Edgar Páez im Gespräch über Kolumbien nach den Wahlen

»Die Oligarchie macht, was sie will«

Aus den Parlamentswahlen in Kolumbien Anfang März ging die aus drei Parteien bestehende Regierungskoalition des konservativen Präsidenten Juan Manuel Santos als stärkste Kraft hervor. Sie erhielt 47 von 102 Sitzen im Senat und 91 von 163 Mandaten im Unterhaus. Die Jungle World sprach mit dem Gewerkschafter Edgar Páez M. über die Bedeutung der Wahlen und die gesellschaftlichen Konflikte in Kolumbien und Venezuela. Páez ist 55 Jahre alt und seit mehr als zwölf Jahren verantwortlich für die internationalen Beziehungen der kleinen von Repression betroffenen Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal.

Was denken Sie über das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 9. März?
Es sagt relativ wenig aus, weil die meisten Kolumbianer der Abstimmung fern geblieben sind. Von 32 Millionen Stimmberechtigten haben 14 Millionen gewählt und davon Tausende ihre Stimmzettel ungültig oder leer abgegeben. Das ist bemerkenswert, denn in Kolumbien gibt es viele Bestimmungen, die es fast obligatorisch machen, wählen zu gehen. Der Zugang zur Universität ist ohne den Wahlbeleg schwieriger, beim Militärdienst wird er verlangt und auch wenn man für den Staat arbeiten will, ist der Abstimmungsbeleg förderlich. Ein Teil der Stimmberechtigten geht aus diesen Gründen wählen. Wieder andere sind zur Wahl gegangen, weil sie dem Bürgermeister von Bogotá mit ihrer Stimme den Rücken stärken wollten. Gegen Gustavo Petro läuft seit Dezember ein Amtsenthebungsverfahren, das viele Menschen als politisch motiviert ansehen (Jungle World 4/2014).
Präsident Santos hat Petro nun am 19. März abgesetzt und schon einen Nachfolger für das zweitwichtigste Amt in Kolumbien bestimmt. Obwohl selbst die Kommission für Menschenrechte der OAS die Regierung ermahnt hatte, Petro im Amt zu belassen. War dieses Vorgehen demokratisch?
Nein, denn die eigentliche Abstimmung über den Verbleib Petros im Rathaus sollte erst am 6. April stattfinden. Petro hatte sich mit seinem alternativen Müllkonzept und der unentgeltlichen Abgabe einer bestimmten Menge von Trinkwasser an die beiden untersten Einkommensschichten beliebt gemacht, deshalb sind viele Linke zu den Parlamentswahlen gegangen. Rund drei Millionen Menschen müssen nicht für ihr Wasser bezahlen. Das ist nicht im Interesse großer Firmen. Und es waren auch die großen Müllentsorger, die dafür gesorgt hatten, dass im Dezember 2012 in Bogotá ein Müllchaos ausbrach und mehrere tausend Tonnen Müll auf den Straßen lagen und stanken. So wollten sie den Bürgermeister dazu zwingen, zum alten Konzept zurückzukehren, statt das neue beizubehalten, das die Integration vieler Müllsammler vorsieht. Wegen des Müllchaos hatte der procurador general, eine Art Kontrolleur der öffentlichen Verwaltung, das Amtsenthebungsverfahren gegen Petro eingeleitet. Dahinter stehen aber po­litische Interessen und die Absetzung ist ein negatives Signal für den Friedensprozess in Havanna.
Warum?
Weil versucht wird, einen demokratisch gewählten Bürgermeister aus dem Amt zu drängen. Gustavo Petro wollten einige loswerden, genauso wie man die Senatorin Piedad Córdoba unter fadenscheinigen Vorwürfen aus dem Amt entfernt hat. Der kolumbianischen Oligarchie gefällt es nicht, wie Leute wie Gustavo Petro oder Piedad Córdoba Politik machen, sie werden entweder durch Bleikugeln oder Manipulation aus dem Amt gedrängt. Das ist ein negatives Signal an diejenigen, die ihnen vertrauen, und für die Demokratie in Kolumbien. Wie soll die Reintegration der Guerilla in Kolumbien funktionieren, wenn die demokratischen Spielregeln nicht respektiert werden? Die Oligarchie in Kolumbien macht, was sie will.
Das klingt nicht gerade ermutigend. Welchen Stellenwert haben denn die Friedensverhandlungen in Havanna zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla Farc? Hegen Sie Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts?
Der Großteil der Bevölkerung möchte Frieden. Die Verhandlungen in Havanna sind sehr wichtig, aber die Regierung möchte nur eine Lösung des militärischen Konflikts, die Lösung der sozialen und politischen Probleme haben keine Priorität. Es geht um ein Zeichen an die internationalen Investoren, um ein Ende des Krieges im Land, aber nicht um die Lösung von Problemen wie Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne. Ein Beispiel: die Landfrage. Sie war vor mehr als 50 Jahren der Auslöser für den Bürgerkrieg und eine Lösung des Landkonflikts zeichnet sich auch heute nicht ab. Doch die Landfrage ist so aktuell wie eh und je – das zeigt die Lebensmittelversorgung in Kolumbien, die immer schlechter wird, weil immer größere Flächen für den Bergbau und die Produktion von Ethanol und Palmöl reserviert werden, um Benzin und Diesel zu produzieren. Die Bauern werden dabei oft verdrängt.
