Der Streit um kritische Edition von Hitlers »Mein Kampf«

Koa Kampf

Am 1. Januar 2016 läuft Bayerns Urheberrecht an Adolf Hitlers Propagandaschrift »Mein Kampf« aus. Eigentlich wollte sich die bayerische Staatsregierung aus diesem Anlass an einer kritischen Edition des Buches beteiligen und stellte dafür eine halbe Million Euro zur Verfügung. Mitte Dezember zog sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) überraschend aus dem Projekt einer historisch-kritischen Ausgabe des Buchs zurück. Von Historikern wird diese Entscheidung kritisiert.

Man kann heutzutage die gesammelten Reden, Schriften und Anordnungen dieses Autors kaufen, in einer Art kommentierter Werkausgabe, seine Reden zur Kunst zudem, auch seine Entwürfe zum sogenannten zweiten Buch auf Deutsch und Englisch. Doch sein weltberühmtes Hauptwerk »Mein Kampf«, gibt es nicht im Buchhandel. Adolf Hitlers »Abrechnung« ist nur in Antiquariaten zu finden, dort allerdings massenhaft und zu günstigen Preisen. Weltweit schließlich ist das Buch in nahezu allen verbreiteten Sprachen zugänglich, und im Internet ist der Volltext ohne weiteres für jeden abrufbar.
»Am 1. April 1924 hatte ich, auf Grund des Urteilsspruches des Münchner Volksgerichts von diesem Tage, meine Festungshaft zu Landsberg am Lech anzutreten. Damit bot sich mir nach Jahren ununterbrochener Arbeit zum ersten Male die Möglichkeit, an ein Werk heranzugehen, das von vielen gefordert und von mir selbst als zweckmäßig für die Bewegung empfunden wurde. So habe ich mich entschlossen, in zwei Bänden nicht nur die Ziele unserer Bewegung klarzulegen, sondern auch ein Bild der Entwicklung derselben zu zeichnen. Aus ihr wird mehr zu lernen sein als aus jeder rein doktrinären Abhandlung. Ich hatte dabei auch die Gelegenheit, eine Darstellung meines eigenen Werdens zu geben, soweit dies zum Verständnis sowohl des ersten als auch des zweiten Bandes nötig ist und zur Zerstörung der von der jüdischen Presse betriebenen üblen Legendenbildung über meine Person dienen kann.« Diese Worte schrieb Hitler im Vorwort zur ersten Ausgabe beider Teile in einem Band, alsdann idealisiert er die eigene Biographie, fordert den Anschluss Österreichs an Deutschland, verspricht, »den Bolschewismus« niederzuringen, schmäht den Pazifismus und macht im Judentum die Wurzel allen Übels aus.

Dieser Text nun gehört seit dem Zusammenbruch der NSDAP, der Hitler sein Vermögen kurz vor seinem Selbstmord vermacht hatte, dem Freistaat Bayern. Als Rechteinhaber hat dieser über Jahre mehr oder minder erfolgreich sämtliche Versuche, das Buch auf Deutsch oder in einer anderen Sprache legal herauszugeben, unterbunden, lediglich der Abdruck kommentierter Auszüge wurde seit 1945 einige wenige Male erlaubt. Doch am 1. Januar 2016 läuft nach dem deutschen Urheberrecht das Recht am Text aus, ähnlich wie bei den Werken Luthers oder Goethes darf hernach jede und jeder den Text übersetzen, kürzen, kommentieren und vor allem veröffentlichen.
Vor diesem Datum fürchtet sich die bayerische Regierung seit Jahr und Tag. Daher ließ sie im April 2012 verlautbaren, dass sie das Münchner Institut für Zeitgeschichte, das seinerseits bereits an einer quellenkritischen Ausgabe arbeitete, nun zusätzlich mit der Herausgabe einer Schulausgabe beauftragen werde. Tatsächlich stellte der Freistaat auch eine halbe Million Euro für diese Edition bereit. Ein weiterer Partner des Instituts für Zeitgeschichte, das sich seit Jahrzehnten mit mehreren, zum Teil eher obskuren Editionen zur NS-Geschichte hervorgetan hat, ist die Bundeszentrale für politische Bildung.
Doch nun zieht sich die bayerische Regierung wieder zurück. Mitte Dezember ließ Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) verkünden, dass man das Projekt zukünftig nicht mehr unterstütze. Wörtlich sagte er: »Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag in Karlsruhe stellen und anschließend als bayerische Staatsregierung sagen, wir geben sogar unser Staatswappen dafür her und verbreiten ›Mein Kampf‹ – das geht schlecht.«

Zu dieser Erkenntnis will Seehofer nach Beratungen mit seinem Innenminister Joachim Herrmann und seinem Justizminister Winfried Bausback gekommen sein, die Mitglieder der allein regierenden CSU sind und den NPD-Verbotsantrag unterstützen. Sollte das Buch dennoch nach Januar 2016 erscheinen, werde die Regierung die Verantwortlichen wegen Volksverhetzung verklagen, erklärte zudem die Leiterin der bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer (CSU). Ein Beschluss vom Februar des Vorjahres, den der Landtag in München parteiübergreifend getroffen hatte und demzufolge die Veröffentlichung »ergebnisoffen« zu prüfen sei, ist damit hinfällig.
Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, begrüßte die Entscheidung der bayerischen Staatsregierung: »In Deutschland darf sich dieser Text nie wieder auf legalem Wege in die Hände und Köpfe der Menschen schleichen.« Dagegen befürworten die Historiker Ian Kershaw und Hans-Ulrich Wehler und der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, die wissenschaftlich kommentierte Herausgabe des Werks. Der Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, sagte, dass seine Institution weiter an der Herausgabe des Buchs arbeite, er werde sich in dieser Sache »eng mit dem Bundesinnenminister abstimmen«, denn die Bundeszentrale ist dem Innenminsterium unterstellt. Krüger zufolge lasse sich eine Verbreitung des Buches nach 2016 kaum noch verbieten, daher wolle man »Lehrern zeitnah fundiertes Arbeitsmaterial zur Verfügung stellen, um auf so eine Situation reagieren zu können«.
Doch das Buch ist bereits jetzt weit verbreitet. Bis 1933 wurden rund eine Viertelmillion Exemplare von »Mein Kampf« verkauft, dem NSDAP-Parteiverlag zufolge waren es bis 1945 dann rund zehn Millionen Exemplare. Selbst wenn diese Zahlen geschönt sein sollten, haben dennoch Tausende von Büchern die plötzliche Entnazifizierung ihrer Besitzer überlebt. Hinzu kommen noch diverse Raubdrucke sowie die im Internet zugänglichen Ausgaben. Wer also mit Hilfe dieses Buches blöd werden will, kann dies jetzt schon jederzeit tun.

Zudem wäre es nötig, seriös zu überprüfen, wie viel in diesem Machwerk von Adolf Hitler, der ja bekanntlich kein großer Theoretiker war, selbst stammt, wie viel seine diversen Editoren – unter ihnen Rudolf Heß – beigesteuert haben und welche Passagen der Hetzschrift reine Plagiate sind. Mit Hilfe solcher Forschungen könnte man den Mythos, der um das Buch entstanden ist, platzen lassen, gerade durch eine Teilausgabe für den Unterricht. Doch die bayerische Landesregierung fürchtet eine solche Auseinandersetzung mit dem Text. Seehofers Aussage, dass man die NPD nicht verbieten könne, wenn man zugleich »Mein Kampf« herausgebe, zeigt, dass er allein die NPD als Nachfolgepartei der NSDAP ansieht. Wenn er zudem behauptet, dass diese Hetzschrift die Menschen per se verführen könne, beweist dies, wovor er sich eigentlich ängstigt – davor nämlich, dass die Volksgemeinschaft, die Hitler beschwor, noch immer herstellbar ist. Diese Annahme ist vielleicht dem jahrelangen Umgang mit alten NS-Parteimitgliedern, die sich nach dem Krieg in der CSU engagierten, geschuldet. Denn die Volksgemeinschaft der Deutschen hat sich nicht aufgrund, sondern nur wenig beeindruckt von der Lektüre des Buchs gebildet.
Dass das Buch nicht so wirkungsmächtig sein kann, wie Seehofer glaubt, wusste dessen Autor übrigens selbst. Er schrieb im schon oben zitierten Vorwort: »Ich weiß, daß man Menschen ­weniger durch das geschriebene Wort als vielmehr durch das gesprochene zu gewinnen vermag, dass jede große Bewegung auf dieser Erde ihr Wachsen den großen Rednern und nicht den großen Schreibern verdankt.« Vielleicht sollte See­hofer einmal in dem Werk schmökern. Es kann nicht schaden.