Community Organizing und Mietkämpfe

Keine Rebellion für Kiezromantik

Bisher waren Modelle des Organizing ein Thema der Gewerkschaften, nun werden sie auch von Mieterorganisationen diskutiert.

Wie soll man Personen bezeichnen, die sich gegen Mieterhöhungen wehren, Initiativen gegen Vertreibung in ihrer Nachbarschaft gründen oder sogar bereit sind, sich einer Räumung zu widersetzen? Die Berliner Regisseure Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers haben mit »Mietrebellen« einen treffenden Begriff gefunden. In ihrem gleichnamigen Film, der vorige Woche in den Kinos angelaufen ist, stehen Menschen im Mittelpunkt, die in den vergangenen zwei Jahren in Berlin den Mietenprotest getragen haben. Die verrentete Gewerkschafterin ist ebenso vertreten wie der autonome Fahrradkurier. Der Film porträtiert Menschen, die früher vielleicht selbst nicht daran gedacht hätten, sich an Protesten zu beteiligen. Die Besetzer der Seniorenbegegnungsstätte »Stille Straße« in Pankow und die »Palisadenpanther«, die sich mit Erfolg gegen die Mieterhöhungen ihrer Seniorenwohnanlagen gewehrt haben, stehen für eine neue alte Protestgeneration. Doch wer organisiert die Rebellen? Sind diese Proteste politisch oder handelt es sich eher um eine Form der Sozialarbeit, wie ein Mitglied des Berliner Bündnisses »Zwangsräumungen verhindern« fragte? Der Politikwissenschaftler Robert Maruschke hat in seinem kürzlich erschienenen Buch auf beide Fragen eine Antwort gegeben, die schon im Titel »Community Organizing« vorweggenommen wird.

Über Konzepte des Organizing wurde bisher vor allem in Gewerkschaften diskutiert. Maruschke liefert nun eine knappe Einführung in die Geschichte, Theorie und Praxis der Stadtteilorganisierung. Beide Konzepte sind in den sozialen Bewegungen der USA entstanden. Maruschke unterscheidet zwischen einer staatstragenden und einer transformativen Idee des Organizing. Er beginnt mit der Settlement-Bewegung von 1884 und endet mit heutigen Plattformen für Bürger und ähnlichen »Mitmachfallen«, wie der Sozio­loge Thomas Wagner verschiedene Konzepte von Bürgerbeteiligung nennt, die Mitbeteiligung versprechen, aber vor allem der reibungslosen Durchsetzung kapitalistischer Zwecke dienen (Jungle World 42/2014). Affirmative Modelle des Organizing wollen soziale Akteure mit dem kapitalistischen Staat versöhnen, oft werden sie von Unternehmen finanziert. Auch den US-amerikanischen Bürgerrechtler und Wegbereiter des Community Organizing, Saul David Alinsky, ordnet Maruschke als Vertreter dieser affirmativen Variante des Organizing ein. Alinsky wird auch in Deutschland von linken Gruppen häufig als Pionier der Stadtteilorganisierung verehrt und unkritisch rezipiert. Der Grund dafür liegt in seinem Plädoyer für konfrontative Aktionsformen. Diese sollten jedoch lediglich dazu dienen, von offiziellen Institutionen als Gesprächspartner anerkannt zu werden.

Staat und Kapital hat Alinsky nie in Frage gestellt, von linken Gruppen distanzierte er sich. Im Unterschied dazu betonte der frühere Maoist Eric Mann, den Maruschke als Pionier des transformatorischen Organizing präsentiert: »Organizing muss revolutionär ausgerichtet sein. Es muss Individualismus und jede Form von Eigeninteresse in Frage stellen, was nicht heißt, dass es Eigeninteressen nicht einbinden kann.« Maruschke benennt auch die Widersprüche in der Praxis des transformativen Organizing. Einerseits betonen dessen Vertreter in den USA, nicht mit Repräsentanten von bestehenden Organisationen zusammenzuarbeiten und sich konfrontativ mit dem Staat auseinanderzusetzen, anderseits haben sie sich an der Wahlkampagne für Barack Obama beteiligt. Als Beispiel für transformatives Organizing in Berlin nennt Maruschke »Kotti & Co.« und die Kampagne gegen Räumungen. Auch wenn sich diese selbstorganisierten Mieterinitiativen das Konzept des transformativen Stadtteil-Organizing nicht zu eigen machen, könnten sie davon etwas übernehmen. So betonen die Vertreter des transformativen Organizing in den USA, dass auch Stadtteile von Klassenunterschieden sowie rassistischen und patriarchalen Unterdrückungsverhältnissen geprägt sind, was ein gutes Argument gegen den Trend zur Kiezromantik ist.