Fieser Body-Horror. Aus dem Leib von Elisabeth entspringt ihr Klon Sue

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Universal Studios

Sue setzt sich durch und tötet Elisabeth – oder was aus ihr geworden ist. Doch danach beginnt ihr eigener Körper rasant zu zerfallen. Da die Silvestersendung unmittelbar bevorsteht, unternimmt sie den verzweifelten Versuch, sich abermals zu klonen. Es entsteht ein aus amorphen Fleischmassen und wild zusammengewürfelten Körperteilen zusammengesetztes Supermonster, in dem sowohl Elisabeth als auch Sue irgendwie aufgehen und an dem Freunde des Horrorgenres ihre helle Freude haben werden. Es macht sich auf den Weg, um auf der Bühne der sehnsüchtig erwarteten Show ein denkwürdiges Finale anzurichten, bei dem weder mit ekelerregenden Metamorphosen noch mit Kunstblut gespart wird.

Demi Moore spielt die nicht ganz ungewagte Rolle der Elisabeth mit Bravour und Margaret Qualley ist ihr eine würdige Kontrahentin.

»The Substance« ist ein gelungener, fieser Body-Horror-Thriller, der sich mit originellen Einfällen seinen Platz in der Genre-Geschichte verdient hat. Demi Moore spielt die nicht ganz ungewagte Rolle der Elisabeth mit Bravour und Margaret Qualley ist ihr eine würdige Kontrahentin, so dass es eine Freude ist, den beiden bei ihrem absurden Treiben beizuwohnen.

Die wiederholt von den Protagonistinnen durchs Bild gezogenen großformatigen Porträtfotografien verweisen auf die literarische Inspiration für den Film, Wildes einzigen Roman, dessen Lektüre an dieser Stelle noch einmal jedem ans Herz gelegt sei. Einzig dass ausgerechnet die französische Küche herhalten muss, um den Ekel vor der mit Massen von Fleisch und Fett herumsauenden Elisabeth zu verstärken, mag man »The Substance« nicht nachsehen – impardonnable!

The Substance (UK/USA/F 2024). Buch und Regie: Coralie Fargeat. Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid