Victoria’s Secret

Das Geheimdienstwesen verliert immer mehr an Glamour, und dies nicht nur, weil die Zeiten vorbei sind, in denen man Heroin schmuggeln und Fidel Castro vergiftete Zigarren schicken durfte. Auch ein anderer Bereich operativer Tätigkeiten ist fast in Vergessenheit geraten: die schmutzige Enthüllung. Mit Wehmut mag manch ein US-Agent an die gute alte Zeit zurückdenken. So sollte in den fünfziger Jahren der indonesische Präsident Sukarno diskreditiert werden, indem man ihm eine Affäre mit einer sowjetischen Stewardess andichtete. Der Polizeichef von Los Angeles lieferte die Pornos, die Agenten schauten sie sich an, um jemanden zu finden, der Sukarno ähnlich sah, zogen auch einen Darsteller mit Maske in Erwägung und entschieden dann, nur verschwommene Fotos zu verwenden. Doch das Ergebnis war enttäuschend. Die Agenten hatten den Machismo unterschätzt, die meisten Indonesier zollten ihrem virilen Präsidenten Bewunderung, sofern sie der Enthüllung glaubten. Das ist das Problem mit Enthüllungen, sie lassen den Bloßgestellten vielleicht nicht sympathisch, aber menschlich erscheinen. Da man mit außerehelichem Sex heutzutage nicht einmal mehr einen CSU-Ministerpräsidenten erpressen kann – die Bayern denken da ähnlich wie die Indonesier –, geht es bei Enthüllungen nur noch um offenherzige Äußerungen am falschen Ort. Man muss sich schon sehr anstrengen, um sich über so etwas aufregen zu können. Aber beim rus­sischen oder ukranischen Geheimdienst, wo man wohl ebenfalls wehmütig an die gute alte Zeit zurückdenkt, als man noch an vergifteten Regenschirmspitzen bastelte, glaubte man offenbar, einen Coup zu landen, indem man enthüllte, dass die US-Diplomatin Victoria Nuland in einem Telefongespräch »Fuck the EU« gesagt hat. Zeigen Sie mir einen Europäer, der von sich behauptet, er habe so etwas noch nie gesagt, und ich zeige Ihnen einen Lügner. Die Deutschen vermissen ihre Glühbirnen, die Griechen ihre Arbeitsplätze und die Amerikaner eine Ukraine-Politik, die sich nicht in wohlfeilen Phrasen erschöpft. Und von Nuland wissen wir nun, dass sie keine eiskalte Karrierediplomatin ist.
Ein Problem ist der Mangel an Glamour für die Agentenrekrutierung. »Die Firma« ist bemüht, Arbeitssuchenden wenigstens noch den Hauch des Geheimnisvollen zu präsentieren: »So gut wie jeder Arbeitsplatz, den Sie sich vorstellen können, ist bei der CIA vorhanden – und einige, die Sie sich nicht einmal vorstellen können.« Mit rasanten Verfolgungsjagden könne man zwar nicht rechnen, doch »glamourös« sei die Arbeit schon, weil man der Avantgarde der globalen Informationsbeschaffung angehöre. Aber tröstet das wirklich, wenn man eine mehrstündige Rede von Kim Jong-un zur Vervollkommnung des Fischereiwesens übersetzen muss, weil sich darin ein Hinweis auf dessen Atompläne verbergen könnte?