Die Krise des Liberalismus

Liberale Apo

Die Parteien stecken in der Krise, der Liberalismus sowieso.
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Erst nach und nach hat sich herausgestellt, dass die Bundestagswahl nur Verlierer kannte: CDU/CSU haben zwar fast die absolute Mehrheit, aber eine einfache Mehrheit haben sie nicht. Die SPD will nicht selbst regieren mit Rot-Rot-Grün, nicht mitregieren mit der CDU, nicht in die Opposition, und Neuwahlen will sie auch nicht. Wozu, zum Henker, sollte man sie noch wählen? Die Grünen stehen völlig unvorbereitet plötzlich vor einem existentiellen Richtungskampf und die »Linken« wollen unbedingt, dass die SPD mit ihnen will, aber keinesfalls deren Euro-Krisenpolitik mittragen, sprich: Sie stecken in einem Dilemma, das bis zur nächsten Wahl aufgelöst werden muss. Auch hier droht ein Realo-Fundi-Streit. Nur bei der FDP war deren Niederlage sofort allen klar, nachdem sie den Einzug ins Parlament verpasst hatte. Die liberalen Kreise um die FDP reagierten erst beleidigt, um dann von einem liberalen Neuanfang zu phantasieren. Die Verlierer einer selbstreklamierten Leistungsgesellschaft ergeben sich nun feuchten Apo-Träumen und diskutieren, wie der »Freiheitsgedanke«, der Liberalismus gerettet werden könne. Ulf Poschardt in der Welt: »Die Existenz der FDP als Apo bietet die Chance, das Vokabular wie auch die ideologischen und kommunikativen Strategien neu aufzusetzen. Das gestanzte Funktionärsgequatsche samt der Talkshow-Floskeln muss aufhören. (… ) Der Liberale muss einen Traum haben wie vor 50 Jahren Martin Luther King.« Von einer »neuen Chance« für den Liberalismus ist die Rede, jedenfalls bei jenen, die nicht wie 500 Mitarbeiter der FDP-Fraktion nun in Jobcentern den vermeintlichen Freuden der »spätrömischen Dekadenz« (Guido Westerwelle) entgegensehen. Hat der Liberalismus noch eine Chance? Für Linke klingt diese Frage wie Hohn, haben sie doch den Neoliberalismus als größte Bedrohung ausgemacht. Doch nicht nur das Wahlergebnis der FDP offenbart das liberale Problem, auch die wenig liberale, auf Austerität ausgerichtete Krisenpolitik dieser Tage, bei der dem Staat und der EU-Bürokratie eine Bedeutung zukommem wie lange nicht, machen es deutlich. Die Rufe nach Privatisierung von Merkel und der Troika sind so laut, dass niemand dafür noch eine FDP braucht.
Es sieht für einen Neubeginn des politischen Liberalismus nicht gut aus. Zumal seine Widersprüche immer offensichtlicher werden. Da wäre zuerst einmal der Grundwiderspruch, dass Liberale einerseits den Staat im Prinzip ablehnen, aber dennoch gerne regieren wollen. So geht das natürlich nicht! Wer meint, die Politik solle sich am besten nicht einmischen, kann nur schwer vermitteln, warum man für eine liberale Partei stimmen sollte. Liberale sollten eigentlich keine Parteien gründen, sondern Unternehmen. Womit wir beim zweiten Grundwiderspruch des Liberalismus wären: Es kann nicht jeder Unternehmer sein. Die Freiheit des Unternehmers hängt davon ab, dass andere ihm ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Drum fällt auch dem einfältigsten Wähler auf, dass jene »Freiheit«, von denen Liberale so gerne reden, immer nur die Freiheit bestimmter Interessensgruppen ist, ja sein kann. Der Vorwurf an die FDP, eine Klientelpartei zu sein, hat nichts mit dem Versagen der jeweiligen Parteiführung zu tun, sondern ist immanent.
Nehmen wir an, eine neue liberale Bewegung, mit dem sympathischen Ulf Poschardt an der Spitze, würde sich die Losung »Freiheit für alle« auf die Fahne schreiben, so müsste sie vor allem die Freiheit der Arbeitslosen vertreten. Fortschritt bedeutet nun mal, Technologien zu entwickeln, die durch Steigerung der Produktivität Arbeit minimieren. Zurecht würde niemand einen Nobelpreis bekommen, wenn er erklärte, er habe eine Alternative zur E-Mail erfunden, bei der ein aufwendiges System aus Postverteilzentren und Briefzustellern geschaffen werden könnte und so hunderttausende Arbeitsplätze entstünden. Wer Fortschritt will, muss Arbeitslosigkeit goutieren, muss das Sozialsystem ausbauen – denkt dabei jemand an die FDP? Eben.