Spielt die Regierung ein doppeltes Spiel?
Ich denke schon, und ein Beispiel dafür ist der Etat für die Bekämpfung der Guerilla. Der Staatsetat für dieses Jahr liegt bei 203 Billionen Pesos, davon entfallen auf Militärausgaben 36 Billionen Pesos – das sind mehr als 15 Prozent. Dieser Etat soll zukünftig durch eine Steuer für den »Postkonflikt« noch erhöht werden. Wir haben bereits heute annähernd 700 000 Menschen unter Waffen, um die Guerilla zu bekämpfen. Eine weitere Militarisierung ist sicherlich kein posi­tives Signal, denn mit Waffen erreicht man keinen Frieden.
Bei den Wahlen Anfang März kam es auch zum politischen Comeback des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Dessen neue Partei Demokratisches Zentrum ist als zweitstärkste Kraft in der Opposition. Ist das ein schlechtes Zeichen?
Es heißt immer, dass es Spannungen zwischen dem amtierenden Präsidenten Juan Manuel Santos und seinem Vorgänger Álvaro Uribe Vélez gibt, aber wir betrachten das anders. Beide verfolgen die gleichen Ziele: Sie wollen Kolumbien befrieden und für Investoren attraktiver und sicherer machen. Nur setzt Uribe auf Krieg und einen militärischen Sieg und Santos auf Verhandlungen mit der Guerilla. Das ist der Unterschied und dafür wurden unter Uribe alle repressiven Mittel eingesetzt. Es gab Abhörskandale, es wurden Tausende von unschuldigen Jugendlichen und Männern getötet und als im Kampf gefallene Guerilleros ausgegeben. Das alles hatte keine politischen Folgen für Uribe.
Und nun sitzt er im Parlament.
Ja, nun ist er der Chef der Bande im Kongress. Und die Bande ist groß, wie die Studie einer Nichtregierungsorganisation belegt, die herausgefunden hat, dass rund 131 der Kandidaten für den Kongress Familien angehören, die über gute Kontakte zu den paramilitärischen Gruppen verfügen. 69 von ihnen haben es in den ohnehin konservativ ausgerichteten Kongress geschafft. Ein Detail, das in der internationalen Berichterstattung sicherlich nicht erwähnt worden ist.
Welche Rolle spielt die Krise in Venezuela aus kolumbianischer Perspektive?
Kolumbien ist seit über 60 Jahren geprägt von einer tiefen gesellschaftlichen Polarisierung, denn schon vor der Gründung der Guerilla 1964 gab es einen Konflikt zwischen Liberalen und Konservativen. Der Blick in die Nachbarschaft, wo es in Venezuela, Bolivien und Nicaragua Beispiele für mehr Partizipation von unten gab, war sehr ermutigend für viele Kolumbianer, die des Konflikts müde waren und auf mehr demokratische Partizipation hofften. Die Situation heute in Venezuela erschreckt uns, denn es gibt auch paramilitärische Gruppen aus Kolumbien, die für die Ultrarechten in Venezuela agieren. Man darf nicht vergessen, dass dort in 15 Jahren 14 Mal gewählt worden ist. Es gibt kaum ein Land, kaum eine Regierung, die so nachhaltig demokratisch legitimiert ist wie die venezolanische.
Gleichwohl agiert die Regierung häufig autoritär, die ökonomische Bilanz ist alles andere als positiv und die Proteste werden größer.
Ja, aber sie münden immer öfter in Terror, denn was ergibt es für einen Sinn, die U-Bahn von Caracas zu sabotieren, öffentliche Gebäude abzufackeln oder auf Sicherheitskräfte zu schießen? Es gibt Scharfschützen in den Straßen von Caracas und das macht mir Sorgen. Venezuela ist kein sozialistisches Land, sondern eines mit zutiefst kapitalistischen Strukturen und Interessen. Deren Repräsentanten wehren sich mit allen Mitteln gegen den Umbau des Landes. Es hat immer wieder Nahrungsmittelspekulation gegeben, es kam immer wieder zum Horten von Lebensmitteln, um die Bevölkerung gegen die Regierung aufzubringen. Das hat nicht geklappt, aber die Situation ist schwierig, denn die Konservativen verfolgen zwei Strategien: die von Henrique Capriles und die von Leopoldo López und die Bereitschaft zum Dialog ist nur begrenzt vorhanden. Gleichzeitig nimmt die Gewalt zu und unseren Informationen zufolge sind kolumbianische paramilitärische Gruppen ein Teil des Problems. Es werden Molotow-Cocktails auf Züge, auf Krankenhäuser geworfen, das ist zutiefst stupide und die große Mehrheit der Venezolaner hat dafür kein Verständnis.