In Bünde wird die Reichskriegsflagge gezeigt

Flagge zeigen gegen Nestbeschmutzer

Jährlich zum sogenannten Volkstrauertag zeigt die Marinekameradschaft Bünde auf einer öffentlichen Gedenkveranstaltung die Reichskriegsflagge. Nun ist in der Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen ein Streit über diese militärische Traditionspflege entbrannt.

Für Schülerinnen und Schüler im nordrhein-westfälischen Bünde heißt es alljährlich zum sogenannten Volkstrauertag: Angetreten! Am »Ehrenmal« auf dem Friedhof am Nordring hören sie ergreifende Reden, singen Friedenslieder und starren ehrfürchtig auf die Trauerbeflaggung. Seit Jahrzehnten ist das so, doch nun gibt es in Bünde Ärger. Mitte Dezember stellte Heinrich Möntmann, Ratsherr der SPD, eine kritische Anfrage. Denn die Marinekameradschaft Bünde hatte die Reichskriegsflagge gezeigt – wie immer zu diesem Anlass. Sie beruft sich auf die Traditionspflege. Möntmann forderte Bürgermeister Wolfgang Koch (CDU) auf, den Traditionsverein zum Gespräch zu bitten. Die Flagge sei »verbunden mit der Verherrlichung des Krieges«, sagte Möntmann der Lokalzeitung.

In Deutschland ist das Zeigen der Flagge in ihrer ursprünglichen Form nicht verboten. Allerdings verwendeten rechtsextreme Gruppen sie bereits in der Weimarer Republik, etwa der »Bund Reichskriegsflagge«, der von Ernst Röhm gegründet und kurzzeitig von Adolf Hitler geleitet wurde. Heutzutage wird die ehemalige Kriegsflagge der Kaiserlichen Marine vor allem von rechtskonservativen, revisionistischen und neonazistischen Gruppen gezeigt.
»Selbst wenn wir in der Logik der Marine­kameradschaft bleiben, ist die ganze Sache doch widersinnig«, sagt Martin Behrens, Geschichtslehrer an der Erich-Kästner-Gesamtschule Bünde. »Diese Leute wollen der Toten des Ersten Weltkriegs ausgerechnet unter der Flagge gedenken, die diese Toten zu verantworten hat!« Die Flagge sei Symbol für eine rückwärtsgewandte, Kolonialansprüche stellende Politik und habe auf einer öffentlichen Veranstaltung nichts zu suchen.
Bereits im Dezember sprach Behrens sich öffentlich gegen den Brauch aus. Dafür wurden er und seine Mitstreiter heftig angefeindet. Einige Leute in Bünde sehen in dem Protest gegen das Zeigen der Reichskriegsflagge eine Kampagne, um die Marinekameradschaft zu diskreditieren. In einem Leserbrief an die Lokalzeitung fragte sich ein Mitglied der Kameradschaft, »was die verstorbenen unbescholtenen Brüder Marinekameraden« wohl dazu sagen würden. Er lasse sich das Gedenken nicht durch »bewusste Störungen« nehmen. Eine Leserin empörte sich über »Wahlpropaganda« und befand: »Starke und würdige Leute braucht das Land, keine Nestbeschmutzer.«
Behrens stört vor allem dieser Ton in der Debatte. Begriffe wie »Nestbeschmutzer« gehörten zur Sprache der Rechten und Rechtsextremen. Vom Bürgermeister habe er sich deutlich mehr Unterstützung gewünscht. Gerade als Geschichtslehrer befinde er sich in einem Zwiespalt. »Ich muss meinen Schülern erklären: Warum ist es in Ordnung, dass ihr unter dieser Fahne singt, ­warum ist sie dagegen böse, wenn sie auf dem Cover der ›Schulhof-CD‹ der NPD zu sehen ist?«
Immerhin haben das städtische Gymnasium und die Gesamtschule eine Stellungnahme abgegeben. In einer gemeinsamen Erklärung, die Behrens verfasst hat, kritisieren sie die Reichskriegsflagge als »eine Flagge, die einen soldatischen und militaristischen Geist ausdrückt, der mit unserem demokratischen Wertesystem nicht zu vereinbaren ist«. Die städtische Realschule schloss sich der Erklärung hingegen nicht an. Die Marinekameradschaft ihrerseits wird unterstützt von der Reservistenkameradschaft Bünde sowie vom Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der Vorsitzende der Reservistenkameradschaft sagte der Lokalzeitung, man überlege, ob man bei einem Verbot der Reichskriegsflagge noch an der Gedenkveranstaltung teilnehme.
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass das so ein Streitthema ist, und bin überrascht, wie verhärtet die Fronten zwischen Verteidigern und Gegnern sind«, sagt Behrens. »100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs sind diese Themen eigentlich ausgefochten, habe ich gedacht.«