Die griechische Linke und der Antifaschismus

Spannung ohne Strategie

Die antifaschistische Bewegung in Griechenland steht vor großen Schwierigkeiten. Nicht nur ist sie von neofaschistischen Morden und staatlicher Repression bedroht. Auch interne Konflikte über die Definition von Faschismus und Antifaschismus führen zu Zerwürfnissen, die die ­politische Handlungsfähigkeit einschränken.

Erst vor wenigen Tagen sagte der Abgeordnete Michalis Tamilos, von der Regierungspartei Nea Dimokratia in einer Fernsehsendung ganz offen, was Antifaschisten in ganz Griechenland jahrelang moniert hatten: »Der Regierung kam Chrysi Avgi mit ihren Aktionen, die Nachbarschaften von den Ausländern zu säubern, gelegen.« So seien »keine politischen Kosten für Regierung und Polizei« entstanden. Soll heißen: Die Regierung musste sich die Hände nicht schmutzig machen und konnte auf ihre Lakaien vertrauen, die gern die Früchte ihrer Hilfe ernteten und sich nach Umfragen als drittstärkste Partei etabliert haben.
Aber sind die Hände der Regierung sauber, wie die Athener Zeitschrift Unfollow in ihrer Oktoberausgabe provokativ fragt? Kann man die staatlich angeordneten rassistischen »Säuberungsoperationen« in griechischen Stadtzentren von den Übergriffen der Nazipartei Chrysi Avgi auf Migranten trennen? Nach Ansicht von lokalen Antifaschisten ist das Handeln von Chrysi Avgi nur im Zusammenhang mit dem als generell rassistisch charakterisierten griechischen Staat zu verstehen.
Ein kurzer Blick zurück auf das Jahr 2004 verdeutlicht die argumentative Grundlage heutiger antifaschistischer Politik in Griechenland. Während des nationalistischen Deliriums nach dem Gewinn der Fußballeuropameisterschaft und der erfolgreichen Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele verübten Tausende Nationalisten im September desselben Jahres nach einem verlorenen Fußballspiel gegen die Nationalmannschaft Albaniens ein Pogrom gegen albanische Arbeiter in mehreren Städten Griechenlands, das mindestens einen Toten und mehr als ein Dutzend Verletzte forderte. Videoaufnahmen zeigen, wie die Polizei Hand in Hand mit Chrysi Avgi an den Ausschreitungen teilnahm, anstatt Schutz vor dem rassistischen Mob zu bieten. Die halbherzige Aufklärung der Gewalttaten und die fehlende Unterstützung der Opfer durch die Regierung, die unter der Berufung auf die nationale Einheit die fremdenfeindliche Stimmung schürte, zeigen, wie sich im Griechenland der metapolitevsi, also der Zeit nach der Diktatur, rassistische Politik und rassistische Gewalt ergänzen.
Für verschiedene antifaschistische Gruppen waren diese Ereignisse der Ausgangspunkt, einen Selbstschutz gegen nationalchauvinistische Angriffe aufzubauen, aber auch die staatlich legitimierte Ausbeutung von migrantischen Arbeitern zu thematisieren. Im Zentrum ihrer Tätigkeit steht die direkte Solidarität mit Migranten gegen eine Politik, die im Einklang mit dem rassistischen Mob steht, der in verschiedenen Ausprägungen ungestraft agieren kann.
So sind es heute gerade die Errichtung von Abschiebelagern für Migranten und die rassistischen Übergriffe der Polizei, die aus der Perspektive vieler griechischer Antifaschisten den Weg für den Aufstieg von Chrysi Avgi ebneten. Mehr noch: Chrysi Avgi wird in diesem Zusammenhang als parastaatliche Organisation (parakratos) aufgefasst, die im Interesse des Staats und der »Bosse« eine arbeiterfeindliche Politik durchsetzt. Der Kampf gegen Chrysi Avgi kann für Antifaschisten somit nicht losgelöst vom Kampf gegen Staat und Kapital betrachtet werden.

Diese Position wurde erst recht nach dem Mord an dem Antifaschisten Pavlos Fyssas am 18. September und der staatlichen Reaktion darauf gestärkt. Dutzende Gruppen machten im Rahmen einer der größten antifaschistischen Mobilisierungen, die das Land erlebt hat, gerade auf personelle und ideologische Kontinuitäten innerhalb der Rechten und extrem Rechten Griechenlands aufmerksam und gaben der Regierung eine Mitschuld an der Ermordung. In diesem Sinne legten sie die Strategie der Regierung offen, deren Ziel es war, sich mit Chrysi Avgi öffentlichkeitswirksam des Problems des Faschismus zu entledigen und den Mord zur Machtstabilisierung über eine altbekannte Extremismusrhetorik für sich zu nutzen. Dem Versuch vieler Parteien, eine Art »Aufstand der Anständigen« zu inszenieren, stellten Antifaschisten ein konsequentes Verständnis vom Kampf gegen die Wurzeln des Faschismus entgegen.
Im ganzen Land kam es zu zahlreichen Demonstrationen, Nachbarschaftsinitiativen und Angriffen gegen Parteibüros von Chrysi Avgi. Es war eine Aufbruchstimmung auf den Straßen zu beobachten, die die Spaltungen unter Linken und Antiautoritären über den antifaschistischen Kampf zumindest zeitweise vergessen machte.
Der Mord an Fyssas wird in eine Reihe von rassistischen Morden der vergangenen Jahre eingeordnet, und so waren die Proteste auch den Opfern gewidmet, die oft unerwähnt bleiben: Mohammad Atif Kamran starb im September 2009 nach einer Folterorgie von diensthabenden Polizisten in seiner Zelle; Shehzad Luqman wurde im Januar 2013 von Anhängern von Chrysi Avgi kaltblütig erstochen; Babakar Ndiaye erlag im Februar 2013 seinen Verletzungen, nachdem er – verfolgt von der Gemeindepolizei – sieben Meter tief gestürzt war.
Dass Polizisten der Motorradeinheit DIAS untätig zusahen, während Fyssas ermordet wurde, rückte den von Chrysi Avgi unterwanderten staatlichen Sicherheitsapparat ins Zentrum antifaschistischer Kritik.
Ebenso wurde die Verharmlosung von Chrysi Avgi durch viele Medien angeprangert. Abgeordnete der Partei sind gerngesehene Gäste in den Talkshows der Privatsender und sichern hohe Einschaltquoten. In Lifestyle-Magazinen wurde vor allem Pressesprecher Ilias Kasidiaris ein Forum gegeben, sein Ansehen und das der Partei zu verbessern. Die plötzliche »Entdeckung«, dass es sich bei Chrysi Avgi um eine gewalttätige Neonazigruppe handelt, macht die Mainstream-Medien unter Antifaschisten nicht beliebter. Im Gegenteil: Ein konsequenter Medienboykott und Angriffe gegen Chrysi Avgi wohlgesinnte Journalisten und Zeitschriften prägten die Stimmung.

Mit dem Doppelmord vom 1. November im Athener Vorort Neo Irakleio, als zwei Mitglieder von Chrysi Avgi starben, nahm die antifaschistische Mobilisierung ein vorläufiges Ende. Seitdem herrscht Unsicherheit. Das Totschlagargumentder »zwei Extreme« schwebt über dem antifaschistischen Milieu Athens und dessen politischem Zentrum, dem »Anarchistenviertel« Exarchia. Aufgeregte Diskussionen finden in den ­sozialen Zentren, besetzten Häusern und Cafés statt, mit Mutmaßungen und Schuldzuweisungen wird dabei nicht gespart.
Die Frage nach dem cui bono bestimmt die Debatten und wird mit der Aussicht verknüpft, dass die Antiterror-Einheiten die Täter wohl in der anarchistischen Szene suchen und dabei freie Hand haben werden.
Offizielle Stellungnahmen von antifaschistischen Gruppen gab es zunächst keine. Verschiedene Szenarien wurden jedoch diskutiert, denen zufolge der Mord an den beiden Nazis als Provokation gegen Antifaschisten zu bewerten ist. So hat gerade jetzt die Theorie von der Strategie der Spannung Konjunktur. Im griechischen Kontext versteht man darunter die gewollte Destabilisierung und Verunsicherung der Gesellschaft, um mit der Angst vor einem Bürgerkrieg ein hartes Vorgehen gegen linke Gruppen zu legitimiert. Ausgehend von dem Konzept des tiefen Staats, wonach Schlüsselstellen des Systems von Sympathisanten der extremen Rechten unterwandert seien, kommt hier das Verständnis von Chrysi Avgi als parastaatlicher Gruppe zum Tragen. Die Zuspitzung der Situation durch politische Morde und ausufernde Gewalt macht sich Chrysi Avgi zu eigen, weshalb aus linken Kreisen zu vernehmen ist, dass die Täter nicht aus den »eigenen Reihen« stammen könnten.

Nachdem am Samstagabend ein Bekennerschreiben von einer neu in Erscheinung getretenen Gruppe namens »Militante Revolutionäre Volkseinheiten« veröffentlicht wurde, gehen die Spekulationen weiter. Das Kommuniqué besagt ganz offen, dass die »Hinrichtung der Neonazis« als Racheakt für den Mord an Fyssas zu verstehen sei. Auf 18 Seiten wird ausgeführt, dass die bürgerliche Demokratie und der Faschismus »zwei Seiten derselben (kapitalistischen) Medaille« seien, dabei wird an gängige Diskurse aus antifaschistischen Kreisen angeknüpft. Dem »gemeinsamen Kampf der Nea Dimokratia und Chrysi Avgi« begegnet das ­Schreiben mit dem Kampf gegen den »Faschismus verschiedener Ausprägungen«. Der argumentative Rundumschlag lässt kaum ein aktuelles Thema aus, um diese These auszubreiten, und spart nicht mit Exkursen in die griechische Geschichte und die politischen Entwicklungen in anderen EU-Ländern. Auffallend ist, dass die Erschießung nur beiläufig erwähnt wird. Der gehobene Sprachstil unterscheidet sich zudem stark vom polemischen Ton von Stadtguerilla-Gruppen. Auch der Form nach ist das Schreiben eher ein Aufsatz aus Klassenkampfperspektive über die politische und wirtschaftliche Lage in Griechenland als eine Klärung der Motive für die Tat.
Derweil stabilisiert sich Chrysi Avgi wieder merklich. Ohne Zweifel profitierte sie von den jüngsten Ereignissen. Nachdem sie unter dem Eindruck des staatlichen Vorgehens einen Monat lang geschwächt auftrat, kann sie nun wieder ungehindert ihre propagandistischen Essensausgaben in den Zentren Athens und Thessalonikis durchführen und gewinnt in Umfragen deutlich dazu.
Auf antifaschistischer Seite treten hingegen altbekannte Konflikte wieder hervor. Gerade im Umgang mit dem und im Verständnis vom Staat zeigen sich Unterschiede zwischen linken und antiautoritären Ansätzen des Antifaschismus. Da die Herangehensweise und die Wahl der Mittel unterschiedlich sind, oft nur bestimmte Ereignisse wie die Ermordung Fyssas’ zu breiten Mobilisierungen. Ein kontinuierlicher, richtungsübergreifender Kampf gegen den Faschismus scheitert so schon an der Problemdefinition und ist vorerst nicht in Sicht.