Der FC Bayern München und seine Fans

Menschliche Klatschpappen

Pünktlich zum Saisonbeginn brach der jahrelang schwelende Konflikt zwischen dem FC Bayern München und seinen Fans offen aus.

Fans anderer Vereine behaupteten zwar schon seit langem, die Münchner Allianz-Arena sei nicht eben ein Hexenkessel, doch über derlei Hohn ist man beim chronisch verhassten FC Bayern für gewöhnlich erhaben. Was sich dort allerdings Anfang August beim Eröffnungsspiel der Bundesligasaison abspielte, war schon gespenstisch. Jeder, der es hören wollte, konnte, vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt, mehr als deutlich wahrnehmen, dass dort etwas ganz gewaltig falsch läuft, denn trotz des soliden 3:1-Heimsieges der Roten waren, abgesehen vom Torjubel, ausschließlich die rund 6 500 Fans aus Mönchengladbach zu hören. »Für ein Heimspiel seid ihr ganz schön laut«, riefen die Gladbacher Fans den Münchnern zu. Es war ironisch gemeint.
Mit dem ersten Heimspiel des FC Bayern rückte ein Konflikt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, der vereinsintern bereits seit Mai schwelt, von vielen jedoch vor lauter Freude über das Triple und Pep Guardiola bislang nicht wahrgenommen worden war. Vordergründig geht es bei diesem Konflikt darum, dass der Verein in der Sommerpause Drehkreuze an den Zugängen zu den Blöcken 112 und 113 in der Südkurve anbringen ließ. Die beiden Blöcke direkt hinter dem Tor sind mit ihren 1 800 Plätzen der einzige echte Stehplatzbereich des Stadions und damit traditionell Standort der aktivsten Fans und der Ultras des FC Bayern. Da es aber deutlich mehr als nur diese knapp 2 000 Menschen gibt, die den Verein nicht nur anfeuern, sondern auch an der Fankultur der Südkurve teilhaben wollen, war es in der Vergangenheit üblich, dass sich etliche Fans mit Tickets für andere Blocks in den Doppelblock 112/113 hineinmogelten – eine Praxis, die auch anderswo verbreitet ist. Genau das soll durch die Drehkreuze verhindert werden. Da der überwiegende Teil der fraglichen Stehplätze bereits seit Jahren an die Besitzer von Dauerkarten vergeben ist, sind von der neuen Regelung vor allem junge Fans und Ultras, also die heranwachsende Generation aktiver Bayernfans, betroffen.
Der Streit um die Drehkreuze ist symptomatisch für den Dauerkonflikt zwischen der Führung des Vereins und der aktiven Fanszene, vor allem der Ultragruppe Schickeria. In unschöner Regelmäßigkeit wird seitens Vertretern der FC Bayern München AG gegen die eigene Fanszene polemisiert, dabei greift man durchaus auch zu deftiger Sprache. Inhaltlich geht es stets um das Gleiche. Die Fans sollen nach Wunsch des Vereins beziehungsweise der Aktiengesellschaft für gute Stimmung sorgen, aber darüber hinaus bitte tunlichst die Klappe halten. Was der FC Bayern will, sind menschliche Klatschpappen.
Worum es bei dem Konflikt geht, ist eigentlich altbekannt, doch die aus der Ferne betrachtet eher unscheinbare bautechnische Veränderung in der Südkurve scheint den Sreit anzuheizen. Die Münchner Tagespresse berichtet von zahlreichen langjährigen Fans, die bereits ihre Dauerkarten verkauft haben. Einige der wichtigsten Fangruppen, darunter die Ultragruppen Schickeria und Inferno Bavaria, haben angekündigt, unter diesen Bedingungen nicht mehr für Stimmung sorgen zu können. »Wenn sie uns loswerden wollen, sind sie auf dem besten Weg dazu«, zitiert Spiegel Online die Fanvereinigung »Club Nr. 12«. Dass dies nicht nur leere Worte sind, wurde beim Gladbachsspiel und beim Derby gegen den 1. FC Nürnberg zwei Wochen später klar.
Schon länger kritisieren Fans und Ultras die Praxis des Vereins, Stadionverbote auszusprechen. Vor allem bei jüngeren Anhängern reiche die bloße Feststellung der Personalien durch die Polizei, um sich ein Verbot einzuhandeln, heißt es. Ebenfalls für Unmut sorgt die Streichung der Auswärtsdauerkarten für DFB- und Europapokalspiele. »Sicherheitsgründe« führte der Verein als Begründung an. Dass beim DFB-Pokalspiel in Osnabrück rund 200 Fans des FC Bayern nicht im Gäste-, sondern im Heimbereich anzutreffen waren, dürfte allerdings nicht zu größerer Sicherheit geführt haben. Aber genau die scheint den Bayern doch so wichtig zu sein.
So wurde vor zwei Jahren Wolfgang Salewski als Vermittler in Fanangelegenheiten eingeschaltet. Zwar ist Salewski ein anerkannter Psychologe mit Professur und Schwerpunkt im Konfliktmanagement. Seine Kernkompetenz allerdings ist nicht der Umgang mit jungen Fußballfans, sondern die Terrorismusbekämpfung. Einen Namen gemacht hat er sich als Berater Helmut Schmidts während der Entführung der »Landshut« und als Betreuer der GSG 9. Dass die Wahl des FC Bayern ausgerechnet auf Salewski fiel, legt den Schluss nahe, dass dort der eigene Anhang weniger als Bereicherung denn als Bedrohung gesehen wird.
Hinter den Kulissen des FC Bayern jedoch scheint es zu rumoren. Was der Vereinsführung vor allem missfiel, waren die Schmähgesänge gegen Uli Hoeneß während des Gladbachsspiels. Vereinspräsident Karl-Heinz Rummenigge ­reagiert der Presse gegenüber regelrecht ungehalten, wenn er mit dem Thema konfrontiert wird. Es drängt sich der Eindruck auf, beim FC Bayern würden nicht wenige davon ausgehen, sie hätten ein wie auch immer geartetes Recht darauf, dass die Ultras und die aktiven Fans im Stadion für Stimmung sorgen. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Es besteht im deutschen Profifußball vielmehr eine komplizierte Wechselbeziehung zwischen Fans, Vereinen und dem Gesamtprodukt Bundesligafußball. So werden Experten nicht müde zu betonen, dass gerade die gute Stimmung in den Fankurven zu den Alleinstellungsmerkmalen des deutschen Bundesligafußballs gehöre.
Inzwischen hat der Verein ein Kompromiss­angebot vorgelegt – die Auswärtsdauerkarte soll wieder eingeführt werden, und in der Südkurve soll es testweise freie Platzwahl geben. Der »Club Nr. 12« teilte mit, er begrüße diese Maßnahmen. Solange der Verein seine Fans jedoch weiter eher als Kunden und seine Ultras bestenfalls als notwendiges Übel betrachtet, ist der nächste Krach beim FC Bayern bereits programmiert